20. Ich war wie besessen

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Zu den Feiertagen war ich bei meinen Eltern. Obwohl der Weihnachtsabend schön war, die Kerzen am Baum flackerten und die Kekse süß nach Vanille und Zucker schmeckten, ging es mir nicht gut. Klar hatte ich mich über mein neues Handy gefreut, ich hatte sogleich alle Daten umgespeichert und die Nummern kontrolliert, selbst als mein Vater verkündet hatte, er würde meinen Staubsauger abbezahlen, hatte ich mich gefreut.

Ich litt an Panikattacken. Erst, als mich meine Mama nach dem ersten Weihnachtstag nachts im Bad aufgefunden hatte, zusammengerollt und in Schlafklamotten, hatte ich begriffen, dass die letzten Ereignisse wohl einen Schaden hinterlassen hatten. Seitdem wollte sie, dass ich zur Therapie ging. Es gab bestimmt eine Förderung, damit Opfer von Gewalt eine kostenlose Behandlung erhielten.

Natürlich hatte ich ihr nicht von dem Vorfall im Park erzählt. Auch nicht von der Angst, die ich in meiner Wohnung gespürt, als mich Su-ji allein gelassen hatte.

Ich fühlte mich dort nicht sicher. Geschlafen hatte ich auch kaum, obwohl die Katze bei mir gewesen war. Sie hatte versucht mir Trost zu spenden, doch trotzdem bin ich am nächsten Tag sofort in den Zug gestiegen und hatte Grein verlassen.

Ich würde meinen Job aufgeben. Es war keine schwere Entscheidung gewesen. Sicher, ich fühlte mich schlecht, weil ich nur ein paar Tage gearbeitet hatte, doch ich konnte dort nicht mehr hin. Anders verhielt es sich mit der Wohnung. Ich hatte so sehr von zuhause fortgewollt, dass ich damit haderte, auch die aufzugeben, trotz meiner Sorge, dort vielleicht erstochen zu werden.

Mir lief es kalt den Rücken hinunter.

Mehrmals ertappte ich mich dabei, wie ich Su-jis Telefonnummer anstarrte. Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf und jedes Mal, wenn ich abends im Bett lag, verursachte mir die Vorstellung ihrer Lippen Herzrasen und einen roten Kopf. Ich fragte mich, ob ich ihr von meiner Panik erzählen sollte, fürchtete mich aber vor ihrer harschen Reaktion und so ließ ich es und entschied stattdessen Astrid anzuschreiben und mein Versprechen einzulösen, damit ich einen guten Grund hatte, mich wieder bei ihr zu melden.

Hallo Astrid,

es tut mir leid, dass ich mich so spät bei dir melde. Ich war beschäftigt. Vielleicht hast du die nächsten Tage Lust auf ein Treffen?

Ich hoffe, dir geht es gut.

Mein Finger zitterte, als ich auf Senden drückte.

„Hier, dein Tee." Mama stellte mir ein Glas hin. Sie hatte mir vom Spar einen natürlichen Beruhigungstee geholt. „Sicher, dass ich nicht anrufen soll?" Es ging wieder um den Therapeuten, den einzigen in der Kleinstadt wohlbemerkt.

„Nein, wirklich nicht", verneinte ich und legte mein Handy beiseite, „ich schaffe das schon. Das wird schon wieder." „Ich weiß nicht." Sie blickte mich besorgt an. „Du hast abgenommen. Ich mache mir Sorgen."

Ich seufzte. „Morgen kündige ich meinen Job in der Bar."

Sie hob die Brauen hoch. „Wirklich? Und die Wohnung?" Ich zuckte die Achseln. „Weiß ich noch nicht. Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht und dann das alles." Ich hatte ihr auch nicht erzählt, dass ich träumte. Mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass sie keine Ahnung von Totems oder Schutzsteinen hatte. Sie hätte mich bestimmt darauf angesprochen, spätestens, nachdem sie die Figuren gesehen hatte, die auf mysteriöse Weise wieder bei mir aufgetaucht waren. Sie mochte zwar bei dem Traumprogramm mitmachen, sofern das Labor dazugehörte, aber es war wohl zufälligerweise einfach nur die gleiche Adresse.

Papa kam zur Tür herein. „Draußen ist es verdammt kalt!", meinte er, als er zu uns in die Küche kam. Sein Haar war mit Schneeflocken übersät. Als er mich sah, lächelte er. „Geht's dir besser?" Auch er wusste von den Panikattacken, was mir nebenbei bemerkt, ziemlich unangenehm war. Ich fühlte mich jedes Mal schwach und hilflos. Es war grauenvoll.

Die Wiese der toten TiereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt