Kapitel 16

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Mein Atem stand still. Ich war gewappnet. Oder hoffte ich es nur? Jared hatte mir soeben gesagt, dass er nicht mit mir befreundet sein würde. Diesen Satz hatte ich überlebt, aber würde ich den Rest auch überstehen können? Was hatte ich getan? War ich zu aufdringlich? Zu schüchtern? Zu seltsam? Ich sollte mehr wie Alex sein. Charismatisch. Sportlich. Weltgewand. Sarkastisch. Witzig.

War ich wirklich gewappnet? Nein, stellte ich fest, während die Tränen ununterbrochen über meine Wangen liefen. Mein Herz war in tausende Einzelteile zerbrochen. Weitere Erklärungen seinerseits konnte ich mir nicht anhören. Und dennoch sah ich zu ihm auf und wartete. Seit wann neigte ich zu masochistischen Verhalten? Ich sollte mich umdrehen und gehen. Und nie mehr zurückschauen. Aber ich konnte nicht. Ich musste ihm zuhören.

„Ich will mehr."

Was?

Erneut drehte sich die Welt um mich herum. Nur war ich dieses Mal nicht alleine. Jared stand so nah bei mir, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Seine Hände lagen an meinen Wangen. Wie ein Anker hielt er mich bei sich fest. Überwältigt von allem, zweifelte ich an dem, was ich zu hören geglaubt hatte.

„Mehr?" Die Frage kam mir nur wie ein Huch über die Lippen.

„Ja. Mehr", bestätigte er. „Ich will mit dir zusammen sein."

„Mit mir?"

Ein Schmunzeln legte sich auf seine Züge. „Ja mit dir. Ich möchte mit dir zusammen sein, Kim Connweller. Nicht als Freunde. Als Paar. Als Freund und Freundin."

Ich traute meinen Ohren nicht. „Warum?"

„Ich mag dich, Kim. Sehr."

Was?

Meine Gedanken lagen blank. Ich fühlte mich, wie Spongebob, als dieser seinen Namen vergaß. Viele kleine Kims liefen in meinem Kopf Amok. Sie rissen Aktenschränke auf und durchwühlten sie in der Hoffnung, die Bedeutung hinter Jareds Wörtern zu finden.

Nach Außen hin erschien ich dagegen völlig ruhig. Selbst meine Tränen waren versiegt. Absolut perplex blinzelte ich Jared an und merkte nicht, wie ihn das verunsicherte.

„Kim?"

„Hmh?"

„Was sagst du?"

Mehrfach blinzelte ich und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Es dauerte, bis ich einen vollständigen Satz sprechen konnte. „Was soll ich denn sagen?"

„Na, ob du auch... mit mir zusammen sein willst", nuschelte er zum Ende hin und es schien mir, als würde er kleiner werden. Seine Schultern zackten enttäuscht herab und seine Mundwinkel folgten ihnen Richtung Boden.

Mit einem Mal fingen die Rädchen in meinen Kopf sich wieder an zu drehen. Jared hatte mir gerade gestanden, dass er mehr will. Der Jared Cameron wollte mehr als nur Freunde sein. Und damit meinte er nicht beste Freunde oder sonst irgendwas. Nein, er hatte es sogar genauer definiert. Er wollte mit mir zusammen sein! Nicht mit Alex. Mit mir. Denn er mochte mich. Sehr hatte er gesagt. Und das war kein Traum. Überdeutlich spürte ich ihn vor mir stehen. Präsent. In Fleisch und Blut. Das alles war keine Einbildung.

„Kim?", fragte er mit zitternder Stimme und als er begann, den Körperkontakt mit mir zu lösen, packte ich seine Hände und hielt sie weiter an meiner Wange fest. Er durfte mich jetzt nicht loslassen.

Mit keuchenden Atemzügen sah ich zu ihm auf und bekam kaum die Wörter raus, die ich mir schon etliche Male gewünscht hatte, einmal auszusprechen.

„Ja", hauchte ich. „Ich ... mag dich auch." Rechtzeitig erinnerte ich mich daran, meine Gefühle für ihn abzuschwächen. Von Mögen konnte nach all der Zeit nicht mehr gesprochen werden, aber ich wollte ihn nicht jetzt schon abschrecken.

Jareds angespannte und nervöse Mimik wurde ganz starr, eh sie sich erhellte. Es war, als wäre die Sonne vor ihm aufgegangen. Mit glänzenden Augen sah er zu mir hinunter und dank seines glücklichen Lächelns, zeigten sich seine Grübchen. Die, welche ich so sehnlichst vermisst hatte.

 „Du magst mich?", wiederholte er und schien ganz aufgeregt zu sein.

„Ja." Wie konnte man ihn denn auch nicht mögen?!

„U-Und du willst meine Freundin sein?"

„Ja."

Mit einem Ruck zog Jared mich näher zu sich und legte seine starken Arme um mich.

„Du magst mich", flüsterte er gegen mein Haar. War er etwa erleichtert? Dabei sollte diejenige sein, die das fühlte.

„Ja, ich mag dich." Sogar mehr als nur mögen. Und er mochte mich auch.

Schweigend standen wir im Schnee. Überwältigt von unseren Gefühlen füreinander und dass sie erwidert wurden. Mein Gesicht lag auf seiner Brust. In der Stille hörte ich sowohl mein Herz, als auch seines, laut und deutlich schlagen. Sie pochten in Einklang, was ich für das Unmöglichste gehalten hatte. So etwas passierte doch nur in Liebesromanen. Aber so war es.

Poch. Poch. Poch.

Erst das Räuspern einer weiteren Person unterbrach uns. Wir lösten uns voneinander und sahen, wie Dad mit verschränkten Armen an der Haustür stand. Mit erhobener Braue betrachtete er uns. „Wenn ihr noch lange hier steht, bist du morgen wirklich noch krank, Kim."

„K-Komme gleich", meinte ich verlegen.

Dad zögerte kurz und musterte Jared ein letztes Mal, ehe er zurück ins Haus ging. Die Tür ließ er angelehnt und ich wusste, dass er nicht lange warten würde.

„Tschuldige", murmelte ich und strich mir eine Strähne hinter das Ohr.

„Er hat Recht. Du solltest nicht krank werden", sagte er mit besorgter Stimme. „Sehen wir uns morgen?"

„Gern." Unbedingt.

„Ich bin bis Mittags mit den Jungs unterwegs und danach noch bei Sam. Aber magst du vielleicht vorbei kommen?"

„Ja."

„Okay. Ich schreibe dir." Mit einem glücklichen Grinsen sah Jared zu mir hinunter. „Bis morgen."

„Bis morgen", sagte ich und hob die Hand, um ihm zu zuwinken, so wie es sich in den letzten Tagen zu unserem Ritual entwickelt hatte. Doch anders als die Tage zuvor erwiderte er die Geste nicht. Stattdessen nahm er die Hand, verflochte sie mit meiner und legte seine weichen Lippen auf meine Wange. Ein Prickeln breitete sich auf der Stelle aus und verteilte sich in meinem gesamten Körper. Mit hitzigem Kopf sah ich zu ihm hoch, als er sich von mir löste. Sein Gesicht strahlte noch immer, als wäre sein größter Traum in Erfüllung gegangen – dabei war das doch mir geschehen.


Kaum, dass die Haustür hinter mir schloss, lugten die Köpfe von Alex und Dad aus dem Wohnzimmer hervor. Während meine Schwester das Grinsen nicht verbergen konnte, so war das unseres Vaters das komplette Gegenteil. Falten hatten sich in seiner Stirn gebildet und seinen Mund presste er zusammen.

Scham wollte in mir hervorkommen, schließlich wussten beide, was da draußen passiert war, aber das Glücksgefühl war stärker.

Jared Cameron mochte mich.

Jared Cameron war mit mir zusammen.

Jared Cameron hatte mich auf die Wange geküsst!

Nichts würde mich jetzt aus meinem Höhenflug hinunterbekommen. Auch nicht mein sorgenvoller Dad. Dieser räusperte sich, während ich meine Jacke aufhängte und die Schuhe beiseitestellte.

„Wer war denn das, Kim?"

Alex kicherte über seinen Versuch, ins Gespräch zu starten. Mit Sicherheit hatte er sie schon längst ausgefragt. „Das war immer noch Jared. Das hat sich in der letzten dreiviertel Stunde nicht verändert."

Dreiviertel Stunde? So lange waren wir noch im Auto gewesen? Die Wärme in mir verstärkte sich.

„Und woher kennt ihr euch?", fragte er mich, doch bekam er seine Antwort schon von seiner anderen Tochter.

„Immer noch aus der Schule", flötete sie.

Dad grummelte.

Leichtfüßig schwebte ich ins Wohnzimmer und wäre am liebsten herumgetanzt, um der Euphorie ein Ventil zu geben. Stattdessen setzte ich mich auf das Sofa und spielte mit meinen Haaren. Die beiden folgten mir. Alex ließ sich neben mich nieder, während Dad es sich auf seinem Sessel gemütlich machte. Der Fernseher lief, aber die Sportsendung war stumm geschaltet.

„Wo ist Mom?", fragte ich und war verwundert sie nirgends zu entdecken.

„Schläft schon", meinte Alex und wank ab. „Also?" Sie wackelte mit ihren Brauen.

„Was also?", tat ich auf unwissend, wusste aber, dass das Grinsen in meinem Gesicht genug sagte.

Auch Dad sah interessiert zu mir und schien auf eine Antwort zu warten.

Sie stöhnte auf. „Na hör mal. Er ist den ganzen Weg von La Push nach Seattle mit dem Taxi gefahren, weil er sich Sorgen gemacht hat. Ich will gar nicht wissen, wie teuer die Fahrt war. Und dann wollte er dich nicht wecken und saß ne halbe Ewigkeit mit dir im Auto." Sie seufzte. „Wie romantisch."

Das war es wirklich. Aber Dad schien das nicht so zusehen, denn er schnaubte auf. „Es herrschen draußen Wintertemperaturen."

„Hör auf den strengen Vater rauszuholen, und freu dich für deine Tochter. Sag bloß du willst, dass ein Arsch Interesse an Kimmy hat."

Empört schnappte er nach Luft. „Natürlich nicht!"

„Siehst du. Und Jared ist nun mal kein Arsch, richtig Kimmy?"

„Ga-ganz im Gegenteil", sagte ich und kam ins Schwärmen, wovon ich mich kaum abhalten konnte. Es war toll, endlich über Jared mit jemanden zu sprechen. Selbst wenn einer von beiden mein Dad war! „Er ist stets freundlich und fürsorglich und aufmerksam und-"

„Ist ja gut", unterbrach Dad mich, obwohl ich nicht einmal in Fahrt gekommen war. Er stand seufzend auf und ging in die Küche. „Ich brauch ein Bier."

Schmunzeln blickten wir ihm nach.

„Also", wiederholte Alex sich, „wie Freunde hört sich das aber nicht an."

„Ich glaube, wir könnten doch zusammen sein", sagte ich, selbst noch völlig ungläubig.

„Du glaubst?"

„Nein", korrigierte ich mich. „Wir sind zusammen", hauchte ich. Diese Wörter hören sich so fremd an, als sie meinen Mund verließen.

Ihr Quicken hallte durch das Wohnzimmer und wir landeten fast auf dem Boden, als sie mich stürmisch umarmte. Manchmal verstand ich sie nicht. Erst vor wenigen Stunden hatte sie mir noch eine Predigt darüber gehalten, dass ich mit Jared keine weiteren Freunde finden würde, und nun wurde ich von ihr fast zerquetscht. Aber Alex war mir des Öfteren eben ein Rätsel. Statt mich weiter über diese Tatsache zu wundern, genoss ich das Glücksgefühl in mir und lachte die Freude heraus.

Es dauerte, bis wir uns beruhigten. Dennoch wurde es Dad zu viel, deswegen schickte er uns nach oben, damit er in Ruhe weiter Fernsehen gucken konnte. Alex und ich machten es uns in ihrem Zimmer bequem.

„Was ist das mit Collin und dir?", fragte ich irgendwann, als ich meinte, wir hätten genug von mir gesprochen.

„Mit Collin und mir? Was soll da schon sein. Wir sind Freunde. Auch wenn er manchmal ein Idiot sein kann." Sie schnaubte auf. „Du glaubst gar nicht, wie oft er mich mit seinen blöden Kommentaren zur Weißglut treibt. Erst neulich da", fing sie an und schon hörte ich eine stündige Tirade über Collin, bei der ich mir mein Grinsen verkneifen musste.


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