Mit versteinertem Blick sah ich in die leblosen Augen des Mannes, der mich großgezogen hatte. Seine blauen Augen starrten ins Leere. Sie fokussierten nicht mehr. Wie denn auch? Schließlich war er tot.
Die Erkenntnis hatte ich schnell. Zwar hatte ich noch nie einen Toten von nahem gesehen, aber ich brauchte nicht mal auf sein Herz hören oder seinen Puls fühlen, ich hatte es gefühlt. Kalt war die Befürchtung, dass ich ihn getötet hatte, in meinen Körper gekrochen und hatte sich festgesetzt. Das lähmende Gefühl ließ zwar nicht nach, aber mein Herzschlag wurde langsamer.
Keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war. Ich saß mit Sicherheit schon eine Stunde vor ihm. Und hatte mich keinen Zentimeter gerührt.
Sein erstickter Schrei klang immer wieder in meinen Ohren. Seine vor Angst geweiteten Augen sah ich innerlich und ich spürte noch seine Hände auf meinem Körper. Wie sie mich festhielten, derb zudrückten und ihre Spuren hinterließen, in Form von blauen Flecken und Einkerbungen von den Fingernägeln.
Ob seine Reaktion berechtigt war oder nicht, darüber konnte man sich streiten. Ich hatte nichts Böses vor, wollte lediglich mal wieder vorbeischauen.
Cosmo und ich hatten Colonia Roma verlassen. Doch bei einem erneuten Besuch bei meinen Eltern, ich wollte nur wieder etwas Geld zum Überleben, hatte ich von unserer Verwandtschaft erfahren. Aufbrausend war meine Mutter auf meinen Vater losgegangen. Sie dachte, dass er ihr Cosmo weggenommen hatte, weil sie ihn damals verlassen hatte. Dabei wusste sie nicht, dass ihr Sohn aus freien Stücken abgehauen war und sich von ihrem anderen, verhassten Sohn durchfüttern ließ.
Mein Vater hatte natürlich alles abgestritten. Er wusste ja nicht einmal was von Cosmos Existenz. Auch die Polizei wurde aufgrund von Drogenproblemen und anderen Dingen nicht eigeschaltet. So wurde die Suche nicht sonderlich einfach für meine Mutter. Wenn man sie als solche überhaupt bezeichnen konnte.
Der Einzige, der über alles in Kenntnis war, alles zusammenzählte und letztlich den Durchblick hatte, war ich.
Überrascht und mit gemischten Gefühlen hatte ich mich, wie so oft, im Flur versteckt und alles mit angehört. Meine Stiefmutter war glücklicherweise nicht zuhause. Und während meine leiblichen Eltern sich stritten, hockte ich da und war in erster Linie sauer. Oder eifersüchtig. Eher frustriert.
War ich meiner Mutter nicht gut genug? Was hatte ich als Baby falsch gemacht, damit sie ein besseres Kind wollte?
Aufgestachelt und mit unendlichem Hass im Herzen auf die ganze Welt hatte ich das Haus verlassen. Ich musste mich abreagieren. Das tat ich indem ich einen Nachbarsjungen verprügelte und dessen Essen nahm. Nicht die beste Methode, aber in dem Moment war mir einfach alles egal. Ich hatte doch auch im Leben etwas Glück verdient. Oder Sicherheit. Eher Liebe.
Obwohl sich meine Wut auf alles und jeden richtete und ich teils auch sauer auf Cosmo war, weil er etwas hatte, was mir scheinbar fehlte, so war ich am selben Abend zu ihm zurückgekehrt.
Die Verwandtschaft hielt ich vorerst geheim. Erst später erzählte ich ihm davon. Natürlich nahm er es super auf. Aus Angst, dass unsere Mutter ihn aber doch finden und ihn mir wegnehmen würde, verließen wir Colonia Roma. Jedoch nur für eine Weile. Bis Gras über die Sache gewachsen war. Finanzielle Nöte brachten uns wenig später zurück, auch in mein Elternhaus.
Nur wurde ich diesmal erwischt. Mein Vater tobte und hätte wahrscheinlich sonst etwas gemacht, doch ich unterwarf mich nicht. Nein, ich riss mich los und im Eifer des Gefechts schubste ich ihn von mir weg.
Die Treppe hinunter. Wo er anschließend am Boden liegenblieb.
Und so saß ich nun versteinert vor ihm. Sein Kopf war unnatürlich verdreht. Seine Augen gruselig offen und ein wenig Blut am Boden. Gespenstig still war es im Haus. Meine Stiefmutter mal wieder nicht da. Nur ich und mein Erzeuger. Er allerdings tot.
Zögerlich streckte ich meine Hand nach ihm aus und fuhr durch seine Haare. Dabei merkte ich erst, wie stark ich zitterte.
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mein Vater und ich eine gute Beziehung zueinander hätten. Selten hatten wir etwas zusammen getan, und wenn, dann ging es kaum gut aus. Unfriede und eine angespannte Stimmung waren nur das Ergebnis.
Ich drückte seine Augen zu und seufzte leise. Dabei erschreckte ich mich vor meinem eigenen Laut so sehr, dass ich heftig zusammenzuckte und nach hinten kippte.
Unruhig zuckten meine Augen hin und her. Suchten den Raum ab. Die Kälte und Ruhe nahmen mir die Luft zum Atmen und mein Puls verschnellerte sich auf eine Geschwindigkeit, dass ich Angst hatte, umzukippen. Es fühlte sich an als würden die Wände näherkommen und wackelig stand ich auf. Alles drehte sich und beinahe wäre ich auf den Leichnam meines Vaters gestürzt.
Mir wurde einfach alles zu viel. Das Haus. Der Tote vor mir, an dem ich Schuld hatte und die beängstigende Atmosphäre.
Wie von allein trugen meine Beine mich raus. Vor der Haustür jedoch brach ich zusammen und fing an zu würgen. Mehr als Galle kam jedoch nicht, zu lange hatte ich nichts gegessen. Röchelnd und mit fehlender Orientierung kippte ich zur Seite und blieb erschöpft auf dem steinernen Boden liegen. Die Schläge meines Vaters und der damit verbundene Schmerz war durch den Schock verschwunden. Jetzt kamen sie jedoch stärker zurück.
Murrend rollte ich mich zusammen und verfluchte innerlich mal wieder die ganze Erde. Sollte mich doch jemand finden. Oder auch nicht. Es würde eh nichts ändern.
Ein Zittern ging erneut durch meinen Körper und leidend schloss ich die Augen. Danach wurden meine Sinne schwächer und ich hörte nicht einmal mehr die entfernten Autos. Vielleicht war endlich die erlösende Ohnmacht über mich gekommen. Eventuell war ich auch einfach eingeschlafen.
Als ich meine Augen erneut öffnete, wurde mir schlagartig kalt. Wie lange war ich bitte hier?
Verkrampft hob ich meinen Kopf an und sah mich um. Der Himmel war dunkler. Offenbar war einiges an Zeit vergangen. War mir eigentlich auch egal, aber plötzlich tauchte ein Bild von Cosmo vor meinem inneren Auge auf. Er wartete bestimmt auf mich. Zumindest, wenn er nicht den hoffnungslosen Versuch gestartet hatte, mich zu suchen.
Adrenalin schoss durch meinen Körper und letztlich stand ich so schnell aufrecht, dass ich selbst überrascht war. Was, wenn ihm in meiner Abwesenheit etwas passiert war?
Meinen Vater und die letzten Stunden vollkommen vergessen, rannte ich los. Zu unserem Versteck. Naja, unserer momentanen Unterkunft. Mein Körper befand sich eigentlich nicht in einem Zustand indem sportliche Leistungen möglich waren, doch die beißende Sorge um meinen Halbbruder trieb mich voran.
Und da wusste ich auch, dass Cosmo es wert war. Wert zu leben. Von mir hielt ich vielleicht nicht viel. Aber er kam nicht alleine klar und wenigstens für ihn musste ich funktionieren.
Meine Lunge lechzte und krampfte, doch ich rannte weiter und kam anschließend bei unserer Schlafstädte zum Stehen. Ich rechnete schon mit allem, aber nicht damit, dass er seelenruhig und friedlich auf einer alten Decke zusammengerollt schlief und absolut nichts mitbekam. Die Beine hatte er an die Brust gezogen, dabei sabberte er leicht und gab ein brummendes Geräusch von sich.
Vor Erleichterung gaben meine Beine nach und meine Schultern sackten nach unten. Vor ihm auf den Bauch liegend atmete ich tief durch.
Ihm ging es gut. Er war noch da. Und es ging ihm gut!
Meiner Kehle entwich ein freudloses Lachen und ich schloss die Augen. Ich war nichts weiter als ein Fehler, der bislang jedem Unglück gebracht hatte, aber eine Sache hatte ich nicht verkackt. Cosmo war noch am Leben und eins schwor ich mir in der Sekunde. Was auch passieren würde, sein Leben stand über meinem. Denn er verkörperte alles, was in meinem Leben noch gut war.
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Hope in the Darkness
AcciónAls Auftragskiller und ehemaliger Obdachloser hatte Ace es nicht immer einfach. Seine Weltansicht ist dementsprechend negativ. Doch als er eines Nachts einen entscheidenden Fehler macht und sich unbewusst mit der Mafia anlegt, wird der Jäger zur Fl...