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Im Januar war der Sonnenuntergang in La Push bereits im vollen Gange, kaum dass wir nachmittags zu Hause ankamen. Dementsprechend dunkel war es, als Jared den Wagen in der Nähe des Strandes zum Stillstehen brachte und die Scheinwerfer erloschen. Auf dem Parkplatz stand ein weiteres Auto, welches ich Sam zuordnen konnte. Die anderen waren also schon da. Hatten Jared und ich tatsächlich so viel Zeit bei mir vertrödelt? Dabei war es mir nicht so vorgekommen.
Jared war nervös. Während der Fahrt hatte er sich mehrfach durch die kurzen Haare gestrichen, mir immer wieder seltsame Blicke zugeworfen und tiefe Atemzüge gemacht. So kannte ich ihn nicht. Und das machte mich nervös. Ganz neben der Tatsache, dass mein Liebesgeständnis – war es überhaupt eines? Schließlich hatte ich dann behauptet, ich wüsste nicht, wie ich empfand – zwischen uns in der Luft schwebte und mich immer noch die Unwissenheit plagte, weswegen Jared mich damals wahrgenommen hatte. In meinem Zimmer hatte er mir auf meine Frage nicht geantwortet. Stattdessen hatte er plötzlich darauf bestanden, mit mir zum Lagerfeuer zu fahren.
Ich verstand nicht, was das sollte. Wir mussten reden. Zu zweit. In Ruhe. Nicht, wenn Paul, Emily, Sam und Billy Black anwesend waren. Danach konnten wir immer noch zum Strand. Aber nachdem er so nachdrücklich darauf beharrte, hatte ich nachgegeben und war ihm ins Auto gefolgt.
Erneut nahm Jared einen tiefen Atemzug und warf mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht deuten konnte, und stieg aus dem Wagen. Ich tat es ihm nach und war dankbar für die sternenklare Nacht, die mir den Weg wenigstens etwas erhellte. Der Mond war leider nur eine kleine Sichel, aber ich nahm jedes bisschen Licht gerne an. Meine Taschenlampe hatte ich vergessen und auch Jared schien keine mitgebracht zu haben. Die Plastiktüte in meiner Hand knisterte und die Wellen des Meeres konnten wir von hier aus bereits hören. Der Wind brachte das Kleid der Tannenbäume zum Rascheln und meine Haare wehten wild umher.Wir verließen den Parkplatz und unsere Füße sanken leicht im Sand ein. Heute trug ich keine Ballerinas, sondern festeres Schuhwerk und bekam keine unwillkommenen Körner an meine Füße. Das dachte ich jedenfalls, bis ich stolperte und Jared mich auffing. Die plötzliche Nähe zu ihm entspannte mich augenblicklich. Mein Körper kam gegen Jared Nähe einfach nicht an.„T-Tschuldige, ich sehe kaum was", erklärte ich mich und wusste nicht, ob ich einen Schritt zurückgehen sollte. In den vergangenen Stunden, nein in den letzten Tagen, hatte sich eine Distanz zwischen uns aufgebaut, dabei waren wir doch zusammen. Das sollte nicht so sein, oder?
„Tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht", sagte er zerknirscht und hielt von da an meine Hand und warnte mich, wenn etwas vor uns lag.
Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass er solch gute Augen besaß. Mein imaginäres Jared-Lexikon von Tag zu Tag dicker.
Schweigend gingen wir weiter. Sein Händedruck war stärker als üblich, als hätte er Sorge, ich würde verschwinden.
In einiger Entfernung konnte ich einen hellen Feuerschein und mehrere Silhouetten erkennen. Die dunklen Gestalten nahmen immer mehr Form an, je näher wir traten. Überrascht bemerkte ich, dass eine Person mehr da war, als ich erwartet hatte.
„Da seid ihr ja!", rief Paul uns zu. Sein Blick fiel aus unsere verschlungenen Hände und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er nahm wohl an, dass Jared und ich alles geklärt hatten, nachdem er sich nach der Schule von uns verabschiedet und uns Zeit zu zweit gegeben hatte. Nun, da irrte er sich. Leider. Aber jetzt war der falsche Zeitpunkt ihn aufzuklären.
„Perfektes Timing. Wir sind gerade mit dem Feuer fertig", begrüßte Sam uns. „Dort drüben steht was zu Essen."
„Was hast du mitgebracht, Kim?", fragte Paul und sah erwartungsvoll zu der Tüte in meiner anderen Hand.
„Du denkst auch immer nur an das Eine, Paul", rief Emily lachend ihm zu. Sie hockte an einer kleinen Truhe am Boden und schien dort etwas herausholen zu wollen.
„Wir hatten noch eine Tüte Marshmallows zu Haus", verriet ich und gab sie an Paul weiter, dessen Grinsen noch eine Spur größer wurde. Glücklicherweise war mir noch eingefallen, dass wir eine in der Küche liegen hatten. Ohne etwas zu Essen wollte ich nicht auftauchen, wo ich doch zu dem Lagerfeuer eingeladen worden war. Dad würde die Packung schon nicht missen. Durch den Stress der vergangenen Tage hatte ich völlig vergessen, etwas vorzubereiten.
„Die nehm ich doch gerne", lachte er und nahm diese sofort heraus, öffnete sie und stopfte sie eine Handvoll Zucker in den Mund.
„Komm", sagte Jared zu mir und führte mich zu einem langen Stück Holz, das wohl als Sitzmöglichkeit dienen sollte. „Möchtest du was trinken?"
„Eine Cola, bitte."
Er ging zu Emily hinüber, während ich mich auf das verwitterte Holz setzte. Eine starke Windböe kam auf und brachte das Feuer vor mir in Bewegung. Es knisterte und die Wärme strahlte mir auf das Gesicht, während mein Rücken von Kälte überzogen wurde. Um das Lagerfeuer herum lagen weitere drei Holzbänke. Nun erkannte ich auch die fünfte Person, die mit trüben Gesichtsausdruck ins Feuer starrte.
Es war Embry Call, der beste Freund von Jacob Black und Quil Ateara. Aber er sah gar nicht mehr so aus, wie vorige Woche. Es war das gleiche, wie bei Jared und Paul. Aus dem schmächtigen Teenager war ein kräftiger junger Mann geworden. Wie war das möglich? Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, sind doch nur wenige Tage vergangen!
„Hallo Kim. Schön, dass du da bist", begrüßte mich Billy Black mit rauer Stimme und riss meinen Blick von Embry los.
Billy saß auf mir schräg gegenüber in seinem Rollstuhl und in mir kam die Frage auf, wie er mit dem Gerät über den Sand kam. Die Jungs mussten ihm geholfen haben herzukommen.
„Hallo, Mr. Black. Ich freue mich auch sehr hier zu sein."
„Nenn mich Billy, Kind", sagte er und ich erwiderte sogleich sein Lächeln. Das Feuer spiegelte sich in seinen braunen Augen wieder und ich erinnerte mich an die früheren Lagerfeuer zurück, als ich jünger war und er noch nicht im Rollstuhl gesessen hatte. „Ich habe dich lange nicht mehr gesehen. Du bist groß geworden. Wie alt bist du jetzt?"
„Ich werde dieses Jahr sechzehn."
Er seufzte und blickte ins Feuer. „Wie die Zeit doch vergeht. Jacob ist nur ein Jahr jünger."Aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Embry bei der Erwähnung seines besten Freundes zusammenzuckte.
„Ach, Billy, nun sei nicht so sentimental", lachte Emily und strich ihm über die Schulter. „Hallo, Kim."
„Hallo, Emily", sagte ich und erwiderte ihr herzliches Lächeln.
„Das dort drüben ist Embry Call. Du kennst ihn sicher. Seine Mom arbeitet im Souvenirladen hier am First Beach."
„Ja. Hi", sagte ich und winkte ihm zu. Ob Jared ihn meinte, als er letztens davon sprach, dass sie auf der Arbeit Verstärkung bekommen würden?
Er starrte weiter unbewegt in das Feuer, doch ich sah ihm an, wie er sich mit einem Mal anspannte. Er zitterte leicht und es lag nicht an der Kälte, darauf wettete ich.
Meine Hand sank zurück auf mein Bein. Emily zwinkerte mir beruhigend zu.
„Wie geht es Jacob?", erkundigte sie sich bei Billy und setzte sich auf den Baumstamm mir gegenüber hin. Wir unterhielten uns ein wenig miteinander. Jared reichte mir zwischenzeitlich eine Cola und einen Teller mit Essen, welches Emily zubereitet haben musste. Für sich selbst holte er auch etwas – sein Teller quoll fast über – und er setzte sich neben mich.
Sam nahm bei seiner Freundin Platz und reichte ihr ebenfalls Essen, während Paul es sich neben Embry gemütlich machte. Als mein Blick über den Lagerfeuerplatz glitt, fiel mir auf, dass es genügend Sitzmöglichkeiten für dreimal soviel Leute gab. Dass Billy dennoch für eine solch kleine Truppe extra hierherkam, rechnete ich ihm hoch an.
Die Teller leerten sich und wurden in einer mitgebrachten Mülltüte eingesammelt. Kaum, dass der letzte Rest verschwand, schien sich die Stimmung zu verändern. Die einzelnen Gespräche zwischen uns endeten, das Feuer leuchtete stärker und ein Jeder von uns schenkte Billy seine Aufmerksamkeit. Mit einem Mal hüllte ihn eine mystische und autoritäre Aura ein. Er saß da, als ob er es schon immer getan hätte. Als wäre dies sein Platz und er würde genau hierhin gehören. Das Holz knisterte leise vor sich her und er fing zu sprechen.
Ich merkte kaum, wie Jared seine Hand in die meine schob und sie miteinander verflochte.Billy erzählt von unseren Vorfahren und dem, was sie erlebten. In Licht des Feuerscheins fingen an sich Bilder vor mir zu formen. Begleitet von Billys Stimme zeigten sie mir eine Geschichte, die ich längst vergessen hatte und die eng mit meinem Volk verbunden war. Taha Aki, dessen Körper von Utlapa geraubt wurde. Wie er wiederum den Körper eines Wolfes nutzen durfte und sich schlussendlich mit ihm verband und zu seinem Stamm zurückkehrte.
Taha Aki und seine Söhne, die eines Tages auf die Spur von kalten Wesen kamen. Als die dritte Frau ihr Leben für ihren Mann opferte, sah ich, wie Sam Emily zu sich hinüber auf den Schoß zog und sein Gesicht in ihrer Halsbeuge vergrub. Auch Jared neben mir fing an, auf dem Holz unruhig zu rutschen. Seine Hand drückte meine und als ich kurz zu ihm blickte, bemerkte ich, dass er mich intensiv anblickte. Das Feuer spiegelte sich in seinen braunen Augen. Die Geschichte schien ihn stark mitzunehmen. Tiefe Gefühle waren in seinen Seelenspiegeln erkennbar. Es hörte sich kitschig und unglaubwürdig an, aber ich hatte mich nie in den Augen einer anderen Person, als Jared verloren. Es war, als würden seine starken Gefühle auf mich übergehen und es fiel mir schwer, den Blick wieder abzuwenden und Billy weiter zuzuhören. Nun war ich diejenige, die Jareds Hand drückte und ihm Kraft zu schicken versuchte.
Als die Stimme von Billy schließlich verklang, hing die Legende noch immer in der Luft und schien sich nur schwer von uns zu lösen. Ich fühlte mich unserer alten Sage gegenüber seltsam verbunden. Wie viel davon wahr sein mochte, wusste ich nicht und wollte es auch nicht hinterfragen. Hinter jeder Legende war ein Fünkchen Wahrheit zu finden und ich war stolz darauf, zu dem Stamm der Quileute zu gehören. Mein Blick war wieder auf das helle Licht vor mir gerichtet. Eine Böe trat auf und ließ das Feuer umher wackeln. Heißer und kalter Wind wirbelte in mein Gesicht und holte mich langsam zurück in die Gegenwart. Nach Hause zu Jared, der meine Hand zu keiner Sekunde losgelassen hatte. Seit vorhin hielten wir einander fest und dank ihm und dem Feuer war mir wohlig warm.
„Kim?", flüsterte Jared und schien die herrschende Atmosphäre nicht kaputtmachen zu wollen.
„Hmh?"
„Würdest du ein wenig mit mir spazieren gehen?"
Verwundert über die Frage, blinzelte ich mehrfach. Er wollte jetzt mit mir spazieren gehen? Während die anderen noch hier saßen? Ich sah zu unseren Freunden. Emily und Sam wisperten sich leise etwas zu. Mittlerweile saß sie auf seinem Schoß und er strich ihr sacht über das Gesicht. Selbst Paul war seltsam still und tief in Gedanken versunken. Er und Billy, bei dem sich ein sanftes Lächeln auf die Gesichtszüge gelegt hatte, blickten ins Feuer. Embrys Gesicht mochte ich nicht zu deuten, denn so viele verschiedene Emotionen huschten darüber und schienen miteinander zu ringen.
„Okay", sagte ich leise und stand gemeinsam mit Jared auf.
Die anderen blickten nicht zu uns auf, als wir uns von der Lagerstelle entfernten und gemächlichen Schrittes dem Meer näherten.❀
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His wallflower
WerewolfAus sicherer Distanz heraus schwärmte Kim über Jahre hinweg von Jared. Er war das Licht ihrer Welt. Der Grund, weshalb sie morgens das Haus verließ. Umso verlorener fühlte sie sich, als er verschwand. Die Neuigkeit, dass er nach langen, dunklen Woch...