49. Mach sie weg!

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Gähnend saß ich allein am Esstisch und stützte mein Kinn auf dem dunklen Holztisch ab. Alle waren wild damit beschäftigt sich für die Gemeinde fertig zu machen. Alle außer ich. Ich war schon vor Ewigkeiten fertig und wartete auf mein Frühstück, was ich mir heute wohl selbst machen musste.

Cosmo hatte noch geschlafen und die Kinder waren oben im Bad, Aarón hingegen bei den Kühen. Wie der das frühe Aufstehen immer schaffte, war mir echt ein Rätsel.

„Ahh!", hörte ich Julia plötzlich aus der Küche schreien und ruckartig richtete ich mich auf. Die Müdigkeit war weg. „Ace!"

Hörig wie ein dressierter Hund rannte ich in die Küche. Warf dabei meinen Stuhl um und riss den halben Türrahmen mit. Atemlos schnappte ich nach Luft und war kurzzeitig über mein erbärmliches Fitnesslevel schockiert. Doch all das war vergessen als ich Julia mit einer Pfanne in der Küche erblickte. Panisch sah sie in eine Ecke und hielt die Pfanne mit beiden Armen ausgestreckt vor sich.

Gehetzt folgte ich ihrem Blick, erwartete schon sonst was, doch erblickte... Nichts?!

Mit hochgezogener Augenbraue drehte ich mich zu der Hausfrau wieder um, doch Julia gab wieder einen spitzen Schrei von sich und warf doch eiskalt die Pfanne nach mir! Gerade noch rechtzeitig duckte ich mich weg und sah wieder zur gegenüberliegenden Wand, an dessen Boden nun die Pfanne lag und ein kleines, braunes Fellknäul dahinter verschwand. Was zum-?!

„Mach sie weg! Sofort!", flehte Julia und machte schnell einige Schritte auf mich zu, quetschte sich an mir vorbei und sah misstrauisch über meine Schulter zurück zu ihrer Pfanne.

Gerade wollte ich etwas erwidern, da hörte ich ein leises, kratzendes Geräusch und meinte zu sehen, wie sich die schwarze Pfanne einige Zentimeter bewegte. Ich war doch eigentlich schon wach, oder? Mit zusammengekniffenen Augen lief ich auf die Pfanne zu und ging vor ihr in die Hocke.

„Gut so, Ace, aber lass sie ja nicht entkommen!", meinte Julia vom Türrahmen aus. Wen sollte ich nicht entkommen lassen?

Neugierig hob ich die Pfanne an und schrie zeitlich mit Julia erschrocken auf als ein braunes Ding mir entgegen gesprungen kam und sich mit seinen kleinen Krallen in meinem Shirt verhedderte. Überrascht stolperte ich nach hinten und versuchte mit meinen Händen das quietschende Ding zu schnappen, bevor es mir noch unters Shirt kroch. Julia hörte ich derweil wegrennen.

Einige quietschende Töne und Kratzer später, hielt ich eine riesige Maus in der Hand. Oder vielleicht eine Ratte?

Am Schwanz baumelte sie kopfüber in meiner Hand über den Küchenboden und versuchte mich dabei immer wieder zu kratzen und zu beißen. Die hohen Töne, die sie dabei von sich gab, nervten auch langsam. Es war doch Sonntagmorgen, man! Sauer hielt ich sie weiter hoch und sah ihr dabei direkt ins pelzige Gesicht.

„Pass auf, wenn du deine Klappe hältst, dann überleg ich mir auch, ob-"

„Warte lieber bis es Frühstück gibt, Ace", lachte Aarón plötzlich hinter mir. „Die ganzen Haare kratzen bestimmt im Hals."

Schnell drehte ich mich zu ihm um. Die Maus, oder was auch immer, noch in meiner Hand. „Die wollte ich doch nicht essen!"

„Sah von hier etwas anders aus", lachte er und deute auf das sich windende Tier, welches ich auf Kopfhöhe am Schwanz hielt und anstarrte. Dann wurde sein Blick ernster. „War natürlich ein Witz... Aber bring sie lieber trotzdem aus der Küche, Julia hats nicht so mit den Nagern."

„Wäre ich nicht drauf gekommen", murmelte ich leise und wandte seufzend den Blick ab.

Aarón verließ daraufhin die Küche und ich blieb mit meinem neuen besten Freund zurück. Was sollte ich mit der jetzt machen? Immer noch etwas müde ließ ich meine Hand zusammen mit der Maus sinken und betrat den Hausflur. Aarón zog sich dort gerade die Schuhe aus und hing seine Arbeitsjacke auf.

„Weißt du nicht, was du mit ihr machen sollst?"

„Doch!", protestierte ich schnell, senkte dann aber meinen Kopf. „Nein, nicht wirklich. Julia hätte bestimmt gern, dass ich sie töte, damit sie nicht wiederkommt, aber..."

Aarón sah mich wieder so sanft wie immer an. „Aber?"

„Das fühlt sich nicht richtig an..."

Fast schon stolz betrachtete mich der ältere Herr plötzlich. „Dann mach das, was sich richtig anfühlt." Für einen Moment sah er nachdenklich in den Spiegel und fuhr sich übers Gesicht. „Julia muss ja auch nichts erfahren", grinste er.

Ich nickte abwesend und drängelte mich anschließend an ihm vorbei zur Haustür. Mit meinen Socken ging ich nach draußen, schloss hinter mir die Tür und hockte mich auf den Läufer davor.

Eine kleine Maus töten war keine große Sache. Besonders für mich nicht. Umso überraschter war ich, als ich Reue empfand. Keine Ahnung, wie viele Menschen durch mich gestorben waren. Das waren sicherlich nicht alles gute Leute, das bewies schon allein, in welchen Kreisen sie verkehrten, und dennoch... Ich hatte es getan, obwohl es falsch war. Meine Prioritäten waren damals einfach andere.

Und jetzt brachte ich es nicht einmal übers Herz die kleine Maus in meiner Hand zu töten, die mich nebenbei bemerkt immer noch kratzte. Ob das die geistigen Veränderungen waren von denen Aarón gesprochen hatte?

Ratlos und auch ein wenig verwirrt öffnete ich schließlich meine Hand und sah dem braunen Knäul dabei zu wie es mit Lichtgeschwindigkeit verschwand. Adios, kleiner Amigo.

Knapp zehn Minuten später hatten wir es endlich geschafft zusammen am Esstisch zu sitzen. Die Zwillinge hatten ihre Sonntagskleidung noch nicht an, Marmelade machte sich da schließlich nicht so gut drauf. Cosmo hingegen saß mit verwuschelten Haaren neben mir und schien noch zu träumen. Denn Helena, die mit ihrem Sommerkleid vor ihm saß und ihn sogar ansprach, bekam von ihm keine Aufmerksamkeit. Julia und Aarón hatten das Thema mit der Maus zum Glück nicht mehr angesprochen.

„Vergiss nicht, dich nachher noch bei Olivier zu entschuldigen, Ace", erinnerte mich Aarón plötzlich und genervt stöhnte ich auf, nickte aber ergeben.

Interessiert wandte sich Helena uns zu. „Weswegen denn?"

Tief sah Aarón mir in die Augen, während er seinen Kaffee hinunterschluckte. „Wegen einem kleinen Missverständnis."

Ein kleines Missverständnis. Innerlich grinste ich. Im Nachhinein tat es mir schon leid, dass ich den Jäger gewürgt hatte, aber wäre man in meiner Situation, hätte man vielleicht ähnlich reagiert. Also konnte ich ja nichts dafür.

„Manuel bringt heute doch seinen Kumpel mit, oder?", fragte Cosmo halb schlafend in den Raum.

Mein Blick wanderte erst belustigt zu ihm, doch als ich seine Worte realisierte, blieb mir beinahe das Herz stehen. Natürlich konnte all dies nur Einbildung sein. Natürlich konnte ich mich total irren. Und natürlich war Manuels Kumpel nicht sofort ein mutmaßlicher Mafiosi. Aber... was wäre wenn?

Hope in the DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt