Familie

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Ruckartig fuhr ich im Bett hoch und presste die Hand auf meinen schmerzenden Arm der mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Mein Atem ging schwer und mein Herz schlug schnell. Kalter Schweiß lief meinen Hals hinunter.
„Was ist los?", hörte ich George neben mir verschlafen murmeln.
„Nichts", hauchte ich atemlos. „Ich hab nur schlecht geschlafen."
Ich atmete einmal tief ein und aus, versuchte meinen Herzschlag so zu beruhigen.
„Ich geh kurz frische Luft schnappen", wisperte ich und gab George einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf ruhig weiter."
Leise stand ich auf, griff nach der ärmellosen Weasley Jacke, schlüpfte in meine Hausschuhe und verließ das Zimmer der Zwillinge. Vorsichtig stieg ich Treppe hinunter und ging durch das Wohnzimmer hinaus in den Garten.
Es war August, die Nacht war noch warm. Der Mond leuchtete auf den kleinen Teich und die Sterne schimmerten am wolkenlosen Himmel. Es wirkte alles so friedlich.
„Was ist los, Luce?"
George kam hinter mir zum stehen und legte seine Arme um mich. Erschöpft lehnte ich mich gegen ihn.
„Hattest du eine Vision?", fragte er besorgt.
„Ich weiß nicht genau", antwortete ich seufzend. „Ich glaube, dass es nur ein Traum war. Ich weiß eigentlich wann ich reise, sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft, aber das hat sich anders angefühlt als sonst."
Ich löste mich von George und setzte mich ins hohe Gras. George setzte sich neben mich. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter während er den Arm um mich schlang.
„Willst du mir davon erzählen?"
„Ich hab ihn gesehen", sagte ich leise. „Voldemort."
George zuckte beim Klang des Namens zusammen sagte aber nichts.
„Er...", ich schauderte kurz bei der Erinnerung. „Er war nicht mal ein richtiger Mensch. Er sah furchtbar aus. Peter war bei ihm und sie... Sie planten seine Rückkehr. Sie sprachen über Harry..."
„Und du glaubst das bedeutet etwas?", fragte George leise.
„Ich weiß es nicht", murmelte ich frustriert. „Das ist es ja was mich fertig macht. Ich weiß nicht, ob es ein Traum war oder eine Reise. Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat oder nicht. Ich weiß nicht ob Voldemort zurück kehrt oder nicht... Ich weiß es nicht... Ich weiß es einfach nicht... aber..."
Ich spürte wie ich anfing zu zittern. Und plötzlich überrollte mich dieses Gefühl, dieses starke, nicht zu leugnende Gefühl, dass dieses Jahr etwas schreckliches passieren würde, dass jemand sterben würde... Es schnürte mir die Kehle zu, raubte mir den Atem und lähmte sämtliche meiner Gedanken.
„Ssscht", hauchte George und strich mir beruhigend über den Rücken. „Ssscht, alles gut. Ich bin hier."
Ich krallte mich an ihn, zog seinen Duft ein und allmählich beruhigte sich meine Atmung und mein Herzschlag wieder.
„Gehts wieder?"
„Ja", antwortete ich. „Ja, danke."
„Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert", wisperte er. Ich antwortete nicht. Ich konnte nicht. Würde Voldemort zurück kehren konnte auch er mich nicht beschützen. Wir beide wussten das doch ich wusste auch, dass es ihm half, wenn er sich an Hoffnung klammerte. So war er nun mal. Das war einer der Gründe warum ich ihn liebte. Doch er schaffte es nicht mir meine Angst gänzlich zu nehmen.
„Lass uns wieder schlafen gehen", murmelte ich und zog ihn mit hoch. Ich spürte seinen besorgten Blick auf mir doch ich wollte nicht weiter darüber reden. Vielleicht war es egoistisch, ich wusste es nicht. Doch in dieser Nacht schwor ich mir George vor all dem was kommen würde zu beschützen.

Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag meine Augen öffnete waren alle Gedanken an den Traum und Voldemort vertrieben. Schläfrig setzte ich mich auf und bemerkte, dass die rechte Bettseite leer war. Ich sah zu Freds Bett hinüber doch auch das war leer. Die beiden mussten schon aufgestanden sein. Seufzend fiel ich ins Bett zurück. Es war gut, dass die beiden schon auf waren. Molly wusste immer noch nicht, dass ich die Nächte lieber mit George, kuschelnd in seinem Bett verbrachte, statt alleine auf der Matratze zwischen den Betten der Zwillinge. Würde sie es jemals heraus finden würde sie ohne Zweifel darauf bestehen, dass ich zu Ginny ins Zimmer ging.
Ein leichtes Picken am Fenster riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah hinüber und mein Blick fiel auf eine kleine Eule, die einen, für sie viel zu großen, Brief im Schnabel trug. Das war Pig, Ron's Eule, die Sirius ihm am Ende des letzten Schuljahres geschenkt hatte. Ich bemerkte auch, dass die Sonne schon tiefer stand als ich gedacht hatte. Es musste schon später Mittag sein.
Ich stand auf und ging zum Fenster um die Eule hinein zu lassen. Der Brief war an Ron adressiert doch ich erkannte Harrys krakelige Handschrift. Das musste seine Antwort auf die Einladung der Weasleys sein. Aufgeregt schlüpfte ich in meine Hausschuhe und lief hinunter ins Wohnzimmer des Fuchsbaus.
„Ron? Ron, wo bist du?"
„Küche", kam die Antwort.
In der Küche arbeitete Molly bereits am Abendessen während Ron, Fred und George sich daran gemacht hatten den Tisch zu decken.
„Guten Morgen", sagte ich in die Runde, gab George im vorbeigehen einen flüchtigen Kuss und drückte Ron den Brief in die Hand. „Harrys Antwort ist grade gekommen."
„Gut geschlafen liebes?", fragte Molly mich lächelnd und bedeutete mir mich hinzusetzen. Ich nickte und ließ mich dann auf einen der Stühle fallen.
„Was schreibt er?", fragte Ron grinsend und setzte sich neben mich.
„Es ist dein Brief", antwortete ich. „Auch wenn er von Harry ist, ich habe ihn nicht geöffnet."
Ron öffnete den Brief, zog das Stück Pergament hervor und las laut vor:

Ron, alles in Ordnung, die Muggel sagen, ich darf gehen. Bis morgen um fünf. Kann es kaum erwarten.

Harry

„Er darf! Sie lassen ihn tatsächlich kommen!", sagte ich verblüfft. Auch Ron starrte den Brief ungläubig an, fast als hätte er schon mit einer Absage gerechnet. Harry würde also tatsächlich herkommen und mit uns zusammen den Sommer verbringen.
Abermals wurde ich aus meinen Gedanken gerissen als sich die Haustür der Weasleys öffnete und zwei weitere rothaarige Männer den Fuchsbau betraten. Ich hatte die beiden offiziell noch nicht kennengelernt doch ich wusste sofort wer sie waren. Bill und Charlie, die beiden ältesten Weasley-Brüder.
„Du musst Lucy sein", sagte der eine als er mich erblickte und streckte seine große Hand aus. Als ich sie schüttelte, spürte ich Schwielen und Blasen an den Fingern. Das musste Charlie sein, der in Rumänien lebte und mit Drachen arbeitete. Charlie war ähnlich gebaut wie die Zwillinge, kleiner und stämmiger als Percy und Ron, die beide groß und schlaksig waren. Sein gutmütiges Gesicht war breit und wettergegerbt und die vielen Sommersprossen ließen es noch gebräunter wirken. Auf einem seiner muskulösen Arme war ein großes, schimmerndes Brandmal zu sehen.
Auch Bill wandte sich jetzt mit einem Lächeln zu mir und schüttelte meine Hand.
„Ich bin Bill", stellte er sich freundlich vor. „Wir haben schon einiges von dir gehört, Lucy. Schön dich kennen zu lernen."
Bills Aussehen überraschte mich etwas. Ich, mit dem Wissen, dass Bill für die Zaubererbank Gringotts arbeitete und Schulsprecher in Hogwarts gewesen war, hatte mir Bill immer als einen älteren Doppelgänger von Percy vorgestellt: peinlich genau darauf bedacht, die Vorschriften einzuhalten, und mit Genuss dabei, die anderen herumzukommandieren. Tatsächlich jedoch war Bill – und es gab kein besseres Wort dafür – einfach cool. Er war hoch gewachsen und hatte sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug einen Ohrring, an dem etwas baumelte, das aussah wie der Giftzahn einer Schlange. Seine Kleidung hätte gut in ein Rockkonzert gepasst, nur dass seine Schuhe, wie mir auffiel, nicht aus Leder, sondern aus Drachenhaut waren.
„Ich freue mich auch", antwortete ich grinsend.

Durch die Ankunft von Bill und Charlie wurde das Abendessen kurzerhand in den Garten des Fuchsbaus gelegt. Jetzt zusammen mit neun Weasleys zu essen machte das übliche Weasley Chaos noch chaotischer. Erst als alle am Tisch saßen und wir begannen zu essen wurde es etwas entspannter. Selbst Perce hatte sich entschlossen dem Abendessen beizuwohnen, was vermutlich nur daran lag, dass seine älteren Brüder heute angekommen waren.
Seit Percy für das Ministerium arbeitete bekamen wir ihn nur äußerst selten zu Gesicht. Obwohl wir nie die dicksten Freunde gewesen waren fand ich es schade immerhin war auch er Teil der Familie.
Während Perce und Arthur sich am Ende des Tisches über die Arbeit unterhielten stritt Molly in der Mitte der Tafel mit Bill über seinen Ohrring, den er offenbar erst seit kurzem trug.
„... mit einem fürchterlichen Riesenzahn dran, wirklich, Bill, was sagen sie in der Bank?"
„Mum, keiner in der Bank schert sich einen Pfifferling darum, wie ich mich anziehe, solange ich genug Schätze reinbringe", sagte Bill geduldig doch ich sah wie er die Augen verdrehte als Molly einen Augenblick nicht hinsah.
„Und dein Haar sieht allmählich aus, mein Lieber", fuhr Molly fort, als hätte sie gar nicht mitbekommen, dass Bill etwas gesagt hatte, und befingerte liebevoll ihren Zauberstab. „Ich wünschte, du würdest mich mal kurz da ranlassen..."
„Es sieht doch gut aus", sagte ich schmunzelnd und zwinkerte Bill zu.
„Mir gefällt es so", warf auch Ginny ein. „Außerdem ist es nicht mal halb so lang wie das von Dumbledore."
Neben Ginny und mir unterhielten sich Fred, George und Charlie angeregt über das kommende Finale der Quidditch-Weltmeisterschaft.
„Ich tippe auf Irland", mampfte Charlie mit einem Mund voll Kartoffeln. „Die haben Peru im Halbfinale plattgemacht."
„Aber Bulgarien hat Viktor Krum", sagte Fred.
„Krum ist gerade mal ein brauchbarer Spieler, Irland hat sieben", sagte Charlie schroff. „Wär schön gewesen, wenn England es geschafft hätte. Aber das war peinlich, wirklich sehr peinlich."
„Sind gegen Transsilvanien untergegangen, oder?", fragte ich an Charlie gewandt.
„Dreihundertneunzig zu zehn", antwortete er trübselig. „War grausam mit anzusehen. Und Wales hat gegen Uganda verloren, und Luxemburg hat Schottland abgeschlachtet."
Arthur beschwor Kerzen herauf, denn im Garten wurde es allmählich dunkel. Es gab Nachtisch - zu meinem Vergnügen eine riesige Schale mit Pudding - und als wir aufgegessen hatten, flatterten Motten tief über den Tisch und der Duft von Gräsern und Geißblatt erfüllte die warme Luft. Ich lehnte mich an George, der seinen Arm um mich schlang, und sah ein paar Gnomen nach, die mit irrem Lachen durch die Rosenbüsche rasten, dicht gefolgt von Krummbein, und fühlte mich so richtig satt und zufrieden mit der Welt.

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #4 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt