52. Entlarvt

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Die Räume wurden langsam leerer und mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend, schlich ich durch das Gemeindehaus. Aaróns Familie war bereits draußen und Cosmo unterhielt sich mit Keno über irgendein Fußballspiel, was wohl gestern im Fernsehen kam.

„Kommst du dann auch mit nach draußen, Ace?"

Erschrocken fuhr ich herum und starrte den Hausherrn an. Aaróns Mundwinkel zuckten leicht nach oben als er meine Reaktion sah und väterlich legte er mir eine Hand auf die Schulter.

„Gleich. Hab noch was zu erledigen", brummte ich.

Wissend nickte er. „Wir warten draußen."

Auf die Lippe beißend, sah ich ihm hinterher. Hatte keine Ahnung, warum ich überhaupt hier war. Doch ich musste mich noch bei Olivier entschuldigen. Ob ich nun wollte oder nicht. Also betrat ich den großen Gemeinschaftssaal. Der Jäger, den ich suchte, war noch hier und unterhielt sich mit einem dicklichen kleinen Mann, der beinahe aussah wie ein Zwerg.

Als die aufmerksamen Augen des Franzosen mich erblickten, verhärtete sich sein Gesicht und er unterbrach das Gespräch.

Mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen schickte er seinen Gegenüber weg und machte einige Schritte auf mich zu. Seine Haltung wirkte beinahe bedrohlich. Mein Mund verzog sich zu einem Strich, während ich ihm entgegenkam und musterte. Seine dunklen Haare hatte er ordentlich nach hinten gekämmt, statt der Jacke mit dem komischen Zeichen, trug er nun ein Hemd und seinen Bart hatte er rasiert.

„Diesmal nicht so feindselig unterwegs, hm?", lachte er verächtlich.

Sauer wollte ich mich rechtfertigen, schluckte meinen Ärger allerdings hinunter. „Nein." Tief durchatmend hielt ich seinem abschätzigen Blick stand. „Ich wollte mich entschuldigen."

Überrascht weiteten sich seine Augen.

„Mein Verhalten war nicht korrekt. Ich habe sie mit jemanden verwechselt... Das heißt natürlich nicht, dass es richtig wäre, jemanden anderen derart anzugreifen, aber ich... Können sie mir diesen kleinen Zwischenfall verzeihen? Es-"

„Halt mal die Luft an", wies er mich zurecht und sofort verstummte ich. „Ich weiß, dass du nicht mich angreifen wolltest. Das hat deine Reaktion gezeigt und wir kennen uns auch gar nicht. Aber irgendjemanden fürchtest du... Du erwartest Gefahr. Einen Angriff." Mit zusammengekniffenen Augen umkreiste er mich einmal. „Deine Haltung ist permanent angespannt und du siehst dich um, als würdest du jemanden suchen. Aber nicht so, als wärst du der Jäger, sondern das Opfer."

Hart schluckte ich den Kloß hinunter. Er kannte mich nur wenige Minuten und hatte dennoch mehr Ahnung als jeder anderer hier im Dorf.

„Da du hier aber scheinbar neu bist, kann die Gefahr kaum von hier kommen, nicht? Das hier war nur dein Versteck. Du bist auf der Flucht. Was sollten sonst zwei junge Kerle an so einem abgelegenen Ort machen?"

Woher wusste er von Cosmo?

„Ich bin gut im Beobachten", beantwortete er meine stille Frage und mein Herz machte vor Nervosität einen kleinen Hüpfer.

„Und worauf wollen sie jetzt hinaus?", knurrte ich leise.

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. „Mich geht es nichts an, ich bin bald wieder weg. Aber ich kenne Aarón und seine Familie." Mit einem Mal wurde sein Ausdruck aggressiver. „Und ich möchte nicht, dass sie in Gefahr sind. Also egal woher du kommst, wer dein Freund ist und was ihr für Probleme mitgebracht habt... klärt das!" Nachsichtig verzog er sein Gesicht. „Denn sowas haben sie nicht verdient. Ich möchte sie nicht in Gefahr wissen!"

Schwer drangen seine Worte in mein Herz. Durchbohrten es. Brachten es zum Schmerzen. Denn er hatte recht. Ich brachte Probleme mit. Große Probleme. Und brachte damit Leute in Gefahr, die ich liebte.

Würde Aaróns Familie etwas passieren, könnte ich mir das nie verzeihen.

„Glauben sie mir, ich möchte das auch nicht", presste ich hervor und sah entschlossen in seine funkelnden Augen. „Sie sind meine Familie und ich werde sie beschützen... egal, was es kostet."

Verschiedene Emotionen spiegelten sich in seinen Augen wider. Überraschung, Wut, Erleichterung und Besorgnis, ebenso wie Misstrauen. Eine Weile sahen wir uns gegenseitig einfach nur an. Wir betrachteten den jeweils anderen als Feind, dabei wollten wir eigentlich dasselbe. Genau deswegen gab ich mir letztlich auch einen Ruck.

„Ich weiß, sie vertrauen mir nicht. Dazu haben sie auch allen Grund. Aber ich werde nicht zulassen, dass Aaróns Familie etwas passiert!"

Abwertend betrachtete er mich noch einen Augenblick, dann klopfte er mir auf die Schulter. „Das hoffe ich für dich. Denn sollte dein kleines Problem auch ihres werden, dann wirst du wirklich meine Zielscheibe." Dann wandte er sich ab mit den Worten, „Ich verzeihe dir deinen Angriff, wenn du dafür sorgst, dass ihnen nichts, aber auch wirklich gar nichts passiert."

„Sie können sich auf mich verlassen."

Seine Schritte entfernten sich schnell und so ließ mich der Jäger im Gemeinderaum allein. Das Gespräch war ja mal komplett anders verlaufen als erhofft. Er war wirklich verdammt aufmerksam. Und schlau.

Erst jetzt bemerke ich das Zittern meiner Hände und meinen beschleunigten Puls.

Er hatte ja recht. Ich brachte meine Familie in Gefahr. Meine Familie. Ein kleines Lachen entwich meiner Kehle und die Sorge wich einem Augenblick der Liebe und dem guten Gefühl, welches der Gedanke hinterließ. Ich hatte nie liebende Eltern. Kein Zuhause. Aber hier hatte ich es gefunden. In einem kleinen Bergdorf, welches eigentlich nur als Versteck vor meinem potentiellen Mörder diente.

Mein Blick schweifte durch den Saal und blieb schlussendlich an dem großen Holzkreuz vorn hängen.

Langsam und vorsichtig näherte ich mich ihm. Ich war komplett allein hier und dennoch fühlte es sich so an, als könnte ich Gottes Präsenz in diesem Raum spüren. Als würde er mir den Halt geben, den ich brauchte. Meine Knie gaben nach und wenige Meter vor dem großen Holzgebilde sackte ich auf den Boden. Sah erst das Kreuz und dann den Boden an. Ich hatte keinen Zweifel mehr daran, dass Gott mich hierhergeführt hatte. Er hatte einen Plan mit mir. Also würde er es wohl kaum böse enden lassen, oder?

Mein Leben gehörte seit jener Nacht ihm. Jesus hatte dies möglich gemacht. Er starb für mich. Und für viele andere. Weil wir es ihm wert waren.

Schweigend senkte ich meinen Kopf vor dem Kreuz. Obwohl mir vergeben wurde, lastete das schlechte Gewissen noch immer schwer auf mir. Zu schlimm waren meine Taten. Mir wurde verziehen und ich bekam eine zweite Chance, aber vergessen konnte ich nicht. Würde ich nie. Ich konnte es nicht ungeschehen machen. Aber die Dankbarkeit gegenüber Gott, die ich in mir trug, war groß. Und genau aus diesem Grund konnte ich wieder klarer denken... freier atmen.

Gedämpfte Stimmen drangen von draußen zu mir hindurch. Träge hob ich den Kopf und strich mir schwarze Strähnen aus der Stirn.

Vor den großen Glasfenstern, die bis auf den Boden reichten, sah ich Adrian und Paula vorbeirennen. Ihre unbeschwerte und fröhliche Art brachte mich zum Lächeln. Sie hatten noch keine Ahnung von dem, was es alles in der Welt gab. Von der Dunkelheit und dem Bösen. Und genau davor sollte man sie schützen, solange man konnte.

Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Erwachsenen, die ihnen beim Spielen zuschauten. Darunter auch Manuel und... sein Bekannter.

Augenblicklicht griff eine kalte Hand nach meinem Herzen und ich spürte wieder das erdrückende Gefühl im Brustkorb. Der Blick des Fremden lag auf den Zwillingen und durchbohrte sie förmlich. Nachdenklich zog er die Augenbrauen zusammen und ab da stand mein Entschluss fest.

Ganz egal, wer er war, Mafiosi hin oder her, ich würde ihn ausfindig machen, suchen und wenn nötig ausschalten. Aaróns Familie würde nichts passieren, das schwor ich nicht nur Olivier und Gott, sondern auch mir!

Hope in the DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt