„Noch etwas Kartoffelpüree? Sally hält mir lächelnd die Schlüssel hin. Ich hatte eigentlich schon eine Portion aber da ich vorhin schon zur Gemüsepfanne nein sagen wollte und sie mir trotzdem etwas auf den Teller getan hat, nicke ich einfach nur. Ich sehe etwas gequält zu Mum, die mich mit einem Lächeln abwinkt. Mein Cousin wirft mir aber einen mitleidigen Blick zu. Zumindest einer.
Ich frage mich wirklich wie er so trainiert aussehen kann, wenn Sally einem so viel zum Essen bringt, als würde sie danach einen mästen wollen. Ich habe mir mit Lola nach unserem intensiven Gespräch noch ein Pizzastück gegönnt ehe wir uns dann auch schon verabschiedet haben. Dennoch nehme ich paar Bissen von Sallys Püree.
„Wie geht es denn überhaupt Jeffrey?", blickt Mum Sally fragend an.
Onkel Jeffrey hat sich nach seinem Wirtschaftsstudium mit einem Cateringunternehmen selbstständig gemacht. Am Anfang hatte er seine Schwierigkeiten, er hat aber nicht aufgegeben und hat einfach weitergemacht. Mittlerweile besitzt er fünf davon. Er ist ein guter und dazu auch noch ehrgeiziger Mensch. Sally hat während dem Studium Jason bekommen, weshalb sie ihr Studium abbrechen musste. Die Geburt war nicht leicht für sie und danach zu erfahren, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann war ein Tiefschlag für sie. Onkel Jeffrey hat es sich demnach zur Aufgabe gemacht, seiner kleinen Familie dennoch ein gutes Leben zu ermöglichen. Während mein Onkel also bis in die Nacht gelernt hat und weiterhin zu Vorlesungen gegangen ist, war Sally die ganze Zeit über bei Brandon. Es hat sie nicht gestört das Studium abzubrechen, denn sie wusste, dass dieses Kind auch wenn es ihr einziges bleiben würde, ihre Bestimmung sei. Auch wenn mein Onkel das Geld nach Hause gebracht hat, hat er sich nie höher als seine Frau gestellt. Sally erzählt uns immer wieder wie er zu ihr meint, dass ein Studium für sie ein Klacks gewesen wäre im Gegensatz zu der Erziehung meines Cousins. Brandon war nämlich alles andere als ein ruhiges Kind. Er hat Sally monatelang den Schlaf beraubt. Mum hat mir aber erzählt, dass sie sich nicht einen Tag beschwert hat. Auch wenn viele meinen würden meine Tante hätte dennoch arbeiten gehen können anstatt auf der faulen Haut zu sitzen, so kann ich nur sagen, dass meine Tante eine tolle und überaus temperamentvolle Frau ist, welche auch eine Arbeit nebenbei gestemmt hätte. Jedoch wollte sie sich auf ihr Kind konzentrieren, da sie kein zweites Mal die Gelegenheit haben wird die Entwicklung ihres Kindes mitzuerleben.
„Er arbeitet mal wieder viel zu sehr. Genauso wie du. Aber ansonsten geht es ihm prima. Er wäre sehr gerne mitgekommen, aber es ist spontan ein Geschäftsmeeting angesetzt worden.", unterbricht Sally meine Gedanken.
„Na vielleicht kann er dann einfach mal das nächste Mal mitkommen, wenn ihr uns besuchen kommt.", meint Mum.
Sally nickt nur lächelnd aber Brandons genervter Gesichtsausdruck spricht Bände.
Mich beschäftigt momentan aber das was Lola mir erzählt hat. Schon seitdem ich mich von ihr verabschiedet habe, scheint es mich nicht mehr loszulassen. Ich weiß nicht was ich von Theo halten soll.
„Danke fürs essen, ich bin schon etwas müde, deshalb lege ich mich jetzt etwas hin.", sage ich und richte mich auf. Sally erzählt Mum gerade vom Applekurs wovon ich mal wieder nichts mitbekommen habe, deshalb nicken beide nur.
Brandon macht es mir nach, ohne etwas zu sagen und kommt mir hinterher. Sagen tut er dabei nichts. Ehe er ins Gästezimmer flüchten will stelle ich mich vor die Tür.
„Was machst du? Bist du nicht müde?", grinst er.
Ich sehe ihn für einen Moment an. Er ist genervt, auch wenn er gerade lächelt. Seine Haltung ist angespannt und seine Hände hat er im Pulli. Ich habe eine leise Ahnung, was seine plötzliche Stimmungsänderung ausgelöst hat.
„Willst du mir erzählen was los ist? Wir haben ja nicht viel geredet seitdem du hier bist?", sehe ich ihn fragend an.
Sein Grinsen löst sich etwas und er sieht mich nun mit einem nachdenklichen Blick an.
Schließlich atmet er tief aus. „Mum weiß genau, dass Dad das nächste Mal nicht mitkommen wird. Er hat so viel von meinem Leben verpasst und auch wenn er probiert mit mir etwas zu unternehmen, bringt es die ganzen Jahre nicht zurück. Ich habe einen Vater gebraucht, der mich hätte war nehmen sollen, als ich klein war. Ich bin erwachsen und Mum und Dad verstehen nicht, dass die Zeit für Erziehung vorbei ist."
Ich habe mir schon gedacht, dass es etwas mit Onkel Jeffrey zu tun haben muss. Immerhin war Sally bei jedem Tritt und Schritt an Brandons Seite, wobei er dabei auch seinen Vater gebraucht hätte. Ich kann mich erinnern als wir jünger waren und Brandon oft bei uns zum Spielen war. Er hat gesehen, dass mein Dad immer bei mir war und seiner aber wiedermal auf einer Geschäftsreise, von der er ihm nur eine Karte geschickt hat. Brandon ist definitiv ein Mutterkind aber auch nur weil er es nicht anders kennt. Ich war ein Papakind. Ich habe eine Leere in mir seitdem ich meinen Vater nicht mehr habe. Diese Leere steckt in Brandon vermutlich schon sein ganzes Leben. Auch wenn sein Dad noch da ist, kann er ihm nicht die letzten Jahre zurückgeben. Deshalb verstehe ich Brandon. Weshalb ich ihm nicht eine Rede halten werde, dass sein Vater, dass nur für die Familie getan hat. Das weiß er, aber es hätte trotzdem auch anders laufen können. Deswegen schlinge ich nur meine Arme um ihn und vergesse dabei für einen Moment auch die Last auf meinen Schultern.
„Ich weiß Brandon, ich weiß.", sage ich an seine Brust gelehnt.
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Deep thoughts
Teen FictionMenschen sind so wie Bücher, einige so leicht zu lesen wie Bilderbücher, andere so schwer wie tausendseitige Romane, doch lesen kann man sie. Man muss sich nur eine Zeit genauer mit ihnen beschäftigen. Und die, die verschlossen sind, sind auch leich...