Das Trimagische Turnier

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Ein Mann, auf einen langen Stock gestützt und in einen schwarzen Reiseumhang gehüllt, stand am Eingang. Jeder Kopf in der Großen Halle wirbelte zu dem Fremden herum, den ein spinnbeiniger Blitz am Himmel jäh ins Licht tauchte. Er nahm seine Kappe ab, befreite mit einem Kopfschütteln seine lange, grauweiße Haarmähne und wandte seine Schritte dem Lehrertisch zu. Ein dumpfes Klonk wummerte bei jedem zweiten Schritt durch die Große Halle. Er bestieg das Podium, wandte sich nach rechts und humpelte auf Dumbledore zu. Erneut schoss ein Blitz über den Himmel.
Der Blitz offenbarte das Gesicht des Mannes als scharfes Relief, und es war ein Gesicht, wie ich noch nie eines gesehen hatte. Es wirke, als wäre es aus einem Stück verwitterten Holzes geschnitzt, von jemandem, der nur eine ganz dunkle Ahnung von einem menschlichen Gesicht hatte und nicht allzu kunstfertig mit dem Breitel umgehen konnte. Jeder Zentimeter seiner Haut schien vernarbt zu sein; der Mund war eine klaffende Wunde, die sich schräg über das Gesicht zog, und ein großes Stück der Nase fehlte. Doch es waren die Augen des Mannes, die mir einen Schauer über den Rücken jagten.
Das eine war eine kleine, dunkle Perle. Das andere war groß, rund wie eine Münze und von einem leuchtend stählernen Blau. Das blaue Auge bewegte sich unablässig, ohne Lidschlag, rollte nach oben, nach unten, zur Seite, ganz unabhängig vom normalen Auge, und dann drehte es sich ganz nach hinten und blickte in den Kopf des Mannes hinein, so dass ich nur noch das Weiße des Augapfels sehen konnte.
Der Fremde trat nun vor Dumbledore. Er streckte die Hand aus, die genauso schwer vernarbt war wie sein Gesicht, Dumbledore schüttelte sie und murmelte ein paar Worte, die ich nicht verstand. Er schien den Fremden nach etwas zu fragen, der jetzt ohne ein Lächeln den Kopf schüttelte und mit gedämpfter Stimme antwortete. Dumbledore nickte und bot dem Mann den leeren Platz neben sich an.
Der Fremde setzte sich, warf die grauweißen Haare aus dem Gesicht, zog einen Teller Würste zu sich her, hob sie zum Rest seiner Nase hoch und beschnüffelte sie. Dann zog er ein kleines Messer aus der Tasche, spießte damit eine Wurst auf und begann zu essen. Sein normales Auge ruhte auf den Würsten, doch das blaue Auge huschte immer noch ruhelos in seiner Höhle umher und musterte die Halle und uns Schüler.
„Ich möchte euch euren neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste vorstellen", sagte Dumbledore strahlend in das Schweigen hinein. „Professor Moody."
Normalerweise wurden neue Lehrer mit Beifall begrüßt, doch kein Lehrer und auch kein Schüler rührte die Hand, mit Ausnahme von Dumbledore und Hagrid. Beide klatschten, doch in der Stille klang es kläglich, und sie hörten schnell wieder auf. Alle anderen schienen ebenso gebannt von Moodys außergewöhnlicher Erscheinung wie ich, so dass sie ihn nur anstarren konnten.
„Moody?", hörte ich Harry Ron zuflüstern. „Mad-Eye Moody? Dem dein Dad heute Morgen zu Hilfe gekommen ist?"
„Das muss er sein", antwortete Ron mit leiser, beeindruckter Stimme.
„Was ist denn mit dem los?", flüsterte Hermine. „Was ist mit seinem Gesicht passiert?"
„Keine Ahnung", flüsterte Ron, der Moody immer noch fasziniert anstarrte. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Moody schien sein wenig überschwänglicher Empfang nicht im Mindesten zu stören. Ohne den Krug mit Kürbissaft vor sich zu beachten, steckte er die Hand abermals in seinen Reiseumhang, zog einen Flachmann heraus und nahm einen kräftigen Schluck. Als er den Arm hob, um zu trinken, verrutschte sein Umhang ein wenig, und ich sah unter dem Tisch einige Zentimeter seines geschnitzten Holzbeines, das in einem Klauenfuß endete. Dumbledore räusperte sich erneut.
„Wie ich eben erwähnte", sagte er und lächelte dem Meer von Schülern zu, die immer noch gebannt Mad-Eye Moody anstarrten, „werden wir in den kommenden Monaten die Ehre haben, Gastgeber einer sehr spannenden Veranstaltung zu sein, eines Ereignisses, das seit über einem Jahrhundert nicht mehr stattgefunden hat. Mit allergrößtem Vergnügen teile ich euch mit, dass dieses Jahr in Hogwarts das Trimagische Turnier stattfinden wird."
„Sie machen Witze!", rief Fred laut und sprang auf. Verwirrt sah ich zu ihm und George, der ebenfalls aufgesprungen war und mit offenem Mund zu Dumbledore hinauf sah.
Die Spannung, welche die Halle seit Moodys Ankunft erfüllt hatte, entlud sich mit einem Schlag. Fast alle lachten und Dumbledore gluckste zufrieden.
„Ich mache keine Witze, Mr Weasley", sagte er, „obwohl, da fällt mir ein, im Sommer habe ich einen köstlichen Witz gehört; ein Troll, eine Vettel und ein irischer Kobold gehen zusammen in die Kneipe..."
Professor McGonagall räusperte sich vernehmlich.
„Ähm – aber vielleicht ein andermal ... nein ...", sagte Dumbledore. „Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, das Trimagische Turnier... nun, einige von euch werden nicht wissen, worum es bei diesem Turnier geht, und ich hoffe, dass die anderen mir verzeihen, wenn ich es kurz erkläre, sie können ja inzwischen weghören."
Gespannt sah ich von den Zwillingen zu Dumbledore.
„Das Trimagische Turnier fand erstmals vor etwa siebenhundert Jahren statt, als freundschaftlicher Wettstreit zwischen den drei größten europäischen Zaubererschulen – Hogwarts, Beauxbatons und Durmstrang. Jede Schule wählte einen Champion aus, der sie vertrat, und diese drei mussten im Wettbewerb drei magische Aufgaben lösen. Die Schulen wechselten sich alle fünf Jahre als Gastgeber des Turniers ab, und alle fanden, dies sei der beste Weg, persönliche Bande zwischen jungen Hexen und Magiern verschiedener Länder zu knüpfen – bis allerdings die Todesrate so stark zunahm, dass das Turnier eingestellt wurde."
„Todesrate?", flüsterte Hermine mit alarmierter Miene. Doch ihre Beklemmung schien von der Mehrheit der Schüler in der Halle nicht geteilt zu werden; viele von ihnen tuschelten aufgeregt miteinander und wenn ich ehrlich war, war auch ich mehr daran interessiert mehr über das Turnier zu erfahren.
„Es gab im Laufe der Jahrhunderte mehrere Versuche, das Turnier wieder einzuführen", fuhr Dumbledore fort, „doch keiner davon war sehr erfolgreich. Nun allerdings hat unsere Abteilung für Magische Spiele und Sportarten beschlossen, dass die Zeit reif ist für einen neuen Versuch. Den ganzen Sommer über haben wir uns alle Mühe gegeben, dafür zu sorgen, dass diesmal kein Champion in tödliche Gefahr geraten kann. Die Schulleiter von Beauxbatons und Durmstrang werden mit ihren Kandidaten engerer Wahl im Oktober hier eintreffen und der Ausscheidungskampf für die drei Champions wird an Halloween stattfinden. Ein unparteiischer Richter wird entscheiden, welche Schüler geeignet sind, im Trimagischen Turnier für den Ruhm ihrer Schule anzutreten und das ausgesetzte Preisgeld von tausend Galleonen zu gewinnen."
„Ich mach mit!", zischte Fred Weasley, so dass es alle am Tisch hörten, und er strahlte schon begeistert bei der Vorstellung so viel Ruhm und Reichtum ernten zu können. Genervt verdrehte ich die Augen. War klar, dass er, ebenso wie George hellauf begeistert sein würden. Die beiden jedoch waren offenbar nicht die Einzigen, die sich bereits als Hogwarts- Champions sahen. An jedem Haustisch sah ich Schüler, die entweder traumverloren Dumbledore anstarrten oder fieberhaft mit ihren Nachbarn flüsterten. Doch dann erhob Dumbledore erneut die Stimme, und die Halle verstummte.
„Zwar weiß ich, wie begierig ihr alle darauf seid, den Trimagischen Pokal für Hogwarts zu holen", sagte er ernst, „doch die Leiter der teilnehmenden Schulen haben gemeinsam mit dem Zaubereiministerium beschlossen, in diesem Jahr eine Altersbegrenzung für die Bewerber festzusetzen. Nur Schüler, die volljährig sind – das heißt siebzehn Jahre oder älter -, erhalten die Erlaubnis, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Dies ist ein Schritt", Dumbledore sprach ein wenig lauter, denn bei diesen Worten hatten einige Schüler empört aufgeschrien und die Zwillinge schienen plötzlich mächtig zornig zu sein – „dies ist ein Schritt, den wir für notwendig halten, denn die Turnieraufgaben sind schwierig und trotz aller Vorkehrungen nur unter Gefahr zu lösen, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass Schüler unterhalb der sechsten Klassenstufe damit zurechtkommen. Ich persönlich werde dafür sorgen, dass kein minderjähriger Schüler unseren unparteiischen Schiedsrichter hinters Licht führt, um Hogwarts-Champion zu werden."
Seine hell- blauen Augen huschten zwinkernd über Freds und Georges rebellische Mienen. „Ich bitte euch daher, eure Zeit nicht mit einer Bewerbung zu verschwenden, wenn ihr noch nicht siebzehn seid."
Ich konnte nicht anders als erleichtert aufzuatmen. Schon bei den ersten Worten hatte ich gewusst, dass Fred und George Feuer und Flamme sein würden doch ich kam nicht umhin mir Sorgen zu machen. Dass sie gar nicht erst teilnehmen durften nahm mir eine große Last von den Schultern.
„Die Abordnungen aus Beauxbatons und Durmstrang werden im Oktober eintreffen und den größten Teil des Jahres bei uns bleiben. Ich weiß, dass ihr unsere ausländischen Gäste mit größter Herzlichkeit empfangen und den Hogwarts-Champion mit Leib und Seele unterstützen werdet, sobald er oder sie ausgewählt ist. Und nun ist es spät und ich weiß, wie wichtig es ist, dass ihr alle wach und ausgeruht seid, wenn ihr morgen in die Klassen geht. Schlafenszeit! Husch, husch!"

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #4 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt