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Schweißgebadet schrecke ich auf und blicke zu meinem Fenster. Es ist zwar stockdunkel, aber der Wecker neben mir zeigt schon 6 Uhr. Eigentlich sollte ich mich daran gewöhnt haben, aber ich werde wahrscheinlich noch einige Zeit, nicht ruhig schlafen können. Die Alpträume werden nicht weniger und mein Schlaf dafür kürzer. Vielleicht hätte die empfohlene Therapie geholfen aber vielleicht auch nicht. Langsam stehe ich meinen Kopf massierend auf und gehe zum Fenster. Autos fahren jede Sekunde vorbei und ein weinendes Kind ist zu hören. Nach zwei Minuten bewege ich mich zum Badezimmerspiegel hin, worin ich bei meinem Anblick fast zurückschrecke. Cole hat recht, ich habe tiefe Schatten unter den Augen und generell sehe ich sehr blass aus. Ich beobachte mich noch etwas länger im Spiegel und probiere leicht zu lächeln. Wann war ich eigentlich das letzte Mal wirklich glücklich? Wann habe ich das letzte Mal aus dem Herzen gelacht? Ich kenne die Antwort. Als er noch da war.

Plötzlich höre ich die leise Stimme von meiner Mutter nach mir rufen und mir wird bewusst, dass es Zeit wird sich fertigzumachen.

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"Schatz ich wollte dir noch Bescheid geben, dass ich heute noch ein Geschäftsmeeting am Abend habe und es deshalb etwas später werden könnte."

Ich bleibe in meiner Bewegung stehen und blicke sie für einen Moment an. Ihre aschblonden Haare sind streng zu einem Dutt gebunden und tiefe Schatten ragen unter ihren Augen. Ein leichter rosa Ton ziert ihre Lippen und im Ganzen sieht sie sehr müde aus. Bekommt sie überhaupt noch Schlaf?

Sie sollte sich eine Auszeit nehmen. Obwohl sie fertiggemacht ist merkt man ihr an, dass es ihr immer noch nicht gut geht und in ihrem Blazer und der blauen Hose sieht sie auch zierlicher aus. Trotzdem nicke ich nur, trinke den letzten Schluck meines Kakaos und gehe hinaus. Die kühle Herbstluft lässt mich laut seufzen und ich sehe schon Cole mir zuwinken. Schnell nehme ich am Beifahrersitz Platz und lege meine Tasche auf den Schoß, ehe ich ihn noch kurz umarme und er dann losfährt. An seinem Grinsen kann ich erkennen, dass er noch stolz darauf ist gestern gewonnen zu haben.

"Ich weiß was du gerade denkst und ja ich bin nun Mal gut gelaunt, da ich gestern gegen Theo Green tatsächlich gewonnen habe und dabei haben mir einige noch vor dem Rennen weisgemacht, dass ich überhaupt keine Chance gegen ihn hätte. Er hat bis jetzt anscheinend jedes gewonnen."

Er hat jedes gewonnen? Wie konnte er dann gestern verlieren. Denn Cole ist zwar sehr gut aber er hat schon lange keines mehr gefahren und wenn jemand wie Green es so oft macht und genau gestern verloren hat zum ersten Mal auch noch, ist es schon komisch. Aber egal, besser für Cole.

"Es freut mich, dass du gewonnen hast und der Anblick von ihm, nachdem er verloren hat, war echt preiswert." Ich denke daran zurück und sehe Theo vor mir, wie wütend er geworden ist. Er sah eigentlich ganz süß aus. Wie eine kleine rote Tomate die fast vorm platzen ist.

"Wieso grinst du denn so und ja du hast recht man hätte es filmen sollen." lacht Cole.
Sein Lachen hat etwas Kindliches an sich, wobei ich automatisch auch lächeln muss.
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In der Schule angekommen, trennen sich unsere Wege, denn während er ins Klassenzimmer geht muss ich noch mein Mathematikbuch aus dem Spind holen. Wie gestern werde ich von einigen beobachtet, aber das ist nicht ganz so schlimm. In den ersten paar Wochen ist man zwar noch Frischfleisch aber danach interessiert sich keiner mehr für einen.

Aus meinem Blickwinkel erkenne ich, dass die Gruppe von Theo mit Alica vorbeigeht und alle dann plötzlich wieder mit ihren eigenen Sachen beschäftigt sind. Oder man gehört eben zur Unterdrückergruppe und so redet dann keiner. Jedoch reden sie hinter dem Rücken dabei noch mehr.
Augen verdrehend hole ich schnell mein Buch und sehe Alica, die dem Schulwart womöglich hilft. Sie nimmt ihm einen Besen ab, da er viele Kübel trägt und sie bringen die Sachen anschließend in die Abstellkammer, wobei die Gruppe ihres Bruders in ihre Klassenzimmer verschwindet. Was ich jetzt lieber auch machen sollte, denn in einer Minute wird es zur Stunde klingeln.
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Zum Glück habe ich es noch rechtzeitig geschafft, was ich, aber wenn ich es mir jetzt überlege, hätte lassen sollen, denn in meiner alten Schule waren wir schon viel weiter mit dem Stoff und so kann ich nicht anders als die die einzelnen Leute zu beobachten. Theo ist wie ich bemerkt habe ebenfalls hier, aber es scheint ihn nicht zu interessieren, was der Lehrer da vorne von sich gibt, denn er ist mit seinem Handy unter dem Tisch beschäftigt. Weiters kaut ein Junge mit knallroten Haaren und einer viel zu großen Brille auf einem Radiergummi rum. Angeekelt von ihm beobachte ich nun den Lehrer, der verzweifelt versucht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber trotzdem alle Aufgaben selbst lösen muss, da sich keiner meldet. Er lebt wahrscheinlich noch bei seiner Mutter, die ihm wohlmöglich diesen Beruf aufgezwungen hat.
Leute zu beobachten ist eine alte Angewohnheit von mir. Früher war ich mit Dad immer im Park und wir haben die Leute beobachtet und uns so ein Bild von jedem Einzelnen gemacht. So haben wir beispielsweise gesehen, dass sich der Eisverkäufer sehr einsam fühlt, denn wann immer eine Familie zum Eis kaufen gekommen ist, hat er einen traurigen Gesichtsaufdruck gehabt und hat ihnen auch noch lange hinterhergeschaut und den Kopf dabei geschüttelt. Das war einfach unser Ding, obwohl Mum immer gesagt hat, dass es unhöflich sei und wir damit aufhören sollen uns in andere Leben einzumischen. Aber Dad hat immer gesagt, wenn du eine Zeit lang genau hinsiehst, entdeckst du vieles was du bei einem kurzen Anblick nie erwartest hättest. So wird es leicht die Person einzuschätzen. Somit ist es gar nicht notwendig mit der Person zu sprechen, denn dabei sind die meisten sowieso nicht ehrlich. Vielleicht spreche ich auch deshalb nicht viel. Vielleicht würden dann nur Lügen meinen Mund verlassen.

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