Ober mir nehme ich ein räuspern wahr. Ich blicke nach oben und begegne den braunen Augen von Lola. Ein lächeln ziert ihre herzförmigen Lippen und sie setzt sich neben mich. Ich klappe mein Buch, welches ich noch vor einer Minute regelrecht verschlungen habe, zu, verstaue es in meinem Rucksack und drehe mich lächelnd zu ihr. Da ich eine Freistunde habe, habe ich es mir bei den Spinden gemütlich gemacht, weil die Bibliothek leider schon geschlossen hatte. In letzter Zeit bin ich nicht zum Lesen gekommen. Nun wurde es allmählich Zeit.
"Was hast du denn gelesen?" Lola zeigt auf den Einband, der aus meinem geöffneten Rucksack hervorguckt und sieht mich fragend an. Hat sie nicht jetzt eigentlich Stunde?
"Tristan und Isolde.", antworte ich und lehne mich weiter zurück.
Lola macht es mir nach. "Du liest so etwas freiwillig? Letztes Jahr mussten wir das in Deutsch lesen und ich fand es nach den ersten Seiten so öde, dass ich einfach nicht mehr weiterlesen konnte und deshalb die anderen immer fragen musste."
Ich sehe sie entgeistert an. Wie kann man diesen historischen Klassiker nicht mögen? "Ich finde ihn sehr interessant und überhaupt ist das Thema faszinierend. Man muss bedenken, dass es nicht nur um Liebe geht, sondern auch um Freiheitsgewinn, Verlust, Anpassung und Einordnung."
Ich sehe Lola an das sie überhaupt nicht meiner Meinung ist, aber das finde ich nicht schlimm. Die meisten in meinem Alter mögen solche Bücher nicht. Besser gesagt generell Bücher. Wenigstens macht sie keine abfälligen Bemerkungen, wie es Lina früher immer gemacht hat.
"Warum liest du so einen Mist. Hör auf dich wie ein Nerd zu benehmen." Schnell schüttele ich mich, um ihre Stimme aus meinem Kopf zu bekommen. Hilft zwar auch nicht so sehr, aber ein Versuch war es Wert.
"Achso. Naja es ist toll, wenn du dich dafür interessierst." ihre Mundwinkel zucken in die Höhe und ich sehe ihr an das sie es ernst meint.
"Was ich dich eigentlich fragen wollte, möchtest du vielleicht heute bei unserem Training dabei sein? Du hast ja gemeint, dass du nach einem Freifach suchst und Cheerleading wäre ja ideal. Lisa und Nelly machen das ja auch und ich würde mich freuen, wenn du mitmachen würdest. Ich kann dann auch gleich Nicole fragen und..."
"Nicole.", ich verziehe das Gesicht. Zwar stimmt es, dass ich auf der Suche nach einem Freifach bin, da Mum gemeint hat das es für die College Bewerbung besser ankommt, wenn man etwas zusätzlich macht aber ich hätte eher an den Schachclub oder an die Schülerzeitung gedacht. Ich war zwar früher Cheerleaderin aber das ist lange her. Außerdem hat mich Nicole eigentlich ja auch schon gefragt und da habe ich nicht so toll reagiert. Im Endeffekt hat es mir leidgetan, dass ich sie so angegangen bin.
"Beim Training ist sie wirklich in Ordnung. Glaub mir es wird dir gefallen und da du ja auch schon Erfahrung hast, ist es auch besser für uns. Ach komm schon Grace, ich würde mich echt freuen.", unterbricht sie meine Gedanken.
"Aber...", will ich fortfahren.
"Bitte bitte bitte.", unterbricht sie mich erneut. Lola schmollt und setzt einen Hundeblick auf, bei dem ich die Augen verdrehen muss. Ich kann es ja mal probieren und wenn es mir nicht gefällt höre ich einfach auf.
"Also gut.", gebe ich mich seufzend geschlagen. Lolas lächeln wird breiter und sie zieht mich in eine Umarmung, die ich lachend erwidere.
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Kritisch betrachte ich den blauen Faltenrock mit dem dazugehörenden blauen Tank Top. Meine weißen Sneaker und die blauen Kniestrümpfe runden die ganze Uniform ab.
"Die passt dir wie angegossen." Lola schnürt ihre Schuhe zu und kommt auf mich zu. Nelly und Lisa nicken ihr zustimmend zu.
"Es ist nur eine Uniform und jetzt beeilt euch mal." Nicole schnaubt und geht augenverdrehend aus der Umkleide. Vermutlich nimmt sie es mir immer noch übel wie ich mit ihr gesprochen habe. Hinter ihr im Schlepptau sind Tammy und Zoey mit einer Kiste voll roten Pompon-Puscheln. Als sie an uns vorbeilaufen entgeht mir nicht der abfällige Blick den ich augenverdrehend erwidere. Ob das eine gute Idee war herzukommen?
"Nun zieh nicht so ein Gesicht Anderson und komm." Nelly hält mir die Hand lächelnd hin, die ich sofort ergreife und den Mädchen zum Sportplatz folge.
Riesig. Zwar habe ich den Sportplatz von außen sehen können aber da ich jetzt hier bin fällt mir kein anderes Wort dafür ein. Es gibt hier so viel Platz und man könnte so tolle Übungen ausprobieren.
Diese Freude verblasst aber schnell wieder, als ich die Football Mannschaft hinten trainieren sehe. Dabei erweckt einer von ihnen ganz besonders meine Aufmerksamkeit. Auch unter dem weißen Helm erkenne ich den arroganten Trottel. Theo hat ein blaues Trikot an, welches mit der Nummer 13 geschmückt ist und unter seinem Helm gucken einzelne Haare hervor. Ich starre ihn wenige Sekunden an und wende schnell wieder meinen Blick als er in unsere Richtung sieht.
"Müssen die unbedingt auch hier trainieren?", frage ich genervt an Lola gerichtet.
"Ja. Letztendlich müssen wir ja die Sportmannschaft unterstützen.", meint Lisa während sie auf ihrem Handy herumtippt.
"Außerdem wären wir eigentlich in der Turnhalle, doch die dürfen wir momentan nicht betreten da es anscheinend ein Leck gibt.", seufzt Lola und wärmt sich nebenbei auf.
"Toll.", murmele ich und fange auch an mich aufzuwärmen.
"Anderson bevor ich dich in unser Team aufnehme musst du mir erstmal zeigen was du draufhast und da du meinem Angebot nicht ganz so freudig entgegengekommen bist, musst du dich jetzt beweisen. Schließlich wollen wir besser werden und da können wir es uns nicht leisten ein Klotz am Bein zu haben." Nicole schnalzt mit der Zunge und sieht mich lustlos an.
Einige hinter mir kichern und tuscheln aber Lola, Nelly und Lisa sehen mich aufmunternd an und auch Alica wirft mir einen prüfenden Blick zu. In der Garderobe habe ich sie kaum wahrgenommen. Sie hat mich weder angesehen noch ein Wort mit mir gewechselt. Soll mir aber recht sein.
"Ich war in meiner alten Schule auch bei den Cheerleadern also musst du dir keine Sorgen machen Nicole." Ihren Namen betone ich mit Absicht.
"Na dann musst du ja Tumbling kennen. Wie wäre es, wenn du uns in diese Richtung was zeigst?", antwortet sie. Mir war so klar, dass das jetzt kommt, da Tumbling ein wichtiger Teil beim Cheerleading und generell im Programm ist. Erstaunlicherweise habe ich die Schritte aber nach ein paar Mal üben schon recht gut hinbekommen.
Alle Mädchen stellen sich auf die Seite und Lola hält einen Daumen nach oben. Also gut, ist zwar eine Weile her, dass ich das gemacht habe aber wird schon gehen. Ich hoffe, dass ich es nicht verlernt habe.
Ich atme tief ein ehe ich Anlauf nehme. Ein Adrenalinstoß zieht sich durch meinen Körper und ich spüre den leichten Wind. Ich beginne mit einer Radwende, gefolgt von einer Schraube, nach der folgt ein Backtuck ehe ich nach einem Flic Flac mit beiden Beinen wieder aufrecht stehe.
Plötzlich höre ich ein Gejubel und drehe mich zu ihnen um. Lola pfeift und auch die anderen sehen mich mit großen Augen an, einschließlich Alica. Auch Nicole sieht zuerst beeindruckt aus, ehe sie wieder ihre ernste Maske aufsetzt, die Arme verschränkt und nickt.
Als ich mich wieder umdrehe, bemerke ich das auch die Jungs kurz aufgehört haben mit dem Training und alle Blicke auf mir liegen. Dabei entgeht mir der eiskalte Blick von Theo nicht. Bill sieht mich staunend an, bis er und die anderen sich schließlich wieder dem Training widmen.
"Du warst richtig gut. Ich wusste doch, dass es eine gute Idee war." Lola umarmt mich und grinst. Langsam realisiere ich es auch und es fühlt sich gut an, es nach einer langen Zeit mal wieder gemacht zu haben. Mit dem Cheerleading habe ich nicht freiwillig angefangen, meine Mum hat mich gedrängt zum Probetraining zu gehen und danach war ich ihr wirklich dankbar. Wenn ich die Übungen mache fühle ich mich frei und schwerelos und es ist so als würde mir für einen Moment die Last genommen werden. Nachdem was letztes Jahr passiert ist, habe ich mich zurückgezogen und es nicht über mich gebracht es wieder zu probieren, doch jetzt bin ich froh. Auch wenn es nicht wie früher ist, als mich mein Dad immer zum Training gefahren und wieder abgeholt hat. Dann hat er mir öfters ein Eis mitgenommen und jedes Mal gesagt wie stolz er auf mich sei. Hätte ich doch bemerkt wie schlecht es ihm geht.
"Fangen wir an Leute. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Beginnen wir mal mit einem einfachen Schrittüberschlag und dann macht jeder einen Bodengang." Nicole klatscht in die Hände und drängt uns nach hinten.
Langsam verdränge ich den Gedanken und widme mich wieder dem hier und jetzt. Die Gänsehaut ignoriere ich für die restliche Zeit und mache das was Nicole befiehlt.
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Deep thoughts
TienerfictieMenschen sind so wie Bücher, einige so leicht zu lesen wie Bilderbücher, andere so schwer wie tausendseitige Romane, doch lesen kann man sie. Man muss sich nur eine Zeit genauer mit ihnen beschäftigen. Und die, die verschlossen sind, sind auch leich...