Kapitel 22

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31.01.2006

Eine halbe Woche war seit unserem Date vergangen. Irgendwie hatte Paul das mit unserem Sturz doch aus Jared herausbekommen und wie zu erwarten, zog er ihn damit fast stündlich auf. Insbesondere dann, wenn Jared mir einen Kuss geben wollte, wurde das von einem Kommentar seitens Paul begleitet. Die laut Emilys und Sams Schmunzeln wohl wirklich witzig sein mochten, nur eben für Jared und mich nicht.

Das Wochenende hatten wir die meiste Zeit zusammen verbracht. Mal alleine, mal mit Paul, Emily und Sam und am Sonntagabend hatte Mom Jared zum Essen in einem Restaurant in Port Angeles eingeladen. Wir waren beide nervös gewesen, aber es wurde ein lustiger Familienabend zu fünft. Jared schaffte es ohne große Schwierigkeit Mom komplett auf seine Seite zu ziehen und auch Dad hatte mir, kurz vor dem Schlafen gehen, gesagt, dass Jared ein guter Freund war. Als ich ihm das am nächsten Schultag erzählte, freute er sich sehr den Segen unserer Eltern für unsere Beziehung zu haben. Es kam mir fast so vor, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Denn so hatte es sich auch für mich angefühlt.

Das Wetter hatte sich in den letzten Tagen deutlich gebessert und aus diesem Grund fand am kommenden Donnerstag erneut ein Lagerfeuer statt und ich freute mich bereits drauf. Gedankenverloren pikste ich eine Nudel auf und schob sie mir in den Mund. Heute war ich erneut alleine in der Cafeteria und auch Alex würde mir keine Gesellschaft leisten. Sie hatte in der Nacht Fieber bekommen und blieb deswegen zu Hause. Paul und Jared waren von Sam zum Arbeiten abkommandiert worden. Ich hoffte für die Schulleistung der beiden, dass das nicht allzu oft vorkommen würde. Ob etwas passiert war?

Mir fiel auf, dass es am Tisch von Jacob Black seltsam ruhig war. Embry fehlte.

Genau wie letzte Woche kam das Gefühl der Einsamkeit über mich hinein. Alleine an dem Tisch am Fenster zu sitzen, gefiel mir nicht. Ich spürte vereinzelte Blicke meiner Mitschüler auf mir und wollte mich verstecken. Vielleicht sollte ich den Rest der Pause lieber woanders verbringen. Großen Appetit hatte ich auch nicht.

Ich erschrak, als ein Stuhl vor mir über den Boden rutschte und ein quietschendes Geräusch machte. Da erkannte ich, wie Coraima und Dakota sich vor mich hinsetzten und ihre Teller abstellten. Letztere aß sogleich von ihrem Salat, während sie ihren Blick über mich gleiten ließ. Sie wollten tatsächlich hier ihre Pause verbringen. Ich hatte mir zwar gewünscht, dass sich jemand zu mir setzen würde, aber nicht die beiden. Es gab nur drei Personen, die ich mich herbei wünschte, und die beiden Cheerleaderinnen gehörten sicherlich nicht dazu. Dass sie hier an unserm Tisch saßen, fühlte sich falsch an. Als ob jemand an einer Tafel kratzte. Am liebsten hätte ich mich geschüttelt, um dieses Gefühl loszuwerden.

„Hallo Kim", begrüßte mich Coraima mit ihrer hohen Stimme und mir fiel unsere letzte Unterhaltung im Waschraum ein. Wie seltsam. Jahrelang hatten wir kein Wort miteinander gewechselt und jetzt war es schon das zweite Mal, dass sie das Gespräch mit mir suchten. Letzte Woche hatten sie auch öfters an meinem Spind gestanden. Hatten sie etwa versucht, mich abzupassen?

„Hallo", entgegnete ich leise und überlegte, ob ich bereits zum nächsten Klassenraum gehen sollte. Aber trotz, dass ich mich so spät gesetzt hatte, war die Mittagspause noch lang nicht vorbei.

„Wir haben dich doch eingeladen, mal mit uns zu essen. Aber du bist nie gekommen, Kim", sagte sie und warf mir einen Blick zu, den ich nicht zu deuten wusste.

Sollte das ein Vorwurf sein? Ich gab einen Laut von mir, der ihr hoffentlich als Antwort genügte. Seit unserem Gespräch war über eine Woche vergangen. Selbst wenn ich gewollt hätte – und das wäre nicht einmal in einem Paralleluniversum der Fall – war keine Gelegenheit dazu dagewesen.

„Und, wie geht es dir so?", fragte sie und und trank einen Schluck Wasser. Am Glas blieb ein roter Abdruck ihres Lippenstiftes kleben und erinnerte mich daran, weshalb ich in der Regel auf Lippenstifte verzichtete. „Weil es mir gar nicht gut geht, weißt du?", redete sie einfach weiter. Ihre Stimme hatte einen kläglichen Klang angenommen.

Stirnrunzelnd sah ich zu ihr und wartete darauf, dass sie weitersprach. Aber diesmal schien sie tatsächlich eine Antwort zu erwarten, denn sie war verstummt und seufzte nur vor sich hin. Unbehaglich rutschte ich auf dem unbequemen Stuhl hin und her, als das Schweigen sich in die Länge zog. Abermals stieß Coraima dramatisch einen Seufzer aus und ich tat uns den Gefallen und gab ein fragendes Geräusch von mir.

„Willst du es wirklich hören, Kim?" Sie schob ihre Unterlippe hervor und es war seltsam, einen Teenager mit der Mimik eines Kindes zu sehen. „Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich es dir sagen soll oder nicht."

Über den Tisch griff sie nach meiner Hand und drückte sie leicht. Mit großen Augen sah sie zu mir. Der Körperkontakt mit ihr gefiel mir nicht, aber mir fehlte die Kraft, ihn zu unterbrechen.

„Ich hatte wirklich gehofft, dass das nicht passiert", sagte sie und machte mich mit ihren kryptischen Worten nervös.

„Hmh?" Ich spürte, wie mein Herz vor Aufregung anfing, wild zu klopfen.

„Ach, ich kann einfach nicht." Sie schlug die Augen nieder und schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich will dir nicht weh tun."

Dakota ergriff mit ihrer kalten Stimme das Wort und blickte mich ernst an. „Es ist eine Wette."

„Es tut mir wirklich Leid, Kim. Wir wollten dich schon letztens warnen, aber dann kam Alex und du weißt schon ...", fügte Coraima sanfter hinzu. Mitleidig sah sie mich an.

„Ich weiß nicht, was ihr meint", antwortete ich mit zitternder Stimme. Was sollte eine Wette sein?

„Jared hat mir Paul darüber gewettet, wie schnell er dich ins Bett kriegt", klärte Dakota mich mit ihrer direkten Art auf und riss mir den Boden unter den Füßen weg.

Was? Mein Jared sollte was getan haben?

„Das glaube ich nicht", hörte ich mich selbst sagen, ehe ich mir der Tatsache bewusst wurde.Niemals würde Jared Cameron so gemein sein und darüber wetten, mich ins Bett zu kriegen. Nicht einmal Paul traute ich so etwas zu. Nicht nach den vergangenen Wochen. Sie alle hatten mich behandelt, als gehörte ich zu ihrer Truppe dazu. Selbst Alex hatte gesagt, ich war Teil der sogenannten La Push Gang. Und auch sonst passte Jareds Verhalten nicht dazu. Er hatte mich zu keiner Zeit gedrängt. Ich würde doch erkennen, wenn das alles nur gespielt war. Genügend solcher Bücher, in denen so etwas vorkam, lagen in meinem Bücherregal zu Hause.

„Es tut mir so Leid, Kim. Aber es ist die Wahrheit." Ein manikürter Nagel kratzte mir leicht über den Handrücken, als Coraima meine Hand fester umschloss. „Ich hatte gehofft, du würdest selbst drauf kommen. Es tat mir so leid, als ich euch beide zusammen sah."

„N-Nein." Sie logen. Das mussten Lügen sein. Warum behaupteten sie so etwas?

„Warum sonst hat Jared denn plötzlich mit dir gesprochen?"

Ich schlucke. Das hatte ich mich auch schon gefragt. Nur hatte ich es in den letzten Tagen erfolgreich verdrängt.

„Hast du etwa geglaubt, er hat dir zum ersten Mal in die Augen geschaut und sich von jetzt auf gleich in dich verliebt?", sprach Dakota das aus, was ich mir insgeheim gewünscht hatte. In ihrer Stimme klang der Hohn mit und Scham kam ungewollt in mir auf. Meine Kehle schürte sich zu und das Atmen fiel mir schwerer. „Wir sind hier in keinem schnulzigen Liebesfilm."

„Wir wollen nur dein Bestes, Kim."

Mechanisch schüttelte ich meinen Kopf und stand auf. Vergessen waren das Essen und der restliche Schultag.

„N-Nein. Das würde Jared nie machen", flüsterte ich mit gebrochener Stimme.

Meine Sicht verschwamm. Ich kannte Jared. Jedenfalls hatte ich das bisher geglaubt. Aber tat ich das wirklich? Warum hatte er mich an jenem Tag gegrüßt? Warum hatten er und Paul sich zu mir an den Cafeteria-Tisch gesetzt? War es wirklich Sorge gewesen? Warum war er nach Port Angeles gefahren? Weil er mich mochte. Das hatte er gesagt, doch war das die Wahrheit? An jenem Montag hatte er mich doch noch gar nicht richtig gekannt. Warum also war er mir hinterhergegangen, nachdem er wusste, dass es mir gut ging?

„Wir haben sie reden hören. Vor zwei Wochen nach der großen Pause. Wir wollten dich warnen, Kim."

Ich wollte diese Dinge nicht hören und schüttelte den Kopf. Meine Haare wirbelten wild um mich herum, als ich nach meiner Tasche griff und die Cafeteria stürmisch verließ.

Ich wollte es nicht glauben. Aber der Samen war eingepflanzt.

His wallflowerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt