Kapitel 36

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Als es anfing zu dämmern fing die Suche nach einem geeigneten Platz für das Lager an. Wir machten mitten im Wald zwischen hohen Eichen, die so groß waren, dass es mir so vorkam, als würden sie den Himmel berühren, halt. Wir Sklaven setzten uns auf den grünen Boden und verschnauften. Ich war heilfroh nicht mehr auf den Beinen zu sein und mich ausruhen zu können. Zwar war mir das Kleid nicht mehr runtergerutscht, aber das Seil, das es zusammenhielt, scheuerte unangenehm über meine Wunden am Rücken und hatte sie teilweise wieder aufgerissen. Aber immerhin musste ich keine Angst mehr haben entblößt zu werden.

Erik schien mich absichtlich zu ignorieren und ich versuchte nicht zu viel darüber nachzudenken, warum er mir geholfen hatte. Immer wieder versuchte ich etwas Positives in ihm zu entdecken und meine Gedanken wanderten zurück zu unserer ersten Begegnung auf dem Marktplatz von Maison. Als ich ihm in seine Augen gesehen hatte ich das Gefühl ich konnte in seine und er in meine Seele sehen. Ich weiß, dass ich mir das nur eingebildet hatte, aber manchmal bildete ich mir ein noch einen Funken dieses Blickes, der so warm und freundlich gewesen war, bei ihm zu entdecken. Ich verstand nicht wie er einerseits so kalt, unmenschlich und grausam sein konnte und auf der anderen Seite manchmal nett und liebevoll war. Als wir allein waren, da war er ein anderer Mensch gewesen. Dieses brutale Verhalten zeigte er nur, wenn er bei seinen Männern war oder dieses böse Funkeln in seinen Augen aufflammte.

Dieses Mal baute keiner sein Zelt auf. Der Himmel war klar und es würde auf keinen Fall regnen und aus diesem Grund legten die Wikinger ihre Felle einfach auf den Boden. Rund angeordnet um die Feuerstelle, die sie etwas entfernt bauten. Ein paar von ihnen gingen auf die Jagd, auch Erik und Hakon, der anscheinend ein guter Freund von ihm war, denn ich hatte bis jetzt noch keinen der anderen so mit ihm reden hören, wie er es tat.

Wir Sklaven hockten mal wieder zusammengekauert im Dreck und stürzten uns förmlich auf das Wasser, dass uns gereicht wurde. Es fühlte sich herrlich an, wie die kalte Flüssigkeit meine Kehle hinunterlief. Es war zwar noch nicht sehr warm tagsüber, aber das lange Laufen machte uns allen zu schaffen. Außerdem waren wir hungrig und unsere Mägen knurrten so laut, dass man es hören konnte. Da wir nur einmal am Tag etwas zu essen bekamen war das auch kein Wunder. Die Jäger kehrten dieses Mal mit großer Beute zurück. Sie hatten ein Reh und mehrere Hasen erlegt. Als sie anfingen das Fleisch über dem Feuer zu rösten lief mir das Wasser im Mund zusammen und ich musste mich anstrengen nicht pausenlos in Richtung der Feuerstelle zu starren.

Wie die letzten Tage auch tranken die Wikinger so lang, bis die taumelten und ihre Sprache noch weniger zu verstehen war. Nur Erik, sein Freund Hakon und ein weiterer von ihnen. Der große mit den langen blonden Haaren, waren nicht betrunken, aber beobachteten belustigt die anderen. Sogar die Frauen waren so betrunken, dass eine von ihnen als sie aufstehen wollte hinfiel.

Zuhause bei uns hatten die Menschen auch Wein oder Bier getrunken, aber in Maßen, solange es nicht in Spelunken war. Ich verstand den Sinn dahinter allerdings auch nicht. Warum sollte man denn beabsichtigen die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren? Für mich war es eine schreckliche Vorstellung mich nicht mehr auf den Beinen halten zu können und kein verständliches Wort mehr herausbringen zu können. Aber für anderen war es anscheinend ein Spaß. Vor allem für diese Leute hier.

Als das Fleisch fertig war kam Hakon zu uns und gab jedem ein kleines Stück davon. Auch wenn das Stück innerhalb von ein paar Minuten leer war, ich hatte mich angestrengt es zumindest ein bisschen zu genießen, war ich glücklich überhaupt etwas bekommen zu haben.

Mittlerweile war es Nacht und der Himmel war sternenklar. Ich versuchte mich hinzulegen und eine halbwegs entspannte Position einnehmen zu können, aber keine Chance. Ein kleines Stück entfernt lag der Stamm eines umgekippten Baums und ich kroch dorthin. Mein Seil war gerade lang genug, damit ich mich langsam dagegen lehnen konnte. Ich verzog das Gesicht, als die Rinde meinen zerschundenen Rücken berührte und auch der Knoten des Seils auf meinem Rücken bohrte sich in meine Haut. Aber das musste ich aushalten. Ich schloss die Augen und versuchte die lauten Geräusche, die aus Richtung des Feuers kamen auszublenden. Es funktionierte ganz gut, außer wenn eine ganz bestimmte Stimme erklang. Dann wurde ich automatisch hellhörig, auch wenn ich kein einziges Wort verstehen konnte, seine Stimme jagte mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken.

Eingelullt von diesem Geräusch und dem Gedanken an seine blauen Augen schlief ich ein.

Die Gefangene des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt