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Die Lichter des Kinos warfen Schatten auf seine große Gestalt und ließen ihn kraftvoller und imposanter erscheinen, als ich es von ihm gewohnt war. Sein Oberkörper hob und senkte sich in schnellen Zügen. Die Schneeflocken hatten seine Haare befeuchtet und die Strähnen klebten an seiner Stirn. Das Gesicht war verzerrt und tiefe Furchen hatten sich um seine Augen herum gebildet. Der Anblick brachte mein Herz dazu, in dreifacher Geschwindigkeit weiter zu klopfen. Noch immer erklang ein Knurren aus seiner Richtung. Es war deutlich dunkler, als wenn er und Paul aneinandergerieten.
„Jared", hauchte ich überrascht. Was machte er denn hier? Und das in dem Aufzug? Er trug seit kurzem häufig nur T-Shirt und Jeans, aber wir hatten Minustemperaturen! Sorge erfasste mich und ich verließ den Lichtkegel der Straßenlampe. Die wenigen Meter, die mich von ihm trennten, stolperte ich mehr, als das ich ging. Seine Hand griff nach mir und mit einem Ruck zog er mich an seine Brust.
Sofort roch ich seinen eigenen typischen Geruch, der ihn umgab, und das viel stärker, als je zuvor. Wald, Erde und aufgrund des Schnees meinte ich auch Regen an ihm zu riechen. Meine Wange landete auf seiner harten Brust und ich hörte, neben dem Knurren, sein starkes, kräftiges Herz klopfen.
Eine Hand von ihm lag an meinem Hinterkopf, während die andere meine Taille erfasst hatte und mich an ihn drückte. Von den vielen Eindrücken war ich so überwältigt, dass ich kaum mitbekam, wie er anfing zu sprechen.
„Wer bist du?"
Die Frage, die ihm nur schwer von den Lippen zu kommen schien, brachte mich aus dem Konzept. Ich versuchte, in sein Gesicht zu schauen, aber seine Hand hinderte mich daran.
„Alter, was? Stell dich gefälligst selbst vor, bevor du irgendwelche Anforderungen stellst", sagte Collin pissig und ich merkte, wie Jared sich weiter anspannte.
„Was wolltest du von Kim?", fragte er stur, ohne auf Collin einzugehen.
„Hä? Sag bloß, du bist ihr Macker. Beruhig dich mal wieder. Wir haben uns nur unterhalten."
Jared schnaubte und als er mich noch fester an sich drücke, keuchte ich schmerzhaft auf. Augenblicklich lockerte er seinen Griff und blickte zu mir hinunter. Endlich konnte ich wieder in seine Augen schauen. Uns trennten nur wenige Zentimeter. Erstmals konnte ich sie von so Nahem sehen und es raubte mir den Atem. Es hieß nicht ohne Grund, dass sie die Spiegel zur Seele waren. Seine Gefühle tobten in ihm. Angst und Sorge flackerte in ihnen und mischten sich mit ungeheuerlicher Wut. Aber da waren auch Trauer, Erleichterung und Zuneigung, die die anderen Gefühle nach und nach übertünchten, als er meinen Körper abscannte und schließlich wieder in meine Augen blickte.
Das Knurren war verstummt.
„Bist du okay?", fragte er mit heiserer Stimme.
„Ja." Er hielt mich noch immer im Arm und seine Wärme breitete sich auf mir aus. Eine Schneeflocke landete auf seiner Stirn und schmolz gleich zu einem Tropfen, der auf seinem Gesicht hinunterrann. Ich wollte wissen, weshalb er hier war. Aber viel wichtiger war, dass ich mich endlich bei ihm entschuldigte. „Es tut mir Leid."
Er zuckte zusammen und ließ mich los. „W-was?"
Obwohl es dunkel war, meinte ich zu erkennen, dass sich die gleiche Blässe in seinem Gesicht ausbreitete, wie am Tag zuvor in der Cafeteria. Aus einem Impuls heraus griff ich nach seiner Hand. Es war das erste Mal, dass ich bewusst Körperkontakt mit ihm aufbaute.
Jared erstarrte und ich konnte seine Verwirrung, die in seinem Gesicht stand, nachvollziehen. In der Schule erst hatte ich mich ihm abgewandt und jetzt war ich es, die seine Nähe suchte.
„Gestern. Ich hätte das nicht tun sollen." Es fiel mir schwer, die richtigen Wörter zu finden, und ich hoffte, dass Jared mich verstand. „Ich halte gerne mit dir Händchen", nuschelte ich und das Blut stieg, bei dem Geständnis, in meine Wangen. „Und möchte das weiterhin tun."
Seine Augen weiteten sich, eh er meine Hand drückte und mich erneut in seine Arme zog. Ich spürte seine schweren Atemzüge, die gegen meine Haare bliesen. Er neigte seinen Kopf hinunter.
„Ich auch", hauchte er in mein Ohr und abermals kroch die bekannte Gänsehaut über mich. „Und es tut mir auch leid. Ich hätte nicht davon laufen sollen."
Frieden breitete sich in mir aus. Alles an mir entspannte sich mit einem Male. Der Stein auf meiner Brust löse sich. Der Klumpen in meinem Magen schmolz. Meine Schultern sanken herab und im Gegensatz zu vorhin, fuhr kein weiterer Schmerz durch mich hindurch. Ich war zu Hause.
Ein Räuspern unterbrach die Stille zwischen uns, aber nicht die Ruhe, die ich fühlte. Die verweilte weiter in mir, als wir uns voneinander lösten und zu Collin wandten. Unsere Hände blieben miteinander verschlungen.
Ich hatte Collins Anwesenheit völlig vergessen gehabt. In der Zwischenzeit hatte er sich eine weitere Kippe angemacht und atmete den Rauch aus.
„Nett, dass ihr zwei das, was auch immer zwischen euch war, geklärt habt, aber fangt jetzt nicht an, wild vor mir rumzuknutschen."
Abermals grollte Jared auf. „Verpiss dich."
„Bitte was?" Collin hob eine Braue. „Ich bin mit deiner kleinen Freundin hier, da werde ich sicherlich nicht einfach verschwinden."
„Was? Ich dachte, du bist mit Alex hier", fragte Jared mich.
Woher wusste er das?
„Bin ich auch. Collin und ich warten auf sie und die anderen", erklärte ich und nach einem tiefen Atemzug entspannte sich Jared wieder.
„Ach, hier seid ihr." Wenn man Teufel sprach. Alex, Maddie und Ethan kamen vom Kino aus zu uns gelaufen. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Oh? Jared? Was machst du denn hier?"
„Hä? Wo sollen wir sonst sein?", fragte Collin und aschte auf den feuchten Boden. „Wir haben doch gesagt, wir treffen uns vor dem Eingang."
„Ja, vor dem Eingang, aber drinnen." Maddie verdrehte die Augen und pustete sich in die Hände. „Brr. Ist viel zu kalt, um hier zu warten."
„Ist doch egal", wank Alex ab und wandte sich Jared zu. „Was machst du hier?", wiederholte sie sich.
„Ich habe mir Sorgen um Kim gemacht. Sie ist nicht ans Handy gegangen." Jared sah mich tadelnd an, aber ich konnte ein glückliches Glitzern in seinen Augen erkennen.
Verwundert erwiderte ich seinen Blick. Woher hatte er denn meine Nummer und hatte gewusst, wo ich war?
„Aha", sagte Alex mit einem seltsamen Ton und als ich mich zu ihr wandte, musterte sie unsere ineinander verschlungenen Hände. Um meinen Entschluss zu bekräftigen, übte ich sanften Druck aus, den Jared direkt erwiderte. „Na wie auch immer. Leute, das ist Jared und das sind Madison, Ethan und Collin."
„Jetzt la-lasst uns endlich weitergehen", stotterte Maddie zitternd vor Kälte. „Zu Hause liegt bestimmt schon Schnee. Verrückt."
Gemeinsam gingen wir durch die Straßen von Port Angeles in die Richtung, in der Alex geparkt hatte. Wie ich erfuhr, hatte auch Ethan dort sein Auto stehen gelassen, der mit den anderen beiden hergefahren war.
„Ist dir nicht kalt?", fragte Maddie mit bibbernder Stimme an Jared gewandt. Dabei musterte sie sein dünnes T-Shirt und die verwaschene Jeans. Selbst ich hatte bei dem Anblick stocken müssen, dabei war ich mittlerweile nichts anderes von ihm gewohnt.
Dieser schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht."
„Wow. Sag bloß alle Männer aus La Push sind so Kälteresistenz."
Ein verlegendes Grinsen legte sich auf Jareds Lippen und ich schmolz bei dem Anblick dahin, während ich seine Wärme genoss.
„Du musst dir echt das Rauchen abgewöhnen, Mann", hörte ich Ethan zu Collin sagen.
Alex pflichtete ihm bei. „Das kann dir deine Karriere als Läufer ganz schön kaputt machen."
Collin stöhnte genervt auf. Ich war mir sicher, dass er dies nicht zum ersten Mal hörte. „Jeder hat ne Last zu tragen. Tja, meine ist eben das Rauchen."
Ethan schüttelte nur den Kopf, eh er sich an Jared wandte. „Bist du in eurem Footballteam?"
„Nein, wie kommst du drauf?", fragte dieser zurück.
Er zuckte mit den Schultern. „Scheinst ziemlich sportlich zu sein, aber du kommst mir nicht bekannt vor."
Maddie kicherte. „Keiner von unserem Team hat solche Muskeln." Wieder ließ sie ihren Blick über Jareds Statue schweifen und ich musste den Drang widerstehen, ihn vor ihren Augen zu beschützen.
Er musste etwas gespürt haben, denn Jared drückte meine Hand und schenkte mir ein kleines Lächeln, was mein Herz zum Stolpern brachte.
„Was trainierst du?", fragte Ethan interessiert nach und Jared zögerte kurz, bevor er ausweichend antwortete.
So drehte sich das Gespräch unserer Gruppe weiter, bis es Zeit war sich zu verabschieden. Während Ethan uns nur zunickte und in den Wagen stieg, umarmte Maddie uns drei nacheinander. Als sie ihre Arme um Jared schlang, drang erneut der Stachel der Eifersucht in mich hinein. Er war mir nicht unbekannt. Als Jared vor einem Jahr mit Etenia ausgegangen war, hatte ich ihn öfters gespürt, nur war ich jetzt nicht mehr dran gewöhnt und wollte ihn auch nicht fühlen. Keiner mochte eifersüchtige Freunde. Und insbesondere der lieben Maddie gegenüber wollte ich das nicht empfinden.
Collin sah kurz zu Alex, eh er sich zu mir wandte und sich unsicher durch die Haare fuhr. Ermutigend lächelte ich ihn an. Wir hatten das zwischen uns geklärt. Keinesfalls wollte ich ihm und meiner Schwester im Wege stehen. Mir war bewusst, dass sie für mich sogar auf ihr eigenes Glück verzichten würde – lag wohl in der Familie. Mit Jareds Kraft im Rücken umarmte ich ihn, um Alex zu zeigen, dass zwischen uns alles klar war. Er erwiderte die Umarmung. Als wir uns lösten, fiel sein Blick hinter mich und er hob eine Braue.
„Man sieht sich", sagte er.
„Hmh", brummte Jared und ich meinte ihn etwas murmeln zu hören, dass sich anhörte, wie besser nicht. Aber ich war mir sicher, mich verhört zu haben, denn das würde nicht zu ihm passen.
„Wo hast du geparkt?", fragte Alex Jared, als wir kurz darauf vor unserem Pick-up stehen blieben.
„Äh, nirgends. Kam mit dem Taxi", antwortete er und erntete skeptische Blicke unsererseits.
„Okay", sagte Alex gedehnt. „Dann steig mal ein."❀
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His wallflower
WerewolfAus sicherer Distanz heraus schwärmte Kim über Jahre hinweg von Jared. Er war das Licht ihrer Welt. Der Grund, weshalb sie morgens das Haus verließ. Umso verlorener fühlte sie sich, als er verschwand. Die Neuigkeit, dass er nach langen, dunklen Woch...