Kapitel 62

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Ich ging in die große Halle, in der Maike gerade den Boden schrubbte. Als sie mich sah sprang sie auf.

„Ava, wie geht es dir?" Sie war erleichtert, als ich ihr zulächelte.

„Es geht schon besser."

„Hat er dir was getan? Ist wirklich alles in Ordnung?" Sie begutachtete mich von oben bis unten und zog die Augenbrauen zusammen.

„Nein, er hat nichts gemacht. Es ist alles gut." Ich legte ihr eine Hand auf den Oberarm und schaute sie eindringlich an.

Ich konnte ihre Sorge nachvollziehen. Wahrscheinlich dachte sie, dass Erik sich an mir vergriffen hatte. Sie konnte nicht glauben, dass ich bei ihm war und er mich nicht angefasst hatte.

„Das mit euch verwirrt mich echt, Ava." Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann Erik nicht einschätzen. das war sonst kein Problem, weil er sich immer gleich verhalten hat. Laut und gefährlich. Jede Nacht ist der hier mit einer anderen Frau rausgegangen, aber seit ihr wiedergekommen seid ist er wie ausgewechselt."

Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich konnte es mir ja selbst nicht erklären, aber der Gedanke an ihn mit einer anderen Frau gefiel mir gar nicht und ich musste an ihn und die Kriegerin in England denken.

„Der hat einen Narren an dir gefressen, aber das wird nicht gut ausgehen. An deiner Stelle würde ich versuchen mich von ihm fernzuhalten." Sie sah mich eindringlich an und ich wusste, dass sie es ernst meinte und mir nur helfen wollte.

„Ich werde es versuchen" der traurige Tonfall in meiner Stimme entging ihr nicht.

Sie drehte sich um und ging wieder ihrer Arbeit nach.

Ich wusste, dass sie ernsthaft besorgt war. Und sie hatte Recht. Ich musste mich von Erik fernhalten, denn sonst würde es böse ausgehen. Entweder würde ich mich in ihn verlieben und mein Herz würde gebrochen werden, oder ich würde verletzt werden. Er würde nicht mehr als der Mann gesehen werden, der er war und seine Stellung gefährden, wenn jemand merkte wie wir zueinander standen.

Diese Menschen waren wirklich merkwürdig. Sie hatten komische Ansichten. Wenn sich zwei Menschen zueinander hingezogen fühlte, auf welche Weise auch immer, warum konnten sie das dann nicht zeigen. Warum würde es als Schwäche von Erik angesehen werden, wenn jemand wusste, dass er mich mochte, oder mich begehrte. Warum wurde es als falsch angesehen, wenn man seine Gefühle zeigte? Völliger Quatsch, wenn man mich fragte, aber ich musste mich anpassen. Ich musste überleben, und wenn ich mich nicht von Erik fernhielt, dann würde das nicht funktionieren, denn der Jarl würde mich töten. Das war mir klar. Er hatte Angst, dass sein Sohn, durch mich, verwundbar werden würde und sich nicht mehr auf das konzentrierte, was für ihn wichtig war: Krieg und Macht. Die er sich durch seinen Sohn und sein kämpferisches Herz sichern wollte.

Ich machte mich wieder an die Arbeit, erledigte die gleichen Aufgaben jeden Tag, ging Erik so gut es ging aus dem Weg und er hatte anscheinend den gleichen Plan. Wenn er mich sah, dann schaute er sofort weg und beachtete mich nicht. Er behandelte mich wie Luft. Was mich einerseits erleichterte, denn so fiel es mir leichter ihn zu ignorieren, aber auf der anderen Seite schmerzte es mich und jedes Mal, wenn ich ihn sah, rumorte mein inneres.

Seit ich mir eigestanden hatte, dass ich etwas für ihn empfand, war es noch schlimmer als vorher. Allein seine Anwesenheit brachte mich dazu zu träumen. Es passierte ganz automatisch und ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn wir wieder an dem kleinen Teich im Wald wären. Natürlich versteckte ich meine Gefühle und niemand hätte auch nur ahnen können was in mir vor sich ging. Vor allem gab ich mir Mühe meine Gefühle vor ihm zu verbergen, aber wie hätte er darauf kommen sollen. Ich, die kleine, schmutzige Sklavin interessierte ihn nicht.

Er fing an sich wieder so zu benehmen, wie Maike es mir beschrieben hatte. Er trank und feierte. Lachte laut und überschwänglich mit seinen Freunden und jedes Mal, wenn ich das Geräusch hörte und sah, wie glücklich er war stach es in meiner Brust. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ich vermisste ihn. Vermisste wie er sich mir gegenüber verhalten hatte, wenn wir allein waren. Er hörte auch auf mich zu beschützen. Zwar wurde ich nicht so oft wie die anderen Sklavinnen begrapscht, aber trotzdem nahm es immer mehr zu. Die Männer verloren mit jedem Tag mehr Hemmungen, weil sie merkten, dass Erik keinen Anspruch mehr auf mich erhob.

„Komm her, Süße." Ein älterer Mann mit grauem Bart packte mich grob am Arm und zog mich an sich.

Ich hatte gerade sein Bier nachgefüllt und wollte mich vom Acker machen. Aber keine Chance. Ich wehrte mich nicht stark, denn Maike hatte mir zu verstehen gegeben, dass es das nur noch schlimmer machen würde.

Also gab ich mit jedem Tag mehr nach. Ich unterdrückte den Impuls um mich zu schlagen und ihm einen Schlag in seinen fetten Bauch und einen Tritt in seine Weichteile zu geben und ließ mich auf seinen Schoß ziehen.

Es war ekelhaft, aber je öfter es passierte, das mich jemand belästigte, desto abgestumpfter wurde ich. Ich ließ es über mich ergehen. Er lachte laut und als er meine Brust umfasste schluckte ich. Mir wurde übel, aber ich tat nichts. Ich blieb einfach still sitzen und ließ ihn gewähren. Was sollte ich auch sonst tun?

Hätte ich mich gewehrt, dann hätte er mich auf den Boden gestoßen und mich verprügelt. Wenn nicht noch schlimmeres. Als ich seine feuchte Zunge an meinem Hals spürte und wie er nasse Küsse auf meiner Haut verteilte kam mir die Galle hoch und Tränen stiegen in meine Augen.

Nach einigen Minuten stieß er mich von sich und widmete sich wieder seinem Bier. Ich atmete erleichtert auf und ging schnellen Schrittes Richtung Hinterzimmer. Dort angekommen lehnte ich mich an die Wand und atmete tief durch. Ich fasste mir auf den Bauch und versuchte die Übelkeit weg zu atmen.

„Du gewöhnst dich noch dran." Eine blonde Sklavin mit einem Tablett ging an mir vorbei und sah mich mitleidig an. Ich hatte sie schon oft gesehen, aber noch nie mit ihr gesprochen, weil sie nur selten in der Sklavenunterkunft schlief.

„Los, du musst wieder raus." Sie drückte mir zwei Teller mit duftendem Gemüse und Fleisch in die Hände. Ich hatte solch einen Hunger, dass mir augenblicklich der Magen knurrte. Wir bekamen nicht viel zu essen, und wenn, dann waren es meist die übrig gebliebenen Reste.

Jeder Tag verlief gleich. Ich ging meinen gewohnten Aufgaben nach und abends bediente ich in der großen Halle. Jeden Tag saßen die Nordmänner zusammen und amüsierten sich.

Die Gefangene des WikingersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt