Kapitel 28

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14.02.2006


„Jetzt sei doch mal stolz auf dich", sagte Alex und stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite.
Grummelnd rieb ich mir die schmerzhafte Stelle. „Bin ich ja auch, aber es noch länger hängen zu lassen, ist doch nicht nötig."


Sie kicherte. „Mom und Dad werden traurig sein, dass sie es noch nicht sehen können. Was meinst du, ob sie in die Schule einsteigen werden, weil sie es nicht mehr aushalten?"

Bei der Vorstellung keuchte ich auf. „Bitte nicht." Dass war gar nicht mal so unwahrscheinlich, wenn sie hiervon erfuhren.

„Dann lass uns als erste hier einsteigen und die mitnehmen", sagte Paul, dessen Miene, der meinen in nichts nach stand.

„Abgemacht."

„Ihr beiden stellt euch vielleicht an." Meine Schwester verdrehte die Augen.

„Hätte der aber auch früher sagen können, dass die nen Wettbewerb draus gemacht haben", grummelte Paul.

„Dann wäre es ja keine Überraschung mehr gewesen."

„Ich finde es toll", sagte Jared und schenkte mir einen Kuss auf das Haupt, eh er sich wieder den beiden Kunstwerken zuwandte. „Deins natürlich auch, Paul."

„Sicher."

Der internationale Monat hatte letzte Woche geendet und eigentlich hätten unsere Bilder, die wir im Kunstunterricht angefertigt hatten, wieder aus den Schulkorridoren verschwinden sollen. Aber Mr Collin hatte einen Wettbewerb stattfinden lassen. Das Kollegium durfte abstimmen und die drei Kunstwerke mit den meisten Stimmen würden noch für eine weitere unbestimmte Zeit die Schule dekorieren.

Während Paul den ersten Platz gemacht hatte, so nahm mein Bild den dritten Platz ein. Meiner Meinung nach völlig unverdient. Insbesondere neben dem von Paul sah es aus, als hätte es ein Grundschulkind gemalt. Aber laut Jared hatte ich das Lagerfeuer so gut aufs Papier gebracht, dass man beim Betrachten direkt in die Legenden gesogen wurde.

Eigentlich hatte ich nur den Strand bei Nacht mit einer Feuerstelle malen wollen. Doch nachdem ich die Wahrheit an jenem Abend erfahren hatte, musste ich einfach einen Wolf, der den Mond anheulte, hinzufügen. Trotz meiner geringen Fähigkeit gefiel mir das Bild gut, aber zu Hause in einer Mappe würde es am besten zur Geltung kommen. Leider waren Paul und ich die Einzigen, die das so sahen.

„Wollen wir dann mal los? Die andren warten", fragte Embry und deutete auf den Schulausgang.
Seit einer Woche war er wieder in der Schule und soweit ich mitbekommen hatte, kam er mit der Gestaltenwandlersache mittlerweile ganz gut zurecht. Dass bei Quil und Jacob das Fieber vor einigen Tagen auch ausgebrochen war, spielte mit Sicherheit mit. Seitdem waren sie beide bei Emily und Sam und lernten dort, mit ihren Emotionen klarzukommen. An jenem Abend hatte ich auch erfahren, dass Sam der Alpha des Rudels war – die wohl am wenigsten schockierende Nachricht. Er hatte mich schon bei unserer ersten Begegnung an eine autoritäre Person erinnert, so war es für mich kein Wunder, dass er diese Position einnahm.

Dass das Rudel – wie Paul uns nannte – so schnell anwuchs, war einerseits schön. So viele Freunde hatte ich nie gehabt und das waren sie. Freunde, die immer für einen da waren. Aber der Grund war nicht halb so schön. Jedes Mal, wenn Jared auf Patrouille ging, machte ich mir große Sorgen um ihn. Nicht selten mussten Alex oder Paul mit meinen Nerven klar kommen. Mit Letzterem hatte ich in den vergangenen Wochen eine tiefe Freundschaft aufgebaut, mit der wohl niemand je gerechnet hätte. Am aller wenigsten Paul und ich, aber wir funktionierten auf seltsame Art und Weise wirklich gut miteinander.

Coraima und Dakota waren auch nicht mehr auf mich zugekommen. Ich wusste nicht, ob Alex dabei ihre Hände im Spiel hatte, aber es würde mich nicht wundern. Ich hatte es nicht mehr als nötig befunden, Jared von der damaligen Begegnung zu erzählen. Denn im Endeffekt hatten sie mir meine Zweifel nur ins Bewusstsein gerufen und das wäre ohne sie früher oder später auch von selbst hervorgekommen.

„Heute ist doch Valentinstag. Nach deiner Tasche zu urteilen, haben Mom und Dad es dir erlaubt?", fragte mich Alex, als wir das Schulgebäude verließen.

Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen an den Gedanken an den kommenden Abend. „Ja."
Jared hatte sich freinehmen können und wir wollten den Abend zu zweit bei ihm zu Hause verbringen. Seine Eltern waren über Nacht in Seattle und meine hatten mir erlaubt, bei ihm zu übernachten. Durch den ganzen Stress und dank der großen Truppe hatten wir in den vergangenen Tagen selten Zeit zu zwei verbracht. Irgendwie ist immer was los gewesen.

„Oho", gab sie grinsend von sich, eh sie winkte und zum Auto ging. „Dann viel Spaß euch!"
Als sie das über den Parkplatz rief, verbarg ich verlegen mein Gesicht hinter den Haaren. Es musste nicht jeder wissen, wie wir den Abend verbringen würden!

Dadurch dass das Rudel wuchs, erhöhte sich auch die Anzahl der Autos. Das kam uns heute zu gute, denn so mussten wir Paul nicht noch zu Emily bringen, sondern konnten den direkten Weg nach Hause fahren.

„Viel Spaß", zwinkerte Paul mir zu, eh er mir durch die Haare wuschelte und in den Pick-up stieg.
Mein Gesicht glühte und mein Bauch kribbelte, als ich zu Jared in den Wagen stieg. Die gut gefüllte Tasche legte ich zu meinen Füßen ab.

„Bereit?", fragte Jared, als er auf den Fahrersitz einstieg.

Zitternd holte ich Luft. „Ja."



Es war das Heulen eines Wolfes, welches unseren späten Abend unterbrach.

„Nein", jammerte Jared und ich verzog das Gesicht.

Ergebend verließen wir das Bett, ich zog mir etwas über und wir gingen in den Garten hinaus. Die Nacht war klar, aber es herrschten noch immer niedrige Temperaturen. Ich zog Jared Jacke enger an meinen Körper.

„Es tut mir Leid", sagte Jared und nahm mein Gesicht in die Hände. Seine Brauen waren schuldbewusst zusammengezogen.

Ich schüttelte den Kopf und strich mit den Fingern über die Falte auf seiner Stirn, die sogleich verschwand. „Wir haben gesagt, wie hören mit dem Entschuldigen auf."

Das, was er tat, machte er für unsere Sicherheit. Es gehörte zu uns dazu und das war es, was das Rudel ausmachte.

„Du hast Recht." Sanft küsste er mich. „Ich liebe dich."

Er wandte sich ab und ging einige Schritte in den Garten hinein. Mein Herz zog sich zusammen. So war es jedes Mal, wenn er losmusste. Ich hielt den Atem an, als ich das Reißen hörte und mit einem Mal stand mein Freund in der gigantischen Gestalt eines Wolfes vor mir. Sein braunes Fell schimmerte im Mondlicht.

Er trabte auf mich zu und ich streichelte sein Haupt.

Noch immer faszinierte es mich, wenn er so vor mir stand und ich wusste, dass diese Faszination niemals vergehen würde. Als ich ihn das erste Mal so gesehen hatte, musste ich unwillkürlich an meine Bücher denken. Dass es Wesen, wie Gestaltenwandler oder Vampire, wirklich gab, blieb weiterhin unglaublich. Aber es war die Realität. Mein Freund war ein Wolf.
Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Schnauze.

„Ich liebe dich."

Er machte kehrt und verschwand hinter den dunklen Bäumen.


ENDE



His wallflowerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt