Der große Abend 1

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Am nächsten Morgen konnte Madam Pomfrey mich ohne große Sorgen wieder entlassen. Pünktlich wie immer standen Fred und George an meinem Bett um mich fürs Frühstück abzuholen.
„Wie gehts dir?", fragte George und hauchte mir einen federleichten Kuss auf die Stirn.
„Gut", antwortete ich und nahm seine Hand. „Sehr gut sogar."
„Als wir gestern da waren hast du geschlafen", meinte Fred als wir los gingen. „Als Snape kam sind wir gegangen."
„Ja er war da gewesen", bestätigte ich, „aber es war noch nicht der richtige Zeitpunkt. Ich kann ihm noch nicht verzeihen."
„Das musst du auch nicht", sagte George schnell. „Gib dir die Zeit die du brauchst."
Ich nickte bloß, wusste nicht wirklich was ich darauf antworten sollte.
Unten angekommen bemerkte ich, dass die Große Halle über Nacht geschmückt worden war. Riesige seidene Banner hingen an den Wänden, eines für jedes Hogwarts-Haus, ein goldener Löwe auf rotem Grund für Gryffindor, ein bronzener Adler auf Blau für Ravenclaw, ein schwarzer Dachs auf Gelb für Hufflepuff und eine silberne Schlange auf grünem Grund für Slytherin. Hinter dem Lehrertisch prangte auf dem größten Banner das Wappen von Hogwarts: Löwe, Adler, Dachs und Schlange um den großen Buchstaben H.
Harry, Ron und Hermine saßen bereits am Tisch und warteten auf uns. Als Harrys Blick auf uns fiel stand er auf und kam uns entgegen.
„Wie geht es dir?", fragte er und blickte mich besorgt an.
„Alles in Ordnung", winkte ich ab und lächelte leicht als sich die Sorgenfalten auf seiner Stirn glätteten. Wir setzten uns zu den anderen beiden als die Eulen mit der Post in die große Halle flatterten. Ich erkannte Hedwig unter den anderen und verfolgte gespannt wie sie auf Harrys Schulter landete.
„Ist das eine Antwort von Tatze?", fragte ich verwirrt. Harry nickte, band den Brief von Hedwigs Bein und legte ihn in die Mitte des Tisches damit jeder von uns ihn lesen konnte:

Netter Versuch, Harry,
ich bin wieder im Land und gut versteckt. Ich möchte, dass du mich über alles, was in Hogwarts vor sich geht, per Brief auf dem Laufenden hältst. Nimm nicht mehr Hedwig, wechsle ständig die Eulen und mach dir keine Sorgen um mich, pass nur auf dich und deine Schwester auf. Vergiss nicht, was ich über deine Narbe gesagt habe.
Tatze

„Was hast du ihm geschrieben?", fragte ich verwirrt über die Antwort von Sirius.
„Ich hab ihm geschrieben, dass er das mit der Narbe vergessen soll", antwortete Harry, der mit zusammengezogen Augenbrauen noch immer auf den Brief starrte. „Nach deiner Vision von ihm wollte ich nicht, dass er wieder ins Land kommt."
„Er kann auf sich aufpassen", murmelte ich, konnte aber dennoch nicht verhindern erneut an die Vision von Sirius zu denken. An seine Augen, weit geöffnet vor Schreck, und seinen steifen Körper. An den Nebelschleier hinter ihm.
„Er wäre so oder so wieder gekommen", mischte Fred sich ein. „Er sprach von irgendwelchen Zeichen. Er weiß vermutlich, genauso wie wir, dass Ihr-Wisst-Schon-Wer seine Rückkehr plant."
„Es würde mich nicht wundern wenn er vorher bereits irgendwas geplant hat", sagte auch George.
„Mir wäre es trotzdem lieber wenn er in Sicherheit bleiben würde", brummte Harry. Er bedachte den Brief mit einem letzten finsteren Blick ehe er ihn in seine Tasche stopfte.
„Danke, Hedwig", murmelte er und streichelte sie. Sie schuhuhte schläfrig, tauchte den Schnabel kurz in seinen Becher mit Orangensaft und flatterte davon, offensichtlich mit dem dringenden Bedürfnis, sich in der Eulerei so richtig auszuschlafen.

An diesem Tag lag eine angenehm erwartungsvolle Stimmung in der Luft. Im Unterricht passte niemand so recht auf, vielmehr waren alle gespannt auf die abendliche Ankunft der Delegationen aus Beauxbatons und Durmstrang. Als es dann früh läutete, rannten Harry, Ron, Hermine und ich nach oben in den Gryffindor-Turm, legten unsere Taschen und Bücher ab, wie man ums geheißen hatte, zogen unsere warmen Umhänge an und eilten dann wieder hinunter in die Eingangshalle. Alle Hauslehrer erwarteten uns in der Eingangshalle und wiesen jeweils ihre Schüler an sich in Reihen aufzustellen. Leider wurden wir nach Jahrgängen aufgestellt weswegen Fred und George hinter uns statt bei uns standen.
„Weasley, richten Sie Ihren Hut gerade", herrschte McGonagall Ron an. Selbst sie machte auf mich einen etwas nervösen Eindruck. „Miss Patil, nehmen Sie dieses lächerliche Ding da aus den Haaren."
Parvati sah sie finster an und zog eine große Schmetterlingsspange von ihrer Zopfspitze.
„Folgen Sie mir, bitte", sagte McGonagall, „die Erstklässler vornan... und kein Gedrängel..."
Wir gingen im Gänsemarsch die Vortreppe hinunter und reihten uns vor dem Schloss auf. Es war ein kalter, klarer Abend. Die Dämmerung brach an, und der Mond, blass und durchsichtig wirkend, war bereits über dem Verbotenen Wald aufgegangen.
„Fast sechs", murmelte Ron mit einem Blick auf seine Uhr und spähte dann ungeduldig die Auffahrt hinunter, die nach vorn zum Schlosstor führte.
„Dann sollten sie gleich ankommen", hauchte ich und spürte wie ich selber langsam etwas aufgeregt wurde.
„Wie, glaubst du, werden sie kommen? Mit dem Zug?"
„Wohl kaum", antwortete Hermine.
„Wie dann? Auf Besen?", überlegte Harry und blickte hoch zum sternbedeckten Himmel.
„Glaub ich irgendwie nicht", meinte ich nachdenklich, „auch wenn sie von so weit her kommen..."
„Mit einem Portschlüssel?", rätselte Ron. „Oder sie könnten apparieren – vielleicht dürfen die das dort, wo sie herkommen, auch wenn sie noch nicht siebzehn sind."
„Du kannst nicht aufs Gelände von Hogwarts apparieren, wie oft soll ich dir das noch sagen?", flüsterte Hermine unwirsch.
Aufgeregt suchten wir die Ländereien des Schlosses ab, über die jetzt die Nacht hereinbrach, doch nichts rührte sich. Alles war friedlich, still und eigentlich wie immer. Allmählich wurde mir kalt. Wenn sie sich nur beeilen würden...
Und dann rief Dumbledore aus der hinteren Reihe, wo er mit den anderen Lehrern stand: „Aha! Wenn ich mich nicht sehr täusche, nähert sich die Delegation aus Beauxbatons!"
„Wo?", fragten viele Schüler begierig und blickten alle in verschiedene Richtungen.
„Dort!", schrie ein Sechstklässler und deutete hinüber zum Wald. Ich drehte mich ein Stück, so dass ich eine bessere Sicht auf den Wald hatte. Etwas Großes, viel größer als ein Besen – oder auch hundert Besen –, kam in sanften Wellen über den tiefblauen Himmel auf das Schloss zugeflogen.
„Ein Drache!", kreischte eine Erstklässlerin und geriet völlig aus dem Häuschen.
„Blödsinn... es ist ein fliegendes Haus!", sagte Dennis Creevey. Dennis war mit seiner Vermutung schon näher dran... Als ich die gigantische schwarze Gestalt über die Baumspitzen des Verbotenen Waldes fliegen sah, die direkt ins Licht der Schlossfenster glitt, sahen ich, dass es eine riesige pastellblaue Kutsche war, groß wie ein stattliches Haus, die auf uns zurauschte, durch die Lüfte gezogen von einem Dutzend geflügelter Pferde.
Die ersten drei Schülerreihen wichen zurück, als die Kutsche sich neigte und mit ungeheurer Geschwindigkeit zum Landen ansetzte – dann, mit einem alles erschütternden Krachen, das Neville rückwärts auf den Fuß eines Slytherin-Fünftklässlers springen ließ, schlugen die Pferdehufe, größer als Teller, auf festem Grund auf. Eine Sekunde später landete auch die Kutsche und federte auf ihren riesigen Rädern auf und ab, während die goldenen Pferde ihre riesigen Köpfe zurückwarfen und mit ihren großen feuerroten Augen rollten. Ich konnte gerade noch erkennen, dass auf der Kutschentür ein Wappen prangte (zwei gekreuzte goldene Zauberstäbe, aus denen jeweils drei Funken stoben), als auch schon die Tür aufging. Ein Junge in blassblauem Umhang sprang aus der Kutsche, bückte sich, machte sich einen Moment lang auf dem Kutschboden zu schaffen, zog dann eine ausklappbare goldene Treppe heraus und sprang respektvoll einen Schritt zurück. Ich sah einen hochhackigen, schimmernd schwarzen Schuh aus der Kutsche auftauchen – ein Schuh von der Größe eines Kinderschlittens –, dem sogleich die größte Frau folgte, die ich je gesehen hatte. Das erklärte natürlich die Größe der Kutsche und der Pferde. Einigen Umstehenden stockte der Atem, verständlich. Bisher hatte wir nur einen Menschen gesehen, der so groß war wie diese Frau, und das war Hagrid; wobei ich mir nicht sicher war, ob Hagrid auch nur um einen Zentimeter größer war. Doch irgendwie – vielleicht nur, weil ich an Hagrid gewöhnt war – schien diese Frau (die sich jetzt am Fuß der Treppe zu der mit aufgerissenen Augen wartenden Menge umsah) von noch unnatürlicherer Größe zu sein. Als sie in das Licht trat, das aus der Eingangshalle flutete, zeigte sich, dass sie ein hübsches, olivfarbenes Gesicht hatte, große, schwarze, feucht schimmernde Augen und eine schnabelähnliche Nase. Ihr Haar war im Nacken zu einem glänzenden Knoten zusammengebunden. Sie war von Kopf bis Fuß in schwarzen Satin gekleidet und an ihrem Hals und ihren dicken Händen glitzerten viele prächtige Opale. Das musste, so vermutete ich, die Leiterin von Beauxbatons sein.

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #4 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt