4. Gespräche

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Ich lief bergauf durch einen Wald, über eine Decke aus Herbstlaub. Das Laufen fiel mir schwer. Ich schnaufte und meine Beine rutschten mir weg. Das Licht fiel trüb durch die nackten Buchenkronen, es war fast Winter. Wenige Meter vor mir sah ich einen Weidezaun und ich wusste, dass ich mich beeilen musste, denn ich hatte das Gefühl, dass etwas Schreckliches geschehen würde.

Plötzlich stand ich auf einer Wiese. Ich sah ihr Ende nicht, es verlief in einer weißen Wand.

Quer verteilt standen Tiere, hatten den Kopf in eine Richtung gewandt. Sie waren wie tot und rührten sich nicht vom Fleck.

Meine Arme griffen nach einem Kaninchen, hoben es hoch. Ich nahm ein zweites direkt daneben, ehe ich mich umdrehte, über den durchhängenden Weidezaun sprang und zurück in den Wald hastete, um sie dort abzulegen.

Plötzlich kam Leben in sie und sie liefen davon.

Ich rannte zurück, stolperte über den Zaun, griff nach einer Eule, nach einer Maus und klemmte mir einen Hamster unter die Achsel ein. Ich lief, als wäre der Teufel hinter mir her und hatte schreckliche Angst, dass mich jemand erwischen und dabei sehen könnte, wie ich die Tiere vor ihrem Ende rettete. Und ich musste sie retten. Alle. Jeden Einzelnen von ihnen.

Ich erwachte, als der Wecker meines Handys klingelte. Mein Kopf fühlte sich schwer wie Blei an, er dröhnte und ich fühlte mich krank. Stöhnend drehte ich mein Gesicht vom Fenster weg, wo die Sonne lachte, als mache sie sich über meine Verfassung lustig. Gereizt sah ich auf mein Handy. Es war zu hell eingestellt und blendete mich. Natürlich hatte Linda nicht zurückgerufen und ich bekam das Gefühl, dass sie wirklich mit Astrid unter einer Decke steckte und ihr Verhalten abgesprochen war. „Gottverdammter Hexenzirkel", fluchte ich und warf meine Beine über die Bettkante. Als mein Blick auf den Boden fiel und ich die umgefallene Hasenfigur sehen konnte, erinnerte ich mich jäh, als ob man mich getreten hätte.

Ich war um vier Uhr früh schweißgebadet aufgewacht, mit pochendem Herzen und der Atmung eines Marathonläufers. Ich war aufgesprungen und hatte die Welt nicht verstanden. Bis ich begriffen hatte, dass das wohl so etwas wie ein Traum gewesen war, hatte ich die Hasenfigur quer durch den Raum und direkt unter den Kleiderschrank gekickt. Danach hatte ich, warum auch immer, zwanzig Minuten damit verbracht sie wieder hervorzuholen und war müde zurück ins Bett gekrochen. Nun war es kurz vor neun und ich musste mich fertigmachen, wenn ich nicht zu spät kommen wollte.

Ich rief Astrid nicht an. Sie hatte es mir gesagt. Aber ich weigerte mich.

„Gottverdammt", fluchte ich erneut und weiße Spucke landete am Spiegel im Bad. Ich putzte mir die Zähne und versuchte die Knoten in meinen Haaren zu lösen. „Das werdet ihr mir büßen", knurrte ich und warf die Zahnbürste beiseite, um mir den Mund auszuspülen. Danach wusch ich mir das Gesicht.

Moment. Ich fuhr hoch. Vielleicht hatte ich es mir nur eingebildet. Bestimmt. Ergab auch absolut keinen Sinn. Ich hatte nur Wahnvorstellungen. Lag wohl am Schlafmangel.

Nervös lachte ich mein Spiegelbild an und bemerkte, wie dunkel meine Augenringe waren. Dann flog mein Blick nach rechts zu meinem Makeup.

Angezogen und geschminkt, ich hatte mich in die Strumpfhose gequält und dabei ein Loch mit einem Nagel hineingerissen, stieg ich mit Pumps über die heutige Post und stürmte aus dem Haus, so schnell ich mit Stöckelschuhen eben konnte.

Ich hoffte, dass ich halbwegs vorzeigbar aussah und war froh über den lauen Herbsttag, der mir das Zittern bei der Bushaltestelle ersparte. Nervös kontrollierte ich meine Tasche. Ich hatte meine Geldbörse, mein Handy, Hausschlüssel, die Plastikfigur und den Stein.

Die Wiese der toten TiereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt