Hallo H,
vielleicht hast du Lust, mich nach Weihnachten zu besuchen? Ich würde dir gern meinen Onkel vorstellen. Nachdem ich so auf eine Stelle für dich gepocht habe, möchte er dich kennenlernen. Ich hoffe, dass du zusagst.
Astrid.
Während ich durch den Bahnhof von Grein irrte, unschlüssig, ob ich das Richtige tat, starrte ich mein Handydisplay an und seufzte schwer. Es waren kaum Leute unterwegs, was vielleicht an der Uhrzeit lag, denn es war kurz vor halb acht. Am Nachmittag hatte es aufgehört zu schneien, doch die Straßenmeisterei kam auch so nicht mit der Schneemenge zurecht. Berge davon, schwarz und voll Kies, sammelten sich an jedem Straßenrand.
Ich sah mich um, während ich durch die Unterführung marschierte. Niemand verfolgte mich und doch konnte ich das Gefühl nicht abschütteln. Nervös warf ich einen Blick auf die Uhr. Es waren kaum zwei Minuten vergangen.
Um diese Uhrzeit fuhr auf Gleis fünf kein Zug mehr. Der Bahnsteig war leer und bis auf einen Automaten, ein paar Mistkübel und eine verlassene Bank war hier nichts. Ich war viel zu früh. Unruhig begann ich auf und abzugehen, doch dadurch verging die Zeit nicht schneller. Schließlich setzte ich mich, obwohl mir kalt war und überschlug die Beine, um möglichst gelassen auszusehen. Lang hielt ich es nicht aus.
Jemand kam die Treppe hoch. Ich sah hin, hoffnungsvoll, doch es war nur der Müllmann, der kam, um die Mistkübel zu leeren. Er würdigte mich keines Blickes, doch ich fühlte mich trotzdem fehl am Platz, weil kein Zug mehr fahren würde. Durfte ich mich überhaupt hier aufhalten?
Um acht kam niemand. Und als auch um Viertel nach keiner kam, beschloss ich zu gehen. Es war ohnehin eine dumme Idee gewesen überhaupt hier aufzutauchen.
Ich vergrub meine Hände in den Taschen und ging zurück, wobei meine Schritte immer schneller wurden, weil das Gefühl verfolgt zu werden verstärkt wurde.
In der Unterführung stellten sich meine Nackenhaare auf. Die Neonröhre über mir flackerte und der Kies knirschte unter meinen Schritten. Es hallte. Selbst mein eigener Atem ängstigte mich.
Ich ballte die Hände zu Fäusten und straffte die Schultern.
Mitten in der Unterführung blieb ich stehen. Mein Blick fiel auf die Kamera am Eck, die gegen die Wand gedreht war. Was hatte das denn für einen Sinn? Sie blinkte grün.
Mein Instinkt meldete sich. Er schrie nach Flucht.
Plötzlich ging das Licht aus. Ich erstarrte. Jemand packte mich am Arm, verdrehte ihn mir auf den Rücken. Ich stemmte mich dagegen. Es tat weh. „Nicht bewegen", keuchte mir eine Frauenstimme ins Ohr. Doch ich gehorchte nicht. Mein Fuß trat. Mein Körper sprang. Ich schleuderte die Person herum, als wäre sie aus Gummi. Die Hände rutschten an meiner Jacke ab. Der Rücken krachte gegen die Wand. Ich hörte einen Schmerzenslaut. Meine Beine zitterten. Und doch stand ich noch.
Ich sah eine Person auf mich zukommen, einen Mann mit Mantel. Ich sah einen glühenden Punkt in seinem Gesicht. Er rauchte.
Die Person war sofort wieder auf den Beinen. Sie stürzte sich auf mich. Da war sie, die Angst, die ich nicht gespürt hatte. Sie lähmte mich. Ich war bewegungsunfähig.
Die Frau stieß mich zu Boden. Ich ließ es zu. Mein Kopf schlug hart am Pflaster auf, ich gab keinen Mucks von mir. „Nicht bewegen!", wiederholte die Frau. Ich sah ihr Gesicht nicht. Doch ihr Haar hing mir in die Augen. Sie roch gut.
„Und das soll die Häsin sein? Sie hat ganz schön viel Kraft."
Mir wurde nur langsam bewusst, dass ich gerade eine Frau hochgehoben und weggeschleudert hatte. Was zum Teufel. Woher nahm ich die Energie? Und seit wann konnte ich solche Moves? Ich hatte keine Ahnung von Selbstverteidigung.
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Die Wiese der toten Tiere
FantasyNiemand träumt. Es ist ein Märchen, ein Mythos, Hexerei. Und wenn es doch passiert, wird es von einem Forschungsinstitut in Grein erforscht. Man kann sich dort anmelden und an einem Programm teilnehmen, liest Hildegard im Internet und schreibt eine...