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"Können Sie es liefern lassen?" Ich stand mit Cindy im second Hand Laden und sah mich um. "Ja, das ist möglich. Kostet aber 10€, wenn es heute noch sein soll. Sonst 5€"
Einverstanden nickte und war bereit die 10€zu geben. Besser als die Dinge auf dem klapprigen Bollerwagen zu stapeln. Dafür besorgte ich ihr bereits einige Kleinigkeiten und machte ihr am Ende sogar klar, dass sie ihre schicke enge Hüfthose bald erstmal weghängen könnte, dafür die von mir gewählten Umstandshosen tragen. "Das ist aber voll hässlich. Solche unsexy Teile trägt man doch nicht!", maulte sie und betrachtete ihre künftige Mode auf dem Weg nach Hause. "Vielleicht hättest du so unsexy Zeug häufiger tragen sollen. Dann wärst du jetzt nicht in der Situation."
Sie sah mich entgeistert an und zog ne Schnute. "Chill mal Junge kann ja nicht so gay sein wie du." Ich stockte kurz und blieb erschrocken stehen. "Bitte?", fragte ich nach und dachte mich verhört zu haben. "Ja was denn? Nach deinem letzten Mal daheim haben alle voll laut diskutiert und Papa meinte nur das es kompletter Unsinn sei. Mama meinte das sie es für wahrscheinlich hält. Entweder das oder du bist ne beschisse Jungfrau!", sie lachte laut los und hüpfte vor mir her.
"Ah und wenn schon. Mir ist deren Meinung egal. Und du solltest auch so wenig wie möglich auf die hören. Hör zu: Ich bin sowieso wie so ein Kuckucksei für die Familie, aber du siehst es ja an unseren Brüdern. Weder sie, noch ich oder du sind das Problem. Sondern unsere Eltern die denken so ein Leben sei normal und akzeptabel. Du solltest mehr wollen! Und wenn nicht für dich, sondern für das da.", mit dem Finger deutete ich auf ihren noch nicht vorhandenen Bauch und man konnte in ihrem Gesicht lesen das sie tatsächlich darüber nachdenken musste.
"Boah Bruder alter... Hast auf dem Internat die Weisheit gefunden oder was?" Gemeinsam mussten wir laut lachen und auch bei meiner 15 jährigen Schwester schien noch nicht alles verloren zu sein.
Daheim angekommen betrachtete meine Mutter unseren Einkauf. Schnippisch ließ sie ein Tzz von sich.
"Wieso kaufst denn du Sachen? Wir haben genug Baby Kleidung."
Es schien ihr zu missfallen das ich etwas neues holte oder meine Schwester dazu motivieren konnte mehr zu tun als das Minimum. "Du meinst die ranzigen Sachen die in Kartons im Keller waren und ebenso mottig riechen?"
Dieser Kellergeruch war eklig und konnte man nicht mal mehr wegwaschen, doch meine Mutter betrachtete sie als noch ausreichend. "Sag mal ich glaub ich spinne. Du scheinst im Lotto gewonnen zu haben. Woher nimmst du die Kohle mhm?", fragte mein Vater. Er paffte eine Zigarette gerade zu Ende, als er sich schon die Nächste stopfte. "Es soll Menschen geben die nebenbei arbeiten... Oder allgemein etwas für ihr Geld tun."
Er klopfte sich erst gegen die Oberschenkel bevor er aufstand und mir eine scheuerte. Wütend bließ er durch seine pumpenden Nasenlöcher und packte mich im Nacken. Er griff so fest das ich automatisch den Kopf hob.
"Was denkst du eigentlich wer du bist. Du bist nichts besseres! Deine Respektlosigkeit geht zu weit - ich werde dir schon wieder beibringen wo dein Platz ist!", er schrie so sehr, dass seine Gesichtsfarbe ins rote wechselte und zum Kontrast des ungepflegt dunklen Bart stand.
"Mach doch. Und wer ich bin? Ja keine Ahnung.", fing ich an ihn weiter zu provozieren. "Guck mich doch mal an und guck dich an. Ich bin der einzig Naturblonde hier und auch der Einzige der überhaupt weiß was ein IQ ist. Ja wer weiß wer ich bin oder vielleicht stamm ich ja von wem ganz anderen ab."
Mein Vater machte mir absolut keine Angst. Angst konnte man nur vor jemandem haben der es in irgendeiner Weise negativ verdient hatte, aber selbst das war nicht der Fall bei meinen Eltern.
"Was willst du also jetzt tun? Mich rauswerfen? Klingt gut, wenn man freiwillig auf das für mich gezahlte Geld vom Amt verzichten will.", ich grinste frech und wusste das ich bloß eine Ohrfeige zu erwarten hätte, aber nichts weiter. "Du Rotzlöffel.", brüllte er und schlug mit einem Schwung zu. Es schalte und Schmerz zog durch mein ganzes Gesicht, selbst mein Ohr traf er und ich rieb etwas gegen den pulsierenden Schmerz an. Doch mein Grinsen war nicht verschwunden und das ärgerte ihn am meisten.
Eigentlich war ich drauf und dran ihm zu fragen wie es sich anfühlt das meine Brüder nur denk mir Anzeichen von Besserung zeigten, aber das Klingeln der Tür unterbrach unseren kleinen Machtkampf den ich dennoch für mich als Sieg verzeichnen konnte. "Hallo... Ähm die Möbel sollten hier her?", ein freundlicher Lieferant stellte mir alles vor die Tür und ich konzentrierte mich ganz darauf die Teile ins Haus zu bekommen. Dort angekommen war es an der Zeit sie teilweise richtig aufzubauen und das Zimmer einzurichten. Auch hierbei störte mich niemand und nur meine zwei jüngeren Schwestern assistierten mir in dem sie mir hier und dort Schrauben oder Werkzeug reichten. Wir hatten unseren Frieden und amüsierten uns sogar noch bei der mühseligen Arbeit. Solange bis zwei Elefanten die Treppe runter stürmten und die Eingangstür schon aufrissen bevor die Klingel zu hören war. "Wir sind schon fertig! Guck, guck!", brüllten sie und mir fiel ein das sie auch heute von Jin zum Training abgeholt werden. "Cool cool. Springt doch schon mal rein", hörte ich ihn und ein anschließendes Freudengebrüll. "Als wären die zwei besessen", stöhnte Conni und auch Cindy verdrehte die Augen. "Killian, Jason!", ich stapfte heraus und schaffte es gerade nur noch sie von hinten zu sehen wie sie dabei waren hinaus und auf Jins Auto zu zu stürmen. "Du solltest denen nicht deinen Schlüssel geben und sie da alleine lassen.", mahnende Worte waren das erste was ich Jin entgegen brachte und noch ehe ich etwas anderes sagen konnte zuckte er mit den Schultern. "Sind sie ja gar nicht..." Ich musste nicht mal genau hinsehen und ahnte was käme. "...Max sitzt im Auto.", beendete ich den Satz. "Ja und hör mal lass uns das doch besprechen." Ich war kurz davor zu platzen, aber mein Zuhause war da der falsche Ort. "Was denn besprechen? Also ich denke du hast doch schon gestern deine Entscheidung getroffen und ich meine. Daran ändert sich nichts mehr. Wenn du dem da ne zweite Chance geben will bitte. Aber ohne mich oder meine Anwesenheit."
Er seufzte laut aus. "Jeder sollte eine zweite Chance bekommen. Nicht nur er. Ich verstehe dich, aber kannst du's nicht versuchen?"
Ich biss mir regelrecht auf die Zunge um nicht zu explodieren. "Und kannst du nicht begreifen, dass es nur seine Schuld ist, dass ich jetzt noch schlimmer gebrandmarkt bin als vorher? Bloß gestellt und gedemütigt - nur wegen dem. JIN! Ich schwöre dir das Wort Vergebung hat bei mir Grenzen.", gedrungen presste ich mir einen leisen Ton heraus. Ich befürchtete das sich meine Eltern einmischen würden und darauf hätte ich einfach keine Lust. Einzig Cindy und Connie hatten sich unauffällig in den Flur geschlichen und lauschten mit. Ich bemerkte sie erst, als ich mich zur Seite drehte und war heilfroh keine Details erwähnt zu haben.
"Worum geht's? Was hat der Typ gemacht?", fragten Cindy neugierig, wurde aber von Connie angestubst. "Ist doch egal, aber wenn der unseren Bruder verletzt hat dann soll er zur Hölle fahren! Hörst du Lulatsch!?", sie wandte sich an Jin und in den Augen einer 13 jährigen war er tatsächlich ein Riese mit einer gewaltigen Statur. "Ey, ein Bro hält zu seinem Bro, wenn der fertig gemacht wird." Lautstark protestierte sie und deutete mahnende auf Jin. "Und was soll ich deiner Meinung nach machen hä?", er packte seine große Hand auf ihren Kopf, drückte leicht nach unten und zerstörte ihre gesamte Frisur. "Boah Junge! Ja entscheide dich." Ich hob unschuldig die Arme, grinste und sah ihn an. "Ja Bro... Das Leben ist hart."
Es passte ihm gar nicht von einer 13 jährigen belehrt zu werden, dass sah ich ihm an und normalerweise würde ich das nächste Mal, wenn wir im Bett wären die Konsequenz aus dem frechen Verhalten spüren und eingehämmert bekommen, aber selbst darauf hatte ich tatsächlich keine Lust. Das erste Mal in meinem Leben in dem ich sogar freiwillig darauf verzichte hemmungslos gefickt zu werden.
Irgendwann hupte es von draußen und widerwillig, sowie angefressen die Unterhaltung nicht gewonnen zu haben ging er und fing an zu murmeln. "Ey! Pass beim Training auf. Mehr blaue Flecken wären scheiße.", rief ich ihm hinter her. Warf die Tür aber bereits zu bevor er sich umdrehen konnte. Ich war der Meinung es wäre nicht ganz verkehrt einen kleinen psychologischen Trick anzuwenden um Jin zu zeigen auf wessen Seite er sich stellen sollte. Wir stritten und waren beide sauer, aber er könne ruhig spüren das ich mich dennoch sorgte. Ich fand das so ein bisschen Manipulation in der Liebe und Krieg schon gerechtfertigt wäre.

Am Abend waren wir schon längst fertig mit den Möbeln. Wir kamen schneller voran als erwartet und trotz dessen, dass sie mich alles fünf mal umstellen ließen war irgendwann alles an seinem Platz. Auch die paar neuen Kleidungsstücke wurden eingeräumt und nach und nach sah das Müllzimmer endlich aus wie ein Babyzimmer in dem meine Schwester zukünftig wenigstens etwas vernünftig leben könnte. "Lucas ich wollte dir echt danken.", fing Cindy irgendwann an, als ich anfing das Werkzeug zu verstauen. "Wofür? Das machen Familien normalerweise für einander.", sagte ich nüchtern, aber mir, Cindy und Connie war klar, dass so etwas in unserer Familie eben keine Selbstverständlichkeit war. Wir halfen uns selten freiwillig gegenseitig. Nicht mal viel Zeit verbrachten wir gemeinsam und manchmal sah ich meine anderen Schwestern und Brüder tagelang nicht. Hin und wieder vergaß ich sogar ihre Namen. Ohne Vorwürfe und ohne einen eigenen Vorteil heraus zu ziehen war hier kaum eine Gefälligkeit vom anderen zu erwarten.
"Nein, dass meine ich nicht. Also auch, aber ich meine das du recht hast und unsere Eltern falsch liegen. Ich will hier nicht leben und ausziehen, so bald wie möglich."
"Mhm ja geht mir genau so. Aber du hast noch ein paar Jahre vor dir." Ich sah in ihre traurigen Augen und bekam ein schlechtes Gewissen. "Hör mal: solange muss ich nicht mehr zur Schule. Ich kann bald den Abschluss machen und eine richtig gute Arbeit finden. Vielleicht kann ich ja dann was machen." Urplötzlich wurden aus den traurigen Augen hell leuchtende mit Glitzer im Blick. "Ernsthaft? Du stehst mir dann zur Seite?" Leise brummend räusperte ich mich. "Ja, ich weiß noch nicht wie genau, aber irgendwie ja... Ich bin zumindest immer für dich da."
Stürmisch sprang sie mich an und ließ mich fast gar nicht mehr los.
"Schon gut, lass los. So umklammern kannst du den Typen der dich schwängerte. Apropo... Wer wars eigentlich?"
Ich hatte das bislang gar nicht gefragt, war aber nun doch neugierig. "Das ahmh... Ich weiß wer, aber das.... Mags nicht so sagen.", zögernd stotterte sie vor sich her doch ich blickte sie weiterhin ernst an. So intensiv, dass sie irgendwann doch einknickte. "Okay ja man. Brüder sind gruselig... So ein Junge von ner Party. Aber der ist so dusselig und nimmt hin und wieder Pillen."
Augenrollend wurde mir klar, dass sie also keinerlei Hilfe oder Unterstützung von einem Junkie erwarten könnte. "Wow... Naja egal. Zumindest bei dem Thema kann unsere Familie stolz behaupten das keiner von uns Kindern ein Junkie oder Alki ist."
Ich war tatsächlich stolz darauf, auch wenn es etwas sarkastisch klingen mag.

"Lucas, wir sind wieder da!" ausgepowert, aber fröhlich begrüßten meine Brüder mich direkt, als sie wieder da waren. Und dies war ein absolutes Highlight für mich. "Sry, dass es so spät wurde, aber die beiden wollten noch bei einigen Showkämpfen der Profis zusehen. Mein Vater hatte seine Kollegen heute da.", Jin hatte sie zurück gebracht und war erneut mit hinein gekommen. "Ah und was Shows angeht. Willst nicht eine machen? Bei mir?", fragte er während die Augen meiner Brüder leuchteten. "Du boxt?"
Gott sei Dank verstanden sie absolut null von Jins Andeutung. "Nur aus Spaß und nur mit Jin.", halb log ich, halb schmückte ich die Wahrheit aus. Zumindest hatten wir unseren Spaß. "Nein danke... Montag und Dienstag geht ja auch noch.", sagte ich zu Jin und er sollte ja nicht glauben, dass er mich mit seiner schnellen Internetgeschwindigkeit ködern könnte. Ich nahm den abendlichen Stress billigend in Kauf, solange er noch meint Max eine zweite Chance zu geben.
"Du hättest übrigens auch kurz anrufen können oder ne WhatsApp schreiben, wenn es später wird.", fiel mir kurzerhand ein.
"Ja, aber ich glaub ich hab mein Handy zuhause vergessen. Also ich dachte zwar ich hatte es bei, aber scheinbar liegt's noch daheim."
Es nervte mich zwar, aber ärgern brachte nichts. "Gut, dann bis morgen Abend. Ich warte hier."
Er verabschiedete sich und mein Blick fiel wieder auf die Kröte auf dem Beifahrersitz. "Ich warte auf dich.... Dich. Hörst du?", provokant und laut brüllte ich es quer durch den Vorgarten bis hin zur Straße an der Jin vor seinem Auto stand, nickte und los fuhr.

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