Kapitel 5

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Die nächsten Momente liefen vor mir wie ein Film ab. Jared fragte mich, wo sich mein Spind befand und ob ich darin Wechselkleidung hätte. Ich hatte nur abgehackt genickt und meine Füße hatten sich von selbst bewegt. Das der Jared Cameron mit mir durch die, mit Flaggen dekorierten, Gänge ging, kam mir surreal vor und ich war mir nicht sicher, ob es Wirklichkeit oder ein Traum war. Den Code für das Schloss hatte ich, vor Aufregung, zwei Mal falsch eingeben. Überdeutlich hatte ich Jareds Nähe gespürt, der mir nicht von der Seite wich. Selbst als ich auf der Toilette verschwand, um mir eine neue Hose anzuziehen, geschah alles in einer Art Trance. Unaufhörlich pochte mein Kopf und die Bewegungen verstärkten es nur. Eh ich mich versah, folgte ich ihm durch den Schulkorridor zum Krankenzimmer.

Schwester Aiana drehte sich mit ihrem Stuhl zu uns, als wir den Raum betraten.

„Hallo ihr beiden." Ihr Blick glitt kurz über Jared und stockte bei mir. „Oh Kim, sag bloß die Tablette war schon zu spät."

Jared räusperte sich, bevor er mit seiner dunklen Stimme sprach. „Ich glaube, sie hat gar keine genommen."

„Nicht?", fragte Aiana verwundert, während sie aufstand und zu ihrem Apothekerschrank hinüberging. Mit ihrem Arm deutete sie auf eines der Betten. „Ruh dich dort aus, Kim. Was ist mit der Tablette passiert?"

Ich war nicht in der Lage zu antworten, legte mich auf die Matratze und hörte Jareds Stimme, wie aus weiter Ferne etwas sagen. Kaum dass ich lag, schlossen sich meine Augen wie von selbst und ich genoss die Dunkelheit. Erleichternd atmete ich aus.

„Verstehe. Dann bekommst du natürlich eine neue Tablette, Kim. Schlaf danach etwas und später wird es dir wieder besser gehen." Geräusche eines schließenden Schrankes war zu hören, dann das Klirren eines Glases. „Danke Jared, dass du Kim hierhin gebracht hast."

Wasser wurde in das Glas gefüllt und erneut konnte ich Jareds Antwort nicht hören.

Aiana erwiderte: „Aber nein. Du gehst zurück in den Unterricht. Ich habe mitbekommen, dass du so einiges an Schulstoff verpasst hast. Und das muss wirklich nicht mehr werden. Also nun ab mit dir."

Die Tür öffnete sich und einige Momente später, als ich dachte, dass er bereits gegangen war, hörte ich ihn noch sagen: „Gute Besserung, Kim."


Zwei Schulstunden später wachte ich auf. Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen und die vergangenen Ereignisse kamen mir wie ein Traum vor. Vielleicht waren sie das ja auch. Denn meine Schultasche stand neben dem Bett und ich konnte mich nicht erinnern, wie ich die hierhin mitgenommen hatte. Womöglich hatte ich mich nie in den Englisch Unterricht gesetzt und hatte mich bei meinem ersten Besuch bei Schwester Aiana hingelegt. Das musste es sein. Jared würde sie nicht um mich kümmern.

Ich zog die Bettdecke zurück und stockte. Das an meinen Beinen war eindeutig meine Sporthose - mit der ich nie außerhalb der Turnhalle rumlaufen würde! Zitternd atmete ich ein und ein Duft stieg mir in die Nase, der mich stark an den Wald erinnerte. Der Geruch stammte von Jareds rot-weißer Collegejacke, die ich trug und ich hatte sogar in ihr geschlafen!

Das war kein Fiebertraum gewesen. Er hatte mich wirklich in das Krankenzimmer gebracht! Überfordert mit allem, blieb ich sitzen und versuchte, mich zu erinnern. Aber aufgrund der Kopfschmerzen waren es lediglich einzelne Szenen, die sich vor meinen Augen abspielten.
Schwester Aiana unterbrach mich dabei, als sie zu mir ans Bett trat. Nach einer kurzen Untersuchung, in der sie feststellte, dass es mir besser ging, schickte sie mich in die Cafeteria. Es würde sich nicht lohnen, jetzt noch zum Unterricht zu gehen. Stattdessen sollte ich ein ordentliches Mittagessen zu mir nehmen.

Die Kantine war leer, als ich mich mit meinem Tablett an einem der äußersten Tische niederließ und anfing, die Pommes zu essen. Es dauerte nicht lang und der Saal füllte sich mit weiteren Schülern. Ich sah mich nicht groß um und wartete auch auf niemanden. Manchmal verbrachte Alex die Pause bei mir, aber häufig blieb sie am Tisch der Cheerleaderinnen. Und das war okay für mich. Wir brauchten nicht ständig aufeinander zu hocken. Dennoch wünschte ich mir von Zeit zu Zeit eine Freundin, auf die ich in solchen Momenten wartete. Mit der ich über Jared reden könnte. Leider hielt sich meine Sozialkompetenz in Grenzen und ich hatte es nie über nette Bekanntschaften hinaus geschafft.

Stöhnend ließ sich jemand neben mir auf den freien Stuhl fallen. Heute war wohl einer der Tage, an denen Alex mir Gesellschaft leistete.

„Du musst allein nach Hause, Kimmy." Sie rollte mit den Augen. „Walker hat mir Nachsitzen aufgebrummt", erklärte sie schnaubend. „Und das alles nur wegen den zwei Neandertalern." Alex nahm sich eine Pommes von meinem Teller. „Was trägst du da eigentlich?"

Die Jacke von Jared. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht sie auszuziehen. Die kurze Zeit, in der ich sie tragen durfte, wollte ich genießen. Ich hatte sogar ein kleines Loch in einer der Taschen gefunden. Weiter Jareds Duft einzuatmen, half mir dabei, mich zu entspannen und verhinderte, dass die Kopfschmerzen zurückkamen.

„Hab mich nassgemacht", nuschelte ich als Antwort.

„Du Tollpatsch", kicherte Alex kopfschüttelnd. „Sag Mom jedenfalls, sie soll mir etwas von der Lasagne aufheben. Nach der Schule geh ich erst mal Laufen. Frustabbau und so." Sie kramte in ihrer Tasche herum und holte den Autoschlüssel heraus.

Offiziell gehörte das Auto uns beiden und ich besaß auch einen eigenen Schlüssel dafür. Aber ich war kein großer Fan vom Fahren und mied es, so gut es eben ging. Deswegen verstaubte mein Schlüssel auf meinem Schreibtisch. Ich nahm den von Alex an mich.

„Wir sehen uns dann heute Abend." Meine Schwester nahm sich eine letzte Pommes und schob den Stuhl zurück, doch sie stockte und stöhnte genervt auf. „Ach ne. Was wollt ihr denn hier?"

Ich war gerade dabei mir die nächste Fritte in den Mund zu schieben, als ich ihren Blick folgte und mein Finger in der Luft stehen blieb.

Neben unseren Tisch standen Jared und Paul und es sah nicht so aus, als würden sie gleich wieder verschwinden. Mit meiner Vermutung hatte ich Recht, denn sie setzten sich mit ihrem Essen uns gegenüber hin.

„Was soll das denn?", stellte Alex die Frage, die uns beiden durch den Kopf fuhr.

„Siehst du doch, wir leisten euch Gesellschaft", sagte Paul und fing an, sich an seinem Teller zu bedienen. „Und essen", fügte er kauend hinzu.

„Das sehe ich", entgegnete Alex angewidert. „Aber warum hier?"

Sie bekam keine Antwort, stattdessen kaute Paul fröhlich weiter und Jared sah zu mir. „Geht es dir besser, Kim?"

„Wieso besser?" Alex wandte ihr Gesicht zu mir und scanne mich ab. „Ging es dir nicht gut?"

Drei verschiedene Augenpaare blickten zu mir und warteten darauf, dass ich etwas sagte. Meine Pommes landete wieder auf dem Teller – ich würde ab jetzt eh nichts mehr herunterbekommen.

„M-mir gehts wieder gut", meinte ich ausweichend und war stolz auf mich, meinen ersten anständigen Satz vor Jared herausbekommen zu haben.

Ich sah, wie er sich seine Augen kurz weiteten, ehe er ausatmete. War er etwa erleichtert? „Das freut mich."

„Kann mich mal bitte jemand aufklären?", fragte Alex und blickte zwischen uns hin und her.

Paul hob einen Finger und deutete auf mich. „Deine Schwester, ist wegen Jared hier, fast an einer Tablette erstickt."

„Wie bitte?!" Schärfe Klang in Alex Ton mit und sie sah mit gekniffenen Augen zu Jared.
Dieser hatte sich ungewohnt klein gemacht und sah zu seinem Teller hinunter. „Es tut mir Leid, Kim", nuschelte er und kurz blickten seine Augen zu mir auf.

Die Erkenntnis, dass er sich die Schuld dafür gab, war, als hätte mich jemand mit Eiswasser übergossen.

„A-alles Gut. Es ist ja nichts passiert", waren meine ersten Worte, die ich direkt an Jared richtete. Den Tag musste ich im Kalender markieren. Wenn es so weiter ging, würde ich es sogar schaffen, meinen Jahresvorsatz zu erfüllen. Ein kleines Lächeln glitt über meine Lippen und Jared richtete sich augenblicklich wieder auf und erwiderte es. Er lächelte mich an!

„Jedenfalls" , sprach Paul weiter „hat Jared Kim ins Krankenzimmer gebracht, wo sie sich offensichtlich erholt hat. Nächstes Mal kannst du aber auch auf uns warten", richtete er seinen letzten Satz an mich.

Blinzelnd sah ich ihn an und verstand nicht, was er damit meinte.

„Und dir geht es wirklich wieder besser?"

Bestätigend nickte ich Alex zu, die sich daraufhin an Pauls Teller bediente.

„Hey! Hol dir dein eigenes Essen!" Bildete ich es mir ein oder war da ein Knurren aus Pauls Stimme zu hören?

„Vergiss es. Das schuldet ihr mir!"

„Hä? Warum das denn?"

„Na, rate mal."

„Ich hab keine Lust auf dämliche Ratespiele, Connweller."

„Dank euch habe ich von Walker Nachsitzen bekommen."

Sowohl Paul, als auch ich sahen sie verwundert an. Jared hatte sich inzwischen an sein eigenes Essen gewandt, aber deutlich spürte ich seinen Blick auf mir.

„Was können wir denn dafür? Keine Hausaufgaben gemacht, was?" Er verdrehte die Augen. „Was hab ich die in den Wochen vermisst. Nicht."

Zähneknirschend wiederholte Alex seine Worte. „Keine Hausaufgabe gemacht?! Sag mal, willst du mich verarschen? Ich bin zu spät gekommen! Und das, weil ihr beiden mich heute morgen aufgehalten habt. Nur um mich dann dämlich anzustarren und blöde Fragen zu stellen."
Erkenntnis war in den Gesichtern der Jungs zu sehen.

„Ach das, ja, sorry, war ein Missverständnis", nuschelte Paul zwischen zwei Bissen.

„Davon werde ich das Nachsitzen auch nicht los", keifte Alex und ich wusste, dass man sie jetzt nicht mehr beruhigen konnte.

Ich nahm einen Schluck meiner Cola und beobachtete, wie sie aufsprang und Paul einen giftigen Blick zu warf. Jared legte eine Hand auf Pauls Schulter und erst da bemerkte ich, dass Pauls Körper ungewöhnlich stark zitterte.

„Es tut uns leid, Alexandra", entschuldigte sich Jared, ließ seinen Blick jedoch nicht von seinem Freund los.

Alex schnaubte, schien aber keine große Lust an einer Konfrontation zu sein, denn sie drehte sich um und machte einen filmreifen Abgang, indem sie ihre Haare nach hinten warf.

„Bis heute Abend, Kimmy", rief sie noch und verließ dann die Cafeteria.

His wallflowerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt