Im Hogwarts Express

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Düstere Stimmung lag in der Luft, als wir am nächsten Morgen erwachten, denn die Sommerferien waren nun endgültig vorbei. Der Regen klatschte noch immer schwer gegen die Scheiben, während ich in eine weiße Jeans und einen violetten Hoodie schlüpfte. Als ich mich fertig gemacht hatte schliefen die Jungs noch immer. Ich weckte alle und als auch sie fertig waren machten wir uns auf den Weg zum Esszimmer. Molly stand mit gequälter Miene am Fuße der Treppe.
„Arthur!", rief sie durchs Treppenhaus. „Arthur! Dringende Nachricht vom Ministerium!"
Arthur erschien, den Umhang verkehrt herum an, trippelte an uns vorbei und verschwand unten in der Küche. Als wir kurz danach hinzukamen, fanden wir Molly aufgeregt in den Schubladen des Geschirrschranks wühlen während sich Arthur über das Feuer gebeugt mit Amos Diggory unterhielt. Er redete hastig auf Arthur ein, ohne sich von den umherstiebenden Funken und den um seine Ohren züngelnden Flammen auch nur im Geringsten stören zu lassen.
„Muggelnachbarn haben Lärm und Schreie gehört und deshalb diese, wie heißen sie noch mal – Blitzisten gerufen. Arthur, du musst da unbedingt hin!"
„Hier, bitte!", keuchte Molly und drückte ihrem Mann ein Blatt Pergament, ein Fläschchen Tinte und eine zerzauste Feder in die Hand.
„Wir können wirklich von Glück reden, dass ich davon gehört hab", sagte Mr Diggorys Kopf. „Ich musste heute rechtfrüh ins Büro, um ein paar Eulen wegzuschicken, und da hab ich all diese Leute von Missbrauch der Magie losfliegen sehen – wenn Rita Kimmkorn Wind davon kriegt, Arthur!"
Ich wandte mich von dem Gespräch ab und setzte mich an den großen Tisch. Harry und Ron folgten mir während Fred und George im Wohnzimmer blieben um zu hören was Mr Diggory noch zu sagen hatte.
Es dauerte nicht lange bis ich hörte wie Arthur sich hastig von Bill, Charlie, Percy, Hermine und Ginny verabschiedete. Fünf Minuten später tauchte er wieder in der Küche auf, sich hastig kämmend, den Umhang jedoch richtig herum an.
„Ich muss mich beeilen – ein gutes Schuljahr wünsch ich euch!", rief er Harry, Ron, den Zwillingen und mir zu, warf sich einen weiteren Umhang über die Schulter und machte Anstalten zu disapparieren. „Molly, macht es dir was aus, die Kinder nach King's Cross zu bringen?"
„Ist schon gut", sagte Molly. „Kümmere du dich um Mad-Eye, wir kommen schon klar."
Kaum war Arthur verschwunden, traten Bill und Charlie in die Küche.
„Hat hier jemand was von Mad-Eye gesagt?", fragte Bill. „Was hat er jetzt schon wieder ausgefressen?"
„Er behauptet, jemand habe versucht, letzte Nacht in sein Haus einzubrechen", antwortete Molly.
„Mad-Eye Moody?", fragte George nachdenklich, währender seinen Toast mit Marmelade bestrich.
„Du kennst ihn?", fragte ich verblüfft. „Wer ist das?"
„Dieser leicht durchgeknallte..."
„Dein Vater hält sehr viel von Mad-Eye Moody", unterbrach ihn Molly steif.
„Jaah, nun, Dad sammelt auch Stecker, oder?", meinte Fred leise, als Molly hinausging. „Seelenverwandtschaft..."
„Und wer ist dieser Moody nun?", fragte ich erneut.
„Moody war zu seiner Zeit ein großer Zauberer", antwortete Bill.
„Er ist doch ein alter Freund von Dumbledore?", meinte Charlie.
„Auch Dumbledore ist ja nicht gerade das, was man normal nennen würde", murmelte Fred. „Sicher, er ist ein Genie und alles..."
„Wer ist denn nun Mad-Eye?", fragte nun auch Harry und sah ebenso verwirrt in die Runde wie ich.
„Früher hat er fürs Ministerium gearbeitet, heute ist er im Ruhestand", antwortete Charlie. „Ich hab ihn mal getroffen, als Dad mich zur Arbeit mitnahm. Er war ein Auror – einer der besten..."
„Ein Auror?", fragte ich nach. „Jagen die nicht dunkle Zauberer?"
Charlie nickte.
„Zu seiner Zeit hat er praktisch die Hälfte der Zellen in Askaban gefüllt. Hat sich dabei allerdings eine Menge Feinde gemacht... vor allem die Familien von Leuten, die er gefangen hat... und wie ich höre, hat ihn auf seine alten Tage noch der Verfolgungswahn gepackt. Traut keinem mehr über den Weg. Sieht an jeder Ecke schwarze Magier."

Bill und Charlie kamen überein, uns nach King's Cross zu begleiten und sich dort zu verabschieden. Die Ereignisse der Weltmeisterschaft immer noch nicht ganz verdaut, war ich die ganze Fahrt über angespannt und ziemlich erleichtert als wir endlich am Bahnhof ankamen. Harry, Ron und Hermine waren als Erste dran, kaum hatten sie sich ganz entspannt und munter schwatzend gegen die Absperrung gelehnt, als sie auch schon seitlich hindurchglitten. Fred, George und ich gingen als nächstes und schon tauchte Gleis neundreiviertel vor unseren Augen auf. Der Hogwarts-Express mit seiner scharlachrot leuchtendenDampflok stand schon bereit, und im Nebel der Dampfschwaden, die aus dem Schornstein zischten, wirkten die vielen Hogwarts-Schüler und ihre Eltern auf dem Bahnsteig wie dahingleitende Schatten. Pigwidgeon erwiderte die vielstimmigen Eulenschreie, die durch den Nebel drangen, mit besonders lautem und schrillem Gelärme. Wir machten uns auf die Suche nach einem freien Abteil und konnten unser Gepäck auch bald in einem Abteil ungefähr in der Mitte des Zuges verstauen. Dann sprangen wir noch einmal auf den Bahnsteig, um Molly, Bill und Charlie auf Wiedersehen zu sagen.
„Vielleicht seht ihr mich schneller wieder, als ihr denkt", grinste Charlie, während er Ginny zum Abschied umarmte.
„Warum?", fragte Fred neugierig.
„Ihr werdet ja sehen", antwortete Charlie zwinkernd. „Aber sagt bloß Percy nicht, dass ich was erwähnt hab... es ist ja eine geheime Information, bis das Ministerium beschließt, sie freizugeben."
„Ja, ich wünschte, ich könnte dieses Jahr noch mal in Hogwarts sein", sagte Bill, der mit den Händen in den Taschen dastand und beinahe neidisch den Zug betrachtete.
„Warum?", fragte George ungeduldig.
„Ihr werdet jedenfalls ein spannendes Jahr erleben", sagte Bill schmunzelnd. „Vielleicht nehm ich mir sogar mal frei, um es mir selbst kurz anzuschauen."
„Was denn?", fragte ich nun ebenfalls neugierig doch in diesem Moment hörten wir einen gellenden Pfiff und Molly schubste uns zur Waggontür. Wir stiegen ein, schlossen die Tür und lehnten uns aus dem Fenster.
„Danke, dass wir bei Ihnen wohnen durften", sagte Hermine zum Abschied.
„Es war mir ein Vergnügen, meine Lieben", entgegnete Molly. „Ich würde euch ja gerne zu Weihnachten einladen, aber ... nun, ich denke, ihr wollt sicher alle in Hogwarts bleiben, wo doch so viel los sein wird..."
„Mum!", sagte Ron gereizt. „Nun sagt uns schon, worum es geht!"
„Das werdet ihr wohl heute Abend erfahren", sagte Molly lächelnd. „Es wird sicher ganz spannend – ihr wisst ja nicht, wie froh ich bin, dass sie die Regeln geändert haben..."
Welche Regeln?", kam es von Harry, Ron, Fred und George wie aus einem Munde. Doch jetzt begannen die Kolben laut zu zischen und der Zugsetzte sich in Bewegung.
„Sag uns, was in Hogwarts passieren soll!", schrie Fred aus dem Fenster, doch Molly, Bill und Charlie entfernten sich rasch. Wir gingen zurück in unser Abteil. Dichter Regen klatschte gegen das Fenster und draußen war kaum etwas zu sehen. Ron öffnete seinen Koffer, zog seinenkastanienbraunen Festumhang hervor und warf ihn über Pigwidgeons Käfig, um sein Geschrei zu dämpfen.
„Was wohl dieses Jahr wieder passieren wird?", fragte ich ihn die Runde doch die anderen waren ebenso ahnungslos wie ich.
„Schhh!", flüsterte Hermine plötzlich, drückte einen Finger auf die Lippen und deutete auf das Nachbarabteil. Wir lauschten und hörten durch die offene Tür eine vertraute schnarrende Stimme.
„Vater hat tatsächlich überlegt, ob er mich nach Durmstrang schicken soll und nicht nach Hogwarts. Er kennt nämlich den Schulleiter dort. Tja, ihr wisst ja, was er über Dumbledore denkt – der Kerl ist ein unglaublicher Liebhaber von Schlammblütern – und Durmstrang nimmt solches Gesindelgar nicht erst auf. Aber Mutter wollte nicht, dass ich so weit weg in die Schule gehe. Vater sagt, in Durmstrang haben sie eine viel vernünftigere Einstellung zu den dunklen Künsten als in Hogwarts. Durmstrang-Schüler lernen sie sogar und uns bringen sie nur diesen Verteidigungskram bei..."
Hermine stand auf, ging auf Zehenspitzen zur Abteiltür und schob sie zu. Draco war jetzt nicht mehr zu hören.
„Also denkt er, Durmstrang hätte besser zu ihm gepasst", sagte sie wütend. „Ich wünschte, er wäre tatsächlich dorthingegangen, dann müssten wir uns nicht mit ihm rumschlagen."
„Durmstrang ist auch eine Zaubererschule?", fragte Harry.
„Ja", antwortete Hermine naserümpfend, „und sie hat einenfürchterlichen Ruf. Dem Handbuch der europäischen Magierausbildung zufolge legen sie dort großen Wert auf die dunklenKünste."
„Ich glaub, ich hab schon davon gehört", sagte Ron verschwommen. „Wo ist sie? In welchem Land?"
„Tja, das weiß keiner, ist doch klar", sagte Hermine und hob die Augenbrauen.
„Hmm – wieso?", fragte Harry.
„Es gibt seit jeher viel Rivalität zwischen den Zaubererschulen. Durmstrang und Beauxbatons ziehen es vor, sich zu verbergen, damit niemand ihre Geheimnisse stehlen kann", antwortete Hermine, als sei dies das Natürlichste von der Welt.
„Hör auf", sagte Ron und fing an zu lachen. „Durmstrang muss ungefähr so groß sein wie Hogwarts, und wie willst du denn so ein irre großes Schloss verstecken?"
„Hogwarts ist auch versteckt", entgegnete ich kopfschüttelnd.
„Ach ja?", fragte Ron und hob eine Augenbraue. „Wie versteckt man ein Schloss wie Hogwarts?"
„Es ist verhext", antwortete ich. „Wenn die Muggel es anschauen, dann sehen sie nur eine vermoderte alte Ruine miteinem Schild über dem Eingang, auf dem steht: ACHTUNG,REIN ZUTRITT, EINSTURZGEFAHR."
„Und Durmstrang sieht dann für Außenstehende auch aus wie eine Ruine?"
„Vielleicht", sagte Hermine achselzuckend, „oder es hat Muggelabwehr-Zauber an den Mauern, wie das Weltmeisterschaftsstadion. Und damit fremde Zauberer es nicht finden, haben sie es sicher unortbar gemacht..."
„Wie bitte?"
„Nun, man kann ein Gebäude so verzaubern, dass es aufeiner Karte nicht zu orten ist, oder?"
„Ähm – wenn du meinst", sagte Harry.
„Aber ich glaube, Durmstrang muss irgendwo im hohen Norden sein", sagte Hermine nachdenklich. „Wo es ganz kalt ist. Bei denen gehören nämlich Pelzmützen zur Schuluniform."
„Aah, denkt doch mal an die Möglichkeiten", sagte Ron träumerisch. „Es wäre so einfach gewesen, Malfoy von einem Gletscher zu stoßen und die Sache wie einen Unfallaussehen zu lassen... jammerschade, dass seine Mutter ihn mag."
Ich sagte nichts dazu. Harry und Ron wussten noch nichts von der neuerdings bestehenden Freundschaft zwischen Draco und mir und ich war mir sicher, der jüngste Malfoy würde es auch nicht wollen.
Der Zug fuhr weiter nach Norden und der Regen wurde immer stärker. Der Himmel war dunkel und die Fenster waren beschlagen und deshalb gingen bereits gegen Mittag die Lampen an. Der Karren mit Speisen und Getränken kam den Gang entlang gerattert und Harry kaufte einen großen Stapel Kesselkuchen für alle. Als Lee Jordan zu und stiess und die Jungs anfingen über die neue Quidditch Season zu reden schaltete ich ab und lehnte mich gegen George. Als der Hogwarts-Express endlich bremste und schließlich in pechschwarzer Dunkelheit am Bahnhof von Hogsmeade Halt machte war ich fast eingeschlafen. Kaum waren die Waggontüren aufgegangen, hörte ich ein Donnergrollen. Hermine wickelte Krummbein in ihren Umhang, ebenso wie ich Flöckchen und Ron ließ seinen Festumhang über PigwidgeonsKäfig hängen. Mit gesenkten Köpfen, nur hin und wieder nachvorne blinzelnd, kämpften wir uns durch den Wolkenbruch. Es regnete so heftig, als würden Eimer um Eimer eiskalten Wassers über unsere Köpfen ausgeschüttet.
„Hallo, Hagrid!", rief Harry; am Ende des Bahnsteigs hatte er eine hünenhafte Gestalt erspäht.
„Alles klar, Harry?", brüllte Hagrid und winkte und zu. „Sehn uns beim Festessen, falls wir vorher nicht absaufen!"
Wie es der Brauch war, fuhren die neuen Schüler mit Booten über den See hinüber nach Hogwarts.
„Uuuuuh, bei diesem Wetter hätt ich keine Lust, über den See zu fahren", sagte Hermine und schüttelte sich ausgiebig. Inmitten der Schülerschar gelangten wir nur mühsam über denBahnsteig und nach draußen vor den Bahnhof, wo bereits hundert pferdelose Kutschen auf uns warteten. Harry, Ron, Hermine und Neville stiegen in einen der Wagen, Fred, George, Lee und ich in einen anderen. Ratternd und Wasser zu allen Seiten verspritzend fuhren wir den Weg zum Schloss Hogwarts empor.

Licht oder Dunkelheit - Die Geschichte der Potter Zwillinge #4 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt