Kapitel 19

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24.01.2006

Grimmig blickte ich auf das Chemiebuch in meinen Händen und verteufelte die Schulpflicht, während ich als letzte den Klassenraum verließ. Anders als sonst, wartete niemand im Flur auf mich. Einen Tag, ohne Jared durch die Schulflure zu gehen, war seltsam. Innerhalb von nur einer Woche hatte ich mich so stark an seine Anwesenheit gewöhnt, dass ich mir furchtbar einsam und schutzlos vorkam. Wenn nicht er bei mir war, so war es sonst wenigstens Paul, aber auch dieser unterstützte Emily und Sam an diesem wichtigen Tag. Ich sollte sie nicht vermissen und mir stattdessen lieber Sorgen um meine Freundin machen.

Und das tat ich. So oft wie heute, hatte ich nie auf das Handy geschaut. Aber der Bildschirm blieb leer. Keinerlei Meldung darüber, wie es lief. Das war doch gut, oder? Hoffentlich. Wie Emily unter dem Verband wohl aussah? Eine solche Wunde mitten im Gesicht zu haben, musste schrecklich sein. Tagtäglich würden sie und Sam sich an den Bärenunfall erinnern.

Ich räumte das Buch in meinen Spind und ging langsam in Richtung der Cafeteria. Weil ich mir so viel Zeit gelassen hatte, bis ich dort war, waren die Tische mittlerweile alle besetzt. Bis auf einer. Trotz, dass Jared und Paul nicht da waren, so wurde unser Platz am Fenster freigehalten. Dass dies ein Privileg war, wusste ich. Aber ich fühlte mich isoliert, als ich von der Essensausgabe aus dorthin ging und mich an den leeren Tisch niederließ. Das Essen schmeckte nach Pappe und ich konnte im Nachhinein nicht mal mehr sagen, was für ein internationales Gericht ich zu mir genommen hatte.

In mir kam der Wunsch auf, dass sich doch jemand zu mir setzen sollte. Wie seltsam. Früher hatte ich immer alleine gesessen. Aber als ich durch die Cafeteria blickte, sah ich nur in fremde Gesichter. Ich kannte ihre Namen, aber da war niemand, mit dem ich je eine richtige Unterhaltung geführt hatte. Dort hinten saßen Jacob Black, Embry Call und Quil Ateara und spaßten herum. Lautes Gelächter drang zu mir hinüber. Am Tisch nebenan Melissa James, eine Mitschülerin aus dem Kunstunterricht.

„Schau nicht so traurig rein, Kimmy", sagte eine vertraute Stimme und ich erblickte Alex mit ihrem Tablett voller Essen vor meinem Tisch stehen.

„Ich schau gar nicht traurig."

„Ja sicher. Und die Tränen in deinen Augen bilde ich mir nur ein", meinte sie und schüttelte den Kopf.

Heftig blinzelte ich die verräterische Flüssigkeit beiseite. „Ich weine nicht."

Sie schnaubte belustigt auf und setzte sich mir gegenüber. „Wo sind deine beiden Wachhunde?"

„Du sollst sie nicht so nennen!"

„Solange sie sich so benehmen, werde ich sie auch so bezeichnen. Also, wie siehts aus?"

Während wir mit dem Essen begannen, erklärte ich ihr, dass beiden Jungs Sam und Emily ins Krankenhaus begleiteten.

„Gute Freunde sind sie ja, das muss man ihnen lassen", kommentierte sie. „Wobei ich immer noch nicht verstehe, wie die Kombi aus den dreien entstanden ist. Letztes Jahr hatten die doch gar nichts miteinander zu tun."

Daraufhin zuckte ich nur mit den Schultern, da ich es ihr selbst auch nicht erklären konnte. „Jared und Paul arbeiten in einer Art Security Unternehmen von Sam. Vielleicht ist es das gewesen."

„Hmh", machte Alex und schaute gedankenverloren in die Luft, bevor sie mit den Schultern zuckte. „Keine Ahnung, ist ja auch egal. Übrigens, du denkst an Donnerstag, ja?"

„Donnerstag?", wiederholte ich fragend, denn das Einzige was bei mir an dem Tag vorstand, war das Lagerfeuer am Strand.

Alex stöhnte auf und schenkte mir einen genervten Blick. „Kimmy, nicht dein Ernst." Sie wartete auf eine weitere Reaktion meinerseits, aber als ich sie weiterhin nur verständnislos ansah, schüttelte sie den Kopf. „Du hast es ernsthaft vergessen."

„Was denn?" Donnerstag waren fest bei ihr und meinen Eltern jede Woche verplant, weswegen ich den Tag generell im Kopf hatte, dass ich allein zu Hause war.

„Leichtathletikturnier für Fortgeschrittene in Forks."

Da fiel es mir siedend heiß wieder ein. Das Turnier stand schon seit Dezember in unserem Kalender in der Küche und ich hatte es völlig vergessen. Die Familie begleitete Alex zu jedem wichtigen Sportevent und das hier war definitiv eines, weil das Gerücht umherging, dass einflussreiche Personen vom College zuschauen würden. Es betraf die Zukunft meiner Schwester und da musste ich unbedingt dabei sein.

„Es tut mir so Leid", entschuldigte ich mich. „Es war in letzter Zeit nur so viel, dass ich es vergessen habe."

„Schon gut. Du hast jetzt einen Freund, da sind die Gedanken mal woanders. Aber du kommst, oder?"

„Doch, natürlich komme ich. Auf jeden Fall werde ich da sein." Hoffentlich würden es mir die Anderen nicht böse nehmen, wenn ich dem Lagerfeuer fernbleiben würde.

„Gott sei Dank. Ich bin doch schon etwas nervös", gestand Alex und mein schlechtes Gewissen wuchs ins Unermessliche.

His wallflowerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt