Kapitel 61

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Ava:

Eriks Mutter flüsterte mir etwas zu, aber ich konnte sie nicht verstehen. Vereinzelt verstand ich zwar Worte von dem was gesprochen wurde, aber die Sprache der Wikinger war mir immer noch genauso fremd wie alles andere hier.

Mein Blick war, wie eigentlich immer, wenn ich mich mit jemandem von ihnen in einem Raum vereinigt, erhöht und als Erik mich an der Schulter berührte, berührte ich leicht zusammen.

Er erwartet mir sanft einen Finger unters Kinn, after er sich vor mir gehockt hatte und mich mit seinen blauen, großen Augen taxierte. Sein Blick hielt meinen fest und ich konnte sehen, dass er nachdachte. Ich war mir sicher, dass er überlegte, was er mit mir anstellen sollte.

Ich wusste, dass ihm unwohl war, mich in seiner Hütte zu haben und auf mich aufzupassen.

Es war nicht seine Kunst fürsorglich zu sein, das hatte ich in meiner Zeit hier gelernt. Er war ein einschüchternder Mann. Jeder in der Stadt hatte Respekt vor ihm. Die anderen Sklaven hatten mir Geschichten über ihn und seine Männer erzählt, bei denen mir die Haare zu Bergen standen. Meine Gänsehaut war auch nach Minuten nicht weggegangen.

Anscheinend war das Gemetzel, dass er in Maison veröffentlicht hatte, noch harmlos im Gegensatz zu seinen anderen Raubzügen und Kämpfen gewesen. Er war der Anführer, sobald es um Gewalt ging.

Immer wenn etwas erledigt werden musste, dann schickte der Jarl ihn, weil er wusste, dass Erik mit einem Sieg zurückkam. Er war für seine Brutalität und sein kaltes Herz bekannt.

Mich wunderte das, denn mir gegenüber war Erik zwar auch brutal und kalt gewesen, aber genauso hatte er Gnade gezeigt und mich beschützt. Er hatte mich mit zu sich genommen, was zwar auch schrecklich, aber wahrscheinlich erträglicher war, als von einem alten Sack zu gekauft werden.

Er hatte mich nicht nur einmal zärtlich berührt und in seinen Augen hatte ich Gefühle gesehen, die in keiner Weise von einem Mann empfunden werden konnten, der kein Herz hatte. Ich wusste, er war ein Monster, aber er hatte mir auch oft genug das Gegenteil gezeigt, aber das behielt ich lieber für mich. Nur Maike wusste, wie ich gefangen geworden war und wie der Weg bis nach Traiborg für mich gewesen war.

Erik hielt meinen Blick fest, auch als er eine komisch aussehende Paste aus einem kleinen Beutel auf seine Finger schmierte. Er zeigte sie mir und deutete damit auf meine Stirn, sagte aber nichts.

Er fragte lautlos um meine Erlaubnis und als ich leicht nickte folgten seine Finger seinem Blick zu der Platzwunde knapp über meinem Auge. Ich zuckte zusammen als er meine Haut berührte und zog leicht die Luft durch meine Zähne. Es brannte, aber ich spürte sofort, wie die Salbe kühlte.

Erik hielt inne und als ich erneut nickte, berührte er erneut meine Haut. Er wirkte hochkonzentriert so wie er das glibberige Zeug auf meiner Stirn verteilte. Seine hatte er in Falten gelegt und sein Mund stand leicht offen. Er war mir so nah, dass ich ihn riechen und seine Wärme spüren konnte.

Ich schloss die Augen und versuchte zu entschlüsseln nach was er roch, kam aber nicht drauf. Auf jeden Fall wollte ich mehr davon. Automatisch beugte ich mich etwas näher an ihn heran. Natürlich bemerkte er es und hielt inne. Unsere Gesichter waren auf gleicher Höhe und als ich meine Augen öffnete und in seine sah, fing mein Herz an zu rasen. Wir waren beide wie erstarrt, als wir uns so tief in die Augen sahen und keiner auch nur einen Muskel bewegte. Wir wussten, dass da etwas war, aber keiner von uns konnte es deuten oder gar benennen.

Er zog mich an, wie das Licht die Motten anzog. Mein Körper reagierte auf ihn, wie ich es noch nie erlebt hatte. Schon seit der ersten Sekunde als ich ihn gesehen hatte war das so. Seit ich ihm auf dem Markt in Maison in seine strahlend blauen Augen geschaut hatte.

Und genau in dem Moment, als er vor mir saß, mit seiner Hand an meiner Schläfe fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte Gefühle für ihn. Echte Gefühle. Für den Mann, der mich fast getötet hatte. Der mich versklavt hatte und so brutal und grausam war, dass einem die Haare zu Berge standen.

Er hatte etwas in mir ausgelöst. Ich hatte keine Ahnung warum, aber es war passiert. Ich schluckte. Erik hielt meinem Blick stand. Er blickte mir so tief in die Augen, dass ich dachte er könnte direkt in meine Seele sehen. Hoffentlich erkannte er nicht was ich gerade dachte. Was ich fühlte. Ging es ihm genauso?

Anscheinend wunderte er sich, dass ich seinem Blick standhielt und legte fragend den Kopf schief. Nur eine winzige Bewegung, aber sie befreite mich aus meiner Starre und ich schlug die Augen nieder. Ich schämte mich. Schämte mich für das, was mir gerade klar geworden war. Wie konnte das nur passieren? Wie konnte ich mich zu diesem Mann hingezogen fühlen? Nach alldem was er getan hatte?

Ich sah nicht mehr hoch. Versuchte nicht darauf zu achten, wie er sich versteifte, als ich den Blick abwendete. Ich schloss einfach die Augen und hielt still, während er vorsichtig meine Wunden versorgte. Ich hörte, dass er aufstand und wie er leise mit seiner Mutter sprach. Sie hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Wahrscheinlich waren es auch nur wenige Minuten gewesen, aber mir war es wie Stunden vorgekommen.

Als die Tür zur Hütte geöffnet wurde sah ich auf. Eriks Mutter wollte die Hütte verlassen, drehte sich aber noch einmal zu mir, lächelte und nickte mir zu. Ich versuchte zurückzulächeln. Dann drehte sie sich noch einmal zu Erik, strich ihm sanft über seinen Arm und sagte leise etwas zu ihm. Als er antwortete schluckte er sichtlich und nickte leicht.

Als Erik sich zu mir drehte war sein Gesichtsausdruck hart. Er biss die Zähne aufeinander und sein Kiefer mahlte. Er dachte angestrengt nach. Seine Augen auf mir und seine Stirn in Falten gelegt. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt. Er war angespannt als er anfing zu reden: „Du schläfst ab heute wieder in der Sklavenunterkunft" Er sah mich mit finsterer Miene an.

Ich antwortete nicht, sondern nickte nur. Das Pochen in meiner Brust wurde stärker. Allerdings aus einem anderen Grund als zuvor. Seine Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube und das warme Gefühl, das sich in mir ausgebreitet hatte, verschwand. Er stieß mich von sich, aber es war wahrscheinlich besser so.

Ich musste mir sowieso dringend über ein paar Sachen klar werden und wenn ich in seiner Nähe war, konnte ich keinen sinnvollen Gedanken fassen.

Ich stand auf und ging auf die Tür zu. Meine Rippen schmerzten noch immer wie die Hölle, aber ich versuchte es zu ignorieren und halbwegs aufrecht zu gehen. Als ich auf seiner Höhe war flüsterte ich ein leises „Danke". Er nickte, schaute mich aber nicht an. Sein Blick war starr auf die Stelle gerichtet, an der ich bis vor einem Moment noch gesessen hatte.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und schlüpfte durch den schmalen Spalt.





Wow..schon über 21 000 Reads. Ich freue mich echt wahnsinnig über eure Unterstützung und, dass euch meine Geschichte gut gefällt.

Ich hoffe, dass das auch so bleibt und ihr weiterhin die Story von Ava und Erik verfolgen wollt.


Liebe Grüße eure Nelke :))

Die Gefangene des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt