Abschiede. Ich bin kein großer Fan von Abschieden. Sie machen einen nur traurig und werfen die Frage auf wann oder ob man sich überhaupt wiedersehen wird. Schon als kleines Kind habe ich keine Abschiede gemocht. Mum und Dad sind abwechselnd oder sogar zur gleichen Zeit auf Geschäftsreisen gewesen. Zu Beginn habe ich mir immer einen Wecker gestellt, damit ich mich ja noch von ihnen verabschieden kann. Dabei musste ich dann immer weinen und das Gefühl was ich jedes Mal aufs Neue miterleben musste hat mich krank gemacht. Ich war ein sensibles Kind, vielleicht bin ich das gar noch immer. Aber ich wollte dieses Gefühl nicht mehr haben. Also habe ich mich schon als kleines Kind dazu entschieden mich nicht zu verabschieden. Es ist vielleicht egoistisch gewesen aber es hat mir viele Tränen erspart. Meine Eltern haben es nach einer Weile einfach gelassen. Immer am letzten Schultag vor den Ferien habe ich die ganzen Freundesgruppen engumschlungen sich verabschieden sehen. Ich habe Cole einfach ein tschüss gesagt wie auch jeden anderen Tag obwohl wir uns dann drei Wochen nicht gesehen haben. Cole fand das am Anfang sehr merkwürdig aber hat sich mit der Zeit daran gewöhnt. Auch jetzt vor unserem Umzug habe ich mich von keinem in Portland verabschiedet. Nicht von meiner Lieblingslehrerin, die mich immer unterstützt hat, Nicht von Brittany, die mir eine gute Freundin neben Cole war, nicht von meiner Lieblingsnachbarin Doris, die mir immer eine Kleinigkeit zum Essen gebracht hat. Auch heute von meiner Tante und von meinem Cousin nicht. Ich wäre den ganzen Tag bedrückt gewesen, da die Anwesenheit von den beiden mir zu gutgetan hat. Sie hat mir nach einer langen Zeit wieder das Gefühl von Familie etwas nähergebracht. Auch wenn ich versucht habe mir einzureden, dass ich nicht traurig sein werde, so bin ich alles andere als glücklich. Deswegen habe ich mir gedacht Biologie blau zu machen und mich mit einem Buch für eine Stunde zurückzuziehen. Lola hat gemeint, dass sie statt mir sich bei der Anwesenheit melden wird. Das hat anscheinend schon mehrere Male geklappt, da Mrs. Greech sich nach der Anwesenheit sich nicht so auf die Schüler konzentriert, sondern einfach anfängt zu erzählen. Als säßen wir in einer Vorlesung.
Dementsprechend steuere ich auf die Bibliothek zu. Sie müsste noch geöffnet haben und da eigentlich gerade Unterricht ist wird sie vermutlich auch nicht allzu befüllt sein.
Meine Vermutung bestätigt sich als ich hereintrete. Die Tische stehen leer und ich sehe beim durchgehen nur vereinzelte Schüler mit Laptops sitzen. Es gibt hier zwar sehr viel Platz aber ich weiß genau wohin ich möchte. Letztens als wir Mr. Moore noch hier waren habe ich beim Rausgehen eine stille Ecke gesehen. Sie ist eher abgezweigt gewesen und deswegen genau der richtige Ort um sich jetzt zurückzuziehen. Es dauert ganze zehn Minuten bis ich sie endlich wieder finde. Zwischen Bücherregalen steht hinten ein kleines Sofa und davor ein runder Tisch mit vier Stühlen. Ich hätte gedacht, dass ich hier ganz alleine sein würde. Umso überraschter bin ich als ich nun vor mir jemanden am Tisch sitzen sehe. Er hat eine Cap auf seinem Kopf und ist über das Buch vor ihm gebückt weshalb ich auch nicht sein Gesicht erkenne. Na super, das wäre der ideale Platz gewesen und nun hat ihn jemand schon vor mir entdeckt. Vielleicht stört es ihn aber nicht, wenn ich mich auch hierhin setze. Immerhin gibt es hier genug Platz. Da er mich immer noch nicht bemerkt hat räuspere ich mich.
„Sorry für die Störung aber dürfte ich mich auch dazusetzen. Diese Ecke ist mir schon letztens aufgefallen und ich hätte nicht gedacht, dass hier jemand sein würde. Ich bin auch wirklich ganz still.", plappere ich los. Ich beiße mir auf die Zunge. Ein Dürfte ich mich dazusetzen hätte auch gereicht.
Der Junge scheint mich nun auch bemerkt zu haben und als er seinen Kopf hebt scheint mir mein Herz in die Hose zu rutschen. Verdammt, ich hätte einfach einen Abgang machen sollen.
Theo sieht mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an während er seine Hand auf das Buch vor ihm legt. Ich erkenne nicht den Titel. Er ist die letzte Person, die ich jetzt hier vor mir erwartet hatte. Auch dadurch, dass er einen schwarzen Hoodie trägt und die Kapuze über den Kopf hat, habe ich ihn nicht erkannt. Ich kann eine Auseinandersetzung jetzt überhaupt nicht gebrauchen.
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Deep thoughts
Teen FictionMenschen sind so wie Bücher, einige so leicht zu lesen wie Bilderbücher, andere so schwer wie tausendseitige Romane, doch lesen kann man sie. Man muss sich nur eine Zeit genauer mit ihnen beschäftigen. Und die, die verschlossen sind, sind auch leich...