19. Von allen guten Geistern verlassen

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„Zerstöre es", forderte sie mich auf.

Ich war wie gelähmt. Den Hasen zerstören? Die kleine Plastikfigur, die ich stets bei mir trug?

„Also? Wo ist sie?" Su-ji begann mich abzusuchen. Ihre Hände packten meine Jacke, griffen in die Taschen hinein. Ich drehte mich weg, doch sie ließ sich nicht abwimmeln.

„Her damit!" Sie packte grob meinen Arm, wurde wütend. Ihre Augen funkelten und ihr Gesicht war weiß wie eine Wand. Ich brachte es nicht übers Herz sie wegzustoßen, drückte sie weg, doch Su-ji zerrte an meinem Reißverschluss, versuchte ihn zu öffnen. Ich packte ihre Handgelenke. „Hör auf", hörte ich mich sagen, doch sie stieß ihr Knie nach oben. Ich wich aus, zog sie mit mir. Beide krachten wir gegen die Ausgangstür, während sie erneut nach dem Reißverschluss griff und ihn mit einem Ratsch nach unten zog.

Plötzlich war meine Jacke offen. Ich schluckte. Su-ji erstarrte. Ihr Blick glitt über meinen Pullover, dann zu meinem Gesicht und ich las etwas in ihren geweiteten Augen, was mich erstaunte. Und nicht nur mich, offenbar auch sie, denn sie fluchte und schlug mir die Faust ins Gesicht.

„Für was war das?", stöhnte ich, während ich mir die Wange hielt. Ich hätte ausweichen können. Warum zum Teufel hatte ich das nicht getan?!

„Du solltest nicht so sprechen!", keifte sie. Mittlerweile war sie auf Abstand gegangen und das, obwohl ich eigentlich die war, die Angst haben sollte. „Du bringst mich in Versuchung!"

„In Versuchung?", echote ich ungläubig, „ernsthaft? Du hast mich angegriffen!"

Unsere Auseinandersetzung wurde von einer Frau unterbrochen, die in die Toilette kam. Sie sah uns verwirrt an, dann lief sie rot an und verschwand in einer der Kabinen.

„Wir sollten gehen", sagte ich, während ich mechanisch meine Jacke schloss. Es war mir peinlich. Und ihr auch, denn sie war genauso rot wie die Frau, die soeben hereingekommen war.

„Du wirst uns helfen, oder?", fragte sie hoffnungsvoll, fast schon nervös, als sie mir durch den Gang zurück ins Lokal folgte, „du wirst dich nicht abwenden. Du hättest es längst zerstören können."

Tja, das stimmte wohl.

„Und was soll ich tun?", knurrte ich, ohne sie dabei anzusehen.

„Triff dich mit der Erbin. Sprich mit ihr und finde heraus, wo sie die Göttin gefangen halten. Du musst das machen, okay?"

„Im Gegenzug will ich aber mehr über eure Organisation erfahren", ich warf ihr einen kurzen Blick zu, „und ich will mitkommen, wenn du deine Aufgaben erledigst. Ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe."

Im Nachhinein war ich mir nicht mehr sicher, was genau ich zu ihr gesagt hatte. Das passte nicht zu mir. Mich irgendwo einzumischen und dabei zu sein. Für gewöhnlich hielt ich Abstand. Ich war introvertiert. Menschen überforderten mich.

Ben war jedenfalls begeistert. Aber er fragte nicht nach, warum wir beide derartig durch den Wind aussahen, wofür ich ihm dankbar war. Er gab mir seine Nummer und auch Su-ji überredete er, damit ich sie in mein Handy einspeichern konnte.

„Du bist jetzt also eine Spionin", er zwinkerte mir zu, „freut mich. Ich dachte, es würde nicht einfach werden dich zu überzeugen."

„Ihr solltet mir nicht vertrauen, denn ich werde es auch nicht tun", sagte ich zum Abschluss, „wir kennen uns kaum."

Ben nickte ernst. „Wir wenden uns an dich, weil wir keine andere Wahl haben. Das sollte dir stets bewusst sein." Man hat immer eine Wahl, dachte ich, aber behielt es für mich.

Die Wiese der toten TiereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt