53. Gespenstisch still

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Alles war dunkel. Kein Mond war am Himmel zu sehen. Nur einzelne Sterne. Langsam wanderte mein Blick vom Fenster zurück zu Cosmo, der friedlich im Bett neben mir schlummerte und die Decke von sich gestrampelt hatte, da es viel zu heiß war. Den ganzen Tag hatte die Sonne erbarmungslos geschienen und damit für eine warme Nacht gesorgt. Und Das bei dieser Jahreszeit.

Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke.

Von unten kamen keine Geräusche mehr. Es war schon sehr spät und Aarón und Julia waren sicherlich schon im Bett. Hoffte ich zumindest, denn sonst würde mein Plan, weswegen ich mir den Kopf zerbrach, nicht aufgehen. Die Kinder jedenfalls waren schon lange eingeschlafen und stellten somit für mich kein Problem dar.

Mir war klar, dass ich Aaróns Regel brach, aber ich brauchte einfach Gewissheit.

Und aus diesem Grund schob ich mein schlechtes Gewissen beiseite und verließ das Bett. Deckte dabei fürsorglich Cosmo zu, der sich murrend beschwerte und sie wieder wegstrampelte. Kopfschüttelnd strich ich ihm nochmal über den Rücken, schließlich wusste ich nicht, was mich erwarten würde, und ging.

Leise schlich ich den Flur entlang und die Treppe hinunter. Das Holz knarzte dabei verdächtig unter meinen Schritten und innerlich betete ich, dass niemand wach wurde.

Durch die großen Fenster in der Küche und im Wohnbereich drang etwas Sternenlicht und im Allgemeinen wirkte es hier heller. Ich fühlte mich weniger wie ein Verbrecher. Wie jemand, der gleich etwas Schlimmes tun würde. Doch das hatte ich doch gar nicht vor, oder? Ich war immerhin nicht so wie damals. Ich hatte mich verändert. Zum Gutem.

Meine Jacke, die Aarón mir gegeben hatte, und meine Schuhe waren schnell angezogen und beinahe lautlos zog ich die Haustür hinter mir ran.

Spätestens jetzt fühlte es sich an als würde ich etwas Verbotenes tun.

Doch weit kam ich nicht, denn Max hob den Kopf. Bei der Wärme hatte er draußen geschlafen und sah mich nun verschlafen an. Erstarrt blieb ich stehen. Hoffte, dass er nicht bellte oder mir folgte. Der große Hund zog die Lefzen zurück, zeigte seine Zunge, während er gähnte, und legte den Kopf schief.

„Schlaf einfach weiter, Hund", brummte ich zerknirscht und ging einige Schritte vom Haus weg.

Für einen Moment wirkte es so, als würde er aufstehen und mir folgen, doch stattdessen legte er den Kopf wieder auf die Pfoten und schloss die Augen. Glück gehabt!

Tief durchatmend blickte ich nach oben. Der Mond schien ja doch, nur eben ganz klein und von einer Seite, von der aus ich ihn im Zimmer nicht sehen konnte. Licht spendete er trotzdem kaum. Auch wehte kein Wind. Es war so gespenstisch still, dass ich Max beinahe schnaufen und atmen hören konnte. Unwohlsein machte sich wieder in mir breit und kurz sah ich zurück, doch mein Entschluss stand schon so lange fest.

Und eben deswegen verließ ich Aaróns Gelände und folgte der Straße ins Herzstück des Dorfs.

Der Geschäftspartner von Manuels Vater, der mir solche Sorgen bereitete, wohnte scheinbar in dem Gasthaus, welches Aarón uns damals angeboten hatte. Er kannte den Inhaber und hätte uns ein Zimmer besorgen können, da wir aber abgelehnt hatten, wusste ich nicht, wo es war. Allerdings gab es in diesem kleinen Dorf nur eins.

Mein Weg führte mich zu dem Laden, bei dem alles anfing. Der Parkplatz war leer. Keine Menschenseele war mehr auf den Straßen. Auch die kleine Bar, bei der noch spät meist Leute feierten, hatte bereits zu.

Das Gasthaus war laut Aarón nicht weit von hier. Vielleicht zwei Straßen.

Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch die dunklen Straßen und Gassen wandern. Sah an den Fassaden der Häuser hinauf zu den Fenstern. Wollte böse Überraschungen vermeiden. Die Nacht war für mich nichts Sonderbares. Oft hatte ich sie ausgenutzt, um mich im Schutz der Dunkelheit bewegen zu können und meine Opfer zur Strecke zu bringen.

Und auch, wenn das alles Vergangenheit war, so verlernte man gewisse Sachen nicht. Meine Bewegungen waren genauso koordiniert und flüssig wie damals.

Der Tag war lang und der Weg durch die ländliche Gegend nicht gerade kurz. Die Hitze hatte mir auch zu schaffen gemacht, dennoch verspürte ich eine gewisse Kraft. Als würde mein Körper Restenergie zusammenkratzen, um mir diese Aktion zu ermöglichen. Damit ich mich notfalls verteidigen konnte. Vermutlich war es aber auch einfach nur Adrenalin.

Bei dem Gedanken, was wäre, wenn es wirklich der Mafiosi war, stockte ich kurz. Ich hatte keine Waffe dabei. Nicht mal ein Küchenmesser. Nichts!

Fluchend fuhr ich mir durch die Haare und blieb stehen. Das Gasthaus konnte ich bereits sehen und dennoch spielte ich mit dem Gedanken, einfach umzukehren. Es war schließlich töricht ohne Waffe oder Hilfsmittel dort einzubrechen. Nur hätte ich mir das vorher überlegen sollen.

Die weiße Wand mit den Holzverzierungen sah unglaublich schön aus und ähnelte von der Bauart sehr stark den anderen Berghäusern hier.

Und die Gewohnheit der Bergleute, dass immer ein Balkon dazugehörte, nutzte ich zu meinem Vorteil. So schluckte ich meine Bedenken runter und kletterte über eine Bank hinauf. Zog mich am Holzgeländer nach oben und hatte mal wieder unglaubliches Glück. Die Tür war nicht abgeschlossen. Die Hitze sorgte wohl dafür, dass Fenster und Balkontüren gerne zum Lüften genutzt wurden.

Auf leisen Sohlen schlich ich ins Zimmer und durchquerte es. Hielt meinen Blick von der schlafenden Person fern. Die blonde Frau könnte bei meinem Anblick immerhin das ganze Dorf wecken.

Mein Weg führte mich wieder nach unten. Zur Rezeption. Ruhige Musik und ein gedämmtes Licht erhellten den Raum und den roten, sehr weich aussehenden, Teppich. Doch niemand war hier. Und scheinbar auch kaum Gäste. Die Schlüssel waren fast alle vollständig. Nur drei fehlten. Zu dieser Jahreszeit kamen wohl kaum Touristen hier her. Besonders nicht in so ein abgelegenes Dorf.

Die erste Nummer konnte ich schon wegstreichen, durch dieses Zimmer war ich gekommen und ich suchte keine Frau.

Zwei weitere Zimmer waren belegt. Und diese würde ich mir mal ansehen. Den Generalschlüssel nahm ich mit und stieg die Treppen wieder nach oben. Doch das erste Zimmer, ganz vorn, enttäuschte mich ebenfalls. Eine Familie mit Kindern. Seufzend schloss ich die Tür wieder und ging zum Letzten.

Neugierig und mit kribbelnden Händen schloss ich auf und steckte den Kopf hinein. Mein Blick fiel auf das Bett und... es war leer?

Ich zog die Augenbrauen nach oben und sah prüfend in den Flur. Doch ich sah und hörte niemanden. Keine Dusche, keine Toilettenspülung oder irgendetwas anderes, was die Abwesenheit eines Gastes erklären würde. Das war auch der Grund, weswegen ich mutig das Zimmer betrat, mir alle Räume ansah und schließlich das Licht anknipste.

Wenigstens konnte ich mit Sicherheit sagen, dass es das Zimmer meiner Zielperson war. Die Sonntagsklamotten hingen auf dem Stuhl.

Mit abnehmender Vorsicht sah ich mich im Zimmer um und ging ans Bett ran. Waffen konnte ich keine sehen. Auch sonst nichts Auffälliges. Vielleicht doch alles nur ein Irrtum? War ich ganz umsonst hier rausgelaufen und eingebrochen? Hatte mich verrückt gemacht und war Opfer der Angst geworden? Seufzend wollte ich das Zimmer schon wieder verlassen, da fiel mein Blick auf ein zerknittertes Bild auf dem Nachttisch.

Zwei Männer grinsten mich an und die blauen Augen des einen kannte ich nur zu gut. Doch der Anblick des Zweiten, mit den braunen Teddyaugen und den verwuschelten Haaren, sorgte augenblicklich für Magenschmerzen.

Eben diesen Mann hatte ich in jener Nacht erschossen.

Hope in the DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt