Versöhnung

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Fudge sah aus, als hätte ihm soeben jemand einen Faustschlag verpasst. Benommen und mit glasigem Blick stierte er Dumbledore an, als könne er einfach nicht glauben, was er gerade gehört hatte.
„Du-weißt-schon-wer ... ist zurück?", stammelte er schließlich und starrte Dumbledore unverwandt an. „Lächerlich. Nun hören Sie, Dumbledore..."
„Wie Minerva und Severus Ihnen zweifellos gesagt haben", entgegnete Dumbledore kühl, „hat Crouch vor uns ein Geständnis abgelegt. Unter dem Einfluss von Veritaserum schilderte er uns, wie er aus Askaban herausgeschmuggelt wurde und wie Voldemort – der über Bertha Jorkins von Crouchs Fortleben erfahren hatte – kam, um ihn aus den Händen seines Vaters zu befreien, und ihn dann einsetzte, um Harry in die Fänge zu bekommen. Und dieser Plan ist gelungen, muss ich Ihnen sagen. Crouch hat Voldemort geholfen zurückzukehren."
„Hören Sie, Dumbledore", sagte Fudge und zu Lucys Erstaunen regte sich ein mildes Lächeln auf seinem Gesicht, „Sie – Sie können das doch nicht im Ernst glauben. Du-weißt-schon-wer – ist zurück? Kommen Sie, kommen Sie... gewiss, Crouch selbst hat womöglich geglaubt, er würde auf Befehl des Unnennbaren handeln – aber das Wort eines solchen Verrückten auch für bare Münze zu nehmen, Dumbledore..."
„Als Harry vor einigen Stunden den Trimagischen Pokal berührte, hat er ihn direkt zu Voldemort transportiert", fuhr Dumbledore unbeeindruckt fort. „Er hat die Wiedergeburt Lord Voldemorts mit eigenen Augen gesehen. Ich erkläre Ihnen alles, wenn Sie in mein Büro hochkommen."
Dumbledore wandte sich Harry zu und sah, dass er wach war, doch dann schüttelte er den Kopf und sagte: „Ich fürchte, ich kann es Ihnen nicht gestatten, Harry heute Nacht noch zu befragen."
Fudges eigenartiges Lächeln blieb auf seinem Gesicht haften. Auch er warf einen Blick zu Harry hinüber, dann wandte er sich wieder an Dumbledore.
„Sie sind – ähm – bereit, Harrys Wort in dieser Sache zu glauben, nicht wahr, Dumbledore?"
Für kurze Zeit trat Stille ein, doch dann meldete sich Sirius. Zähnefletschend und mit gesträubten Rückenhaaren begann er Fudge anzuknurren.
„Natürlich glaube ich Harry", sagte Dumbledore. In seinen Augen loderte es. „Ich habe Crouchs Geständnis gehört und Harrys Schilderung dessen, was geschah, nachdem er den Trimagischen Pokal berührt hatte; die beiden Geschichten passen zusammen und erklären alles, was seit Bertha Jorkins' Verschwinden letzten Sommer passiert ist."
Das merkwürdige Lächeln auf Fudges Gesicht wollte nicht verschwinden. Erneut versetzte er Harry einen Blick, bevor er antwortete: „Sie sind bereit zu glauben, dass Lord Voldemort zurückgekehrt ist, aufgrund der Aussage eines irren Mörders und eines Jungen, der... nun..."
„Der was?", fauchte Lucy und stellte sich an die Seite ihres Bruders. Wieder blickte Fudge zu Harry hinüber und plötzlich begriff Harry.
„Sie haben Rita Kimmkorn gelesen, Mr Fudge", sagte er leise. Lucy wusste sofort worauf er hinaus wollte.
Ron, Hermine, Molly und Bill zuckten zusammen. Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass Harry wach war.
Fudge errötete leicht, doch ein sturer, widerwilliger Zug trat nun auf sein Gesicht.
„Und wenn schon", sagte er mit Blick auf Dumbledore. „Was, wenn ich herausgefunden habe, dass Sie gewisse Tatsachen über den Jungen unter der Decke halten? Ein Parselmund, ja? Und ständig irgendwelche merkwürdigen Anfälle..."
„Ich nehme an, Sie meinen die Narbenschmerzen Harrys?", entgegnete Dumbledore kühl.
„Sie geben also zu, dass er Schmerzen hat?", fragte Fudge rasch. „Kopfschmerzen? Alpträume? Womöglich auch – Halluzinationen?"
Lucy's Hass auf den Mann vor ihr wurde von Minute zu Minute größer. Ihre Hände zitterten leicht vor Wut.
„Hören Sie, Cornelius", sagte Dumbledore und tat einen Schritt auf Fudge zu; wieder schien er jene unbestimmbare Aura der Macht auszustrahlen, die Lucy gespürt hatte, nachdem Dumbledore den jungen Crouch in den Schockschlaf versetzt hatte. „Harry ist so gesund wie Sie und ich. Diese Narbe auf seiner Stirn hat ihm nicht den Verstand verwirrt. Ich vermute, sie schmerzt, wenn Lord Voldemort in der Nähe ist oder sich besonders mordlustig fühlt."
Fudge war einen halben Schritt vor Dumbledore zurückgewichen, doch er wirkte nicht minder stur. „Sie werden mir verzeihen, Dumbledore, aber ich habe noch nie von einer Fluchnarbe gehört, die als Alarmglocke gewirkt hat..."
„Hören Sie doch, ich habe gesehen, dass Voldemort zurückkam!", rief Harry. Er versuchte aus dem Bett zu steigen, doch Molly hielt ihn mit sanfter Gewalt zurück. „Ich habe die Todesser gesehen!"
„Der Junge kann mit Schlangen sprechen, Dumbledore, und Sie halten ihn dennoch für glaubwürdig?", fragte Fudge als hätte Harry nie etwas gesagt.
„Sie Dummkopf!", schrie Professor McGonagall. „Cedric Diggory! Mr Crouch! Diese Morde sind nicht die zufälligen Taten eines Verrückten!"
„Ich sehe keinen Beweis für das Gegenteil!", rief Fudge nicht weniger zornig und mit scharlachrot angelaufenem Gesicht. „Mir scheint, als wären Sie alle entschlossen, eine Panik auszulösen, die all das ins Wanken bringen soll, was wir in den letzten dreizehn Jahren aufgebaut haben!"
Lucy konnte nicht glauben, was sie da hörte.
„Voldemort ist zurück", wiederholte Dumbledore. „Wenn Sie diese Tatsache unverzüglich zur Kenntnis nähmen, Fudge, und die notwendigen Schritte einleiteten, könnten wir die Lage immer noch meistern. Der erste und wichtigste Schritt ist, Askaban der Kontrolle der Dementoren zu entziehen..."
„Lächerlich!", rief Fudge erneut. „Die Dementoren abziehen! Man würde mich aus dem Amt werfen, wenn ich so etwas vorschlagen würde! Viele von uns können nachts doch nur deshalb ruhig schlafen, weil sie wissen, dass die Dementoren in Askaban Wache halten!"
„Wir anderen schlafen nicht so ruhig, Cornelius", entgegnete Dumbledore, „denn wir wissen, dass Sie die gefährlichsten Anhänger Lord Voldemorts unter die Obhut von Kreaturen gestellt haben, die sich ihm anschließen werden, sobald er sie dazu auffordert! Die Dementoren werden Ihnen nicht treu bleiben, Fudge! Voldemort kann diesen Kreaturen mehr Bewegungsfreiheit für ihre Kräfte und Gelüste bieten als Sie! Sobald er die Dementoren für sich gewonnen und seine alten Anhänger um sich geschart hat, werden Sie die größte Mühe haben, ihn auf seinem Eroberungsfeldzug zurück zu ebenjener Macht aufzuhalten, die er zuletzt vor dreizehn Jahren innegehabt hat!"
Fudge öffnete und schloss den Mund, als gäbe es keine Worte, die seinem Zorn Ausdruck verleihen könnten.
„Der zweite Schritt, den Sie tun müssen – und zwar sofort", drängte Dumbledore weiter, „bestünde darin, Gesandte zu den Riesen zu schicken."
„Gesandte zu den Riesen?", kreischte Fudge, der nun offenbar seine Sprache wiedergefunden hatte. „Was soll dieser Irrsinn?"
„Bieten Sie ihnen die Hand der Freundschaft an, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist", erklärte Dumbledore, „oder Voldemort wird ihnen wie damals einreden, er sei der einzige Zauberer, der ihnen ihre Rechte und Freiheiten geben würde!"
„Sie – Sie können das doch nicht ernst meinen?", keuchte Fudge kopfschüttelnd und wich ein paar Schritte weiter vor Dumbledore zurück. „Wenn die magische Gemeinschaft davon Wind bekommt, dass ich auf die Riesen zugehe – die Leute hassen sie, Dumbledore – Ende meiner Karriere..."
„Sie sind mit Blindheit geschlagen", sagte Dumbledore mit erhobener Stimme und glühenden Augen, und die Aura der Macht, die ihn umgab, war nun fast greifbar. „Geblendet durch Ihren Ehrgeiz, Cornelius! Wie immer legen Sie zu viel Wert auf die so genannte Reinheit des Blutes! Sie sehen einfach nicht, dass es nicht darauf ankommt, als was jemand geboren ist, sondern darauf, was aus ihm wird! Ihr Dementor hat soeben den letzten Spross einer unserer ältesten reinblütigen Familien zerstört – und sehen Sie doch, was er willentlich aus seinem Leben gemacht hat! Ich sage es Ihnen noch einmal – tun Sie, was ich Ihnen vorgeschlagen habe, und in Ihrem Ministerium und draußen in der Zaubererwelt wird man Sie als einen unserer kühnsten und größten Zaubereiminister in Erinnerung behalten. Legen Sie die Hände in den Schoß – dann werden Sie in die Geschichte eingehen als der Mann, der beiseitetrat und Voldemort eine zweite Möglichkeit bot, die Welt zu vernichten, die wir wieder aufzubauen versuchten!"
„Verrückt", flüsterte Fudge und wich weiter zurück. „Wahnsinnig..."
Und dann trat Stille ein. Madam Pomfrey stand erstarrt, die Hände auf den Mund gepresst, am Fußende von Harrys Bett. Molly war immer noch über Harry gebeugt und hatte die Hand auf seine Schulter gelegt, um ihn zu beschwichtigen. Bill, Ron und Hermine starrten Fudge an. Lucy stand brodelnd an Sirius Seite und versuchte ihren Zorn zu kontrollieren.
„Wenn Ihr Wille, die Augen zu verschließen, Sie so weit bringt, Cornelius", sagte Dumbledore, „dann trennen sich nun unsere Wege. Sie müssen tun, was Sie für richtig halten. Und ich – ich werde tun, was ich für richtig halte."
In Dumbledores Stimme lag nicht die Spur einer Drohung; was er sagte, klang eher wie eine Feststellung, doch Fudge brauste auf, als wäre Dumbledore mit dem Zauberstab auf ihn losgegangen.
„Jetzt reicht es aber, Dumbledore", sagte er und fuchtelte drohend mit dem Zeigefinger, „ich habe Ihnen immer freie Hand gelassen. Ich hatte eine Menge Hochachtung vor Ihnen. Ich war vielleicht mit einigen Ihrer Entscheidungen nicht einverstanden, doch ich habe den Mund gehalten. So ohne weiteres hätte kein anderer Ihnen erlaubt, Werwölfe einzustellen oder Hagrid zu behalten oder selbst zu entscheiden, was Sie Ihren Schülern beibringen, ohne Rücksprache mit dem Ministerium. Doch wenn Sie jetzt gegen mich arbeiten wollen..."
„Der Einzige, gegen den ich zu arbeiten gedenke", entgegnete Dumbledore, „ist Lord Voldemort. Wenn Sie gegen ihn sind, Cornelius, dann bleiben wir auf derselben Seite."
Offenbar fiel Fudge darauf keine Antwort ein. Er wippte eine Weile auf seinen kleinen Füßen und drehte den Bowler in den Händen.
Als er schließlich den Mund aufmachte, lag etwas Flehendes in seiner Stimme: „Er kann nicht zurück sein, Dumbledore, das ist unmöglich..."
Snape trat vor, ging an Dumbledore vorbei und krempelte seinen linken Ärmel hoch. Er streckte seinen Unterarm aus und zeigte ihn dem zurückschreckenden Fudge.
„Hier, sehen Sie", sagte Snape barsch. „Hier. Das Dunkle Mal. Es ist nicht mehr so deutlich, wie es vor gut einer Stunde war, als es schwarz glühte, aber Sie können es noch immer sehen. Der Dunkle Lord hatte jedem Todesser dieses Zeichen eingebrannt. Es diente uns als Erkennungszeichen, und er benutzte es auch, um uns zu sich zu rufen. Wenn er das Mal irgendeines Todessers berührte, mussten wir sofort an seiner Seite apparieren. Dieses Zeichen hier ist das ganze Jahr über deutlicher geworden. Wie auch das von Karkaroff. Warum, glauben Sie, ist Karkaroff heute Nacht geflohen? Wir beide spürten das Mal brennen. Wir beide wussten, dass er zurückgekehrt war. Karkaroff fürchtet die Rache des Dunklen Lords. Er hat zu viele seiner Gefolgsleute verraten und weiß, dass sie ihn nicht mit offenen Armen empfangen werden."
Lucy zuckte zusammen und sah zum ersten Mal an diesem Abend wirklich zu Snape. Sie hatte nicht vergessen, dass auch er einst ein Anhänger Voldemorts war doch sie hatte nie darüber nachgedacht, dass auch er eben jenes Mal trug.
Fudge wich jetzt auch vor Snape zurück. Er schüttelte den Kopf. Offenbar hatte er kein Wort dessen, was Snape gesagt hatte, wirklich aufgenommen. Er starrte sichtlich angewidert das hässliche Mal auf Snapes Arm an, dann sah er zu Dumbledore hoch und flüsterte: „Ich weiß nicht, worauf Sie und Ihre Lehrer es angelegt haben, Dumbledore, aber ich habe genug gehört. Meinen Worten habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Morgen werde ich Verbindung mit Ihnen aufnehmen, Dumbledore, und mit Ihnen über die künftige Führung dieser Schule sprechen. Ich muss zurück ins Ministerium."
Er war schon fast an der Tür, als er innehielt. Er wandte sich um, kam wieder durch den Saal geschritten und blieb vor Harrys Bett stehen.
„Dein Gewinn",sagte er knapp, zog einen großen Goldbeutel aus der Tasche und ließ ihn auf Harrys Nachttisch fallen. „Eintausend Galleonen. Eine feierliche Preisverleihung war vorgesehen, aber unter diesen Umständen...."
Er drückte sich den Bowler auf den Kopf, marschierte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Sobald er verschwunden war, wandte sich Dumbledore der Gruppe um Harrys Bett zu.
„Wie kann so ein... so ein...", Lucy rang mit den Worten um Fudge zu beschreiben doch keines was ihr einfiel war schlimm genug um Fudge zu beschreiben. „Wie kann so einer das Oberhaupt unserer Gesellschaft sein?!"
Frustriert setzte sie sich auf Harrys Bett und schüttelte ungläubig den Kopf. Dumbledore legte Lucy beruhigend eine Hand auf die Schulter ehe er in die Runde sah.
„Es gibt einiges zu tun", sagte er. „Molly ... ich glaube wohl zu Recht, dass ich auf Sie und Arthur zählen kann?"
„Natürlich können Sie das", antwortete Molly. Sie war kreidebleich, wirkte jedoch entschlossen. „Er weiß, was Fudge für einer ist. Weil Arthur so viel für die Muggel übrig hat, legen sie ihm im Ministerium seit Jahren schon Steine in den Weg. Fudge meint, es fehle ihm an Zaubererstolz."
„Dann muss ich Arthur eine Botschaft schicken", sagte Dumbledore. „Alle, die wir von der Wahrheit überzeugen können, müssen sofort benachrichtigt werden, und Arthur hat den richtigen Posten, um mit den Leuten im Ministerium Verbindung aufzunehmen, die nicht so kurzsichtig sind wie Cornelius."
„Ich gehe zu Dad", sagte Bill und stand auf. „Und zwar sofort."
„Bestens", sagte Dumbledore. „Sagen Sie ihm, was geschehen ist. Sagen Sie, ich werde bald direkt mit ihm Kontakt aufnehmen. Er muss allerdings verschwiegen sein. Wenn Fudge denkt, ich würde mich im Ministerium einmischen..."
„Überlassen Sie das mir", sagte Bill.
Er gab Harry einen Klaps auf die Schulter, küsste seine Mutter auf die Wange, verabschiedete sich mit einer kurzen Umarmung von Lucy, zog den Umhang über und ging mit raschen Schritten hinaus.
„Minerva", sagte Dumbledore und wandte sich an Professor McGonagall, „ich möchte, dass Hagrid so schnell wie möglich in meinem Büro erscheint. Und auch – sofern sie einverstanden ist – Madame Maxime."
Professor McGonagall nickte und ging, ohne ein Wort zu verlieren, hinaus.
„Poppy", sagte er zu Madam Pomfrey, „seien Sie so nett und gehen Sie hinunter in Professor Moodys Büro, wo Sie, wie ich vermute, eine recht aufgelöste Hauselfe namens Winky finden. Tun Sie für die Elfe, was in Ihren Kräften steht, und geleiten Sie sie dann zurück in die Küche. Ich denke, Dobby wird uns den Gefallen tun und sich um sie kümmern."
„Ja – natürlich", sagte Madam Pomfrey verdutzt und auch sie ging hinaus. Dumbledore vergewisserte sich, dass die Tür geschlossen war und Madam Pomfreys Schritte sich entfernt hatten, dann erst hob er erneut die Stimme.
„Und nun", sagte er, „ist es an der Zeit, dass zwei der hier Anwesenden sich gegenseitig als das anerkennen, was sie sind. Sirius ... bitte nimm deine gewöhnliche Gestalt an."
Der große schwarze Hund sah zu Dumbledore auf, dann verwandelte er sich in Sekundenschnelle in einen ausgewachsenen Mann. Molly schrie auf und sprang vom Bett zurück.
„Sirius Black!", kreischte sie und deutete mit dem Finger auf ihn. Auch Lucy war aufgesprungen und stellte sich zwischen Molly und Sirius, ohne dabei jedoch auf Molly zu achten. Ihr Blick galt jemand anderem.
„Mum, beruhige dich!", rief Ron augenrollend. „Es ist alles in Ordnung!"
Lucys Blick lag auf dem Meister der Zaubertränke. Severus Snape hatte nicht geschrien und war auch nicht zurückgewichen, aber auf seinem Gesicht war eine Mischung aus Zorn und Entsetzen zu sehen.
„Der!", raunzte er und starrte Sirius an, dem nicht weniger Abscheu im Gesicht geschrieben stand. „Was tut der hier!"
„Er ist meiner Einladung gefolgt", sagte Dumbledore schlicht und sah die beiden abwechselnd an, „wie auch Sie, Severus. Ich vertraue euch beiden. Es ist an der Zeit, dass ihr die alten Streitigkeiten begrabt und euch gegenseitig vertraut."
Lucy hob eine Braue. Sirius und Snape beäugten sich mit allergrößtem Abscheu. Was jetzt geschah würde für die Beziehung zwischen Snape und ihr entscheiden sein, das wusste sie. Sie konnte und wollte es nicht beeinflussen doch wie Snape jetzt reagieren würde würde entscheidend dafür sein ob sie ihm verzeihen würde oder nicht. Es würde zeigen ob er seinen Stolz zurück stecken und zuhören konnte.
„Fürs Erste". sagte Dumbledore mit einer Spur Ungeduld in der Stimme, „gebe ich mich auch mit dem Verzicht auf offene Feindseligkeiten zufrieden. Ihr werdet euch jetzt die Hände reichen. Ihr seid jetzt auf derselben Seite. Die Zeit ist knapp, und wenn die wenigen von uns, die die Wahrheit kennen, nicht zusammenhalten, gibt es für keinen von uns Hoffnung. Ich denke auch für deine Tochter wäre dies entscheidend."
Snapes Augen flogen zu Lucy und seine Augen verengten sich während seine Lippen eine dünne Linie bildeten. Lucy sagte nichts doch ihre Augen flehten ihren Adoptivvater an. Bitte Severus, Schluck deinen Stolz einmal runter, baten sie. Snape sah wieder zu Sirius.
Ganz langsam – doch immer noch mit bösen Blicken, als ob jeder dem anderen das Schlimmste an den Hals wünschte – bewegten Sirius und Snape die Hände aufeinander zu und überwanden sich zu einem Händedruck. Äußerst rasch ließen sie wieder los.
„Das wird fürs Erste genügen", sagte Dumbledore und trat erneut zwischen sie. Ein Grinsen breitete sich auf Lucys Gesicht aus und mit einem Mal fiel sämtliche Anspannung von der jungen Gryffindor ab. Wenn es Dumbledore genügte, reichte es für sie alle mal aus. Eine jahrelange Feindschaft konnte man nicht von heute auf morgen begraben. Lucy wusste das, ebenso wie Dumbledore es wusste, doch dies war ein guter Anfang.
„Nun habe ich Aufträge für euch beide. Fudges Haltung, wiewohl nicht unerwartet, ändert alles. Sirius, ich muss dich bitten, sofort abzureisen. Du musst Remus Lupin, Arabella Figg und Mundungus Fletcher alarmieren – die alten Kämpfer. Tauch eine Weile bei Lupin unter, ich werde dort Verbindung mit dir aufnehmen."
„Aber....", sagte Harry. Lucy legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Sirius muss tun was er tun muss", sagte sie schwach lächelnd, die Vision von ihm nicht vergessend.
„Wir werden uns sehr bald wiedersehen", sagte Sirius und ging auf seine Patenkinder zu. „Das versprech ich. Aber ich muss tun, was in meinen Kräften steht, das verstehst du doch?"
„Jaah", sagte Harry. „Jaah ... natürlich."
Sirius nahm kurz seine Hand, umarmte Lucy flüchtig, nickte Dumbledore zu, verwandelte sich wieder in den schwarzen Hund und rannte durch den Saal zur Tür, deren Klinke er mit der Pfote hinunterdrückte. Dann war er verschwunden. Bevor Dumbledore sich Snape zuwenden konnte hatte Lucy bereits mit zwei langen Schritten den Platz zwischen ihnen überwunden und war ihm um den Arm gefallen. Völlig überrumpelt von diesem plötzlichen Körperkontakt versteifte Snape sich.
„Danke", hauchte die Rothaarige und kämpfte mit den Tränen. Sie spürte nicht mal, dass sie zitterte. Diese Entfernung, die sie all die Monate gespürt hatte, die Enttäuschung, die ihr jedes Mal den Hals zugeschnürt hatte, wenn sie ihren Vater angesehen hatte, endlich waren beide weg. Nun konnte sie ihm endlich verzeihen.
„Es tut mir leid", murmelte Snape so leise in Lucys Ohr, dass sie selbst nicht mal sicher war ob er diese Worte wirklich ausgesprochen hatte. Snape legte kurz seine Arme um das Mädchen und drückte sie an sich bevor er sich wieder von ihr löste und Dumbledore zunickte.
„Severus", sagte Dumbledore an Snape gewandt, „Sie wissen, was ich von Ihnen verlangen muss. Wenn Sie willens sind ... wenn Sie bereit sind..."
Sein Blick flog zu Lucy doch Snape schüttelte den Kopf.
„Ich bin bereit", sagte Snape. Er sah ein wenig bleicher aus als sonst und seine kalten schwarzen Augen glitzerten eigenartig. „Ich vertraute Ihnen meine Tochter an. Geben Sie gut auf sie Acht."
„Viel Glück", sagte Dumbledore. Mit einem Anflug von Besorgnis auf dem Gesicht sah er Snape nach, der ohne ein weiteres Wort Sirius hinaus zur Tür folgte. Lucy wusste, auch ohne eine Bestätigung, dass sie Snape bis zum nächsten Schuljahr nicht mehr wieder sehen würde. Dunkle Zeiten würden nun auf sie alle zukommen. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend sah Lucy Snape hinterher. Dumbledore legte eine Hand auf ihre Schulter.
„Er wird zurück kommen."
Sie nickte, schloss die Augen und atmete einmal tief ein und aus.
„Das muss er."

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #4 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt