Ich wartete vorm Haus. Es schneite nicht mehr. Der Himmel war klar und ich starrte den Vollmond hoch, der die Landschaft in ein glänzendes Märchenland verwandelte. Ich hatte mich geschminkt, aus Gewohnheit, nicht weil ich wirklich gewollt hatte. Mein Haar war hochgesteckt und zusammengebunden mit ein paar Klemmen, die mir meine Mama gegeben hatte. Ich trug Stiefel, meine schönsten Schuhe, die einigermaßen warm waren und keinen Absatz besaßen, dafür aber mit Fell besetzt waren. Ausnahmsweise war meine Jeans ohne Löcher und ich trug einen Mantel, der mich nicht genug wärmte.
Astrid hatte mir vor ein paar Minuten geschrieben, dass sie gleich da wäre. Ich war schrecklich nervös.
Scheinwerfer trafen mich und ich kniff die Augen zusammen. Ein Auto fuhr heran und blieb vor unserem Haus stehen. Ich blinzelte, weil mich das plötzliche Licht geblendet hatte.
Es handelte sich um einen Geländewagen und ich bildete mir ein, ihn vor der Villa stehen gesehen zu haben, doch sicher war ich mir nicht. Auf der Fahrerseite stieg ein Mann in einem Anzug aus, ging einmal herum und wollte eine Tür öffnen, allerdings sprang Astrid selbst auf den Gehsteig und nahm ihm die Geste ab.
„Hallo!", rief sie mir scheu zu und ich sah die Freude auf ihrem Gesicht. Mein Magen rumorte.
Die Schokolade, schoss mir durch den Kopf, ich hatte sie vergessen.
Ich löste mich von der Stelle.
Da fielen mir mehrere Sachen gleichzeitig auf.Mein Instinkt hatte mich nicht vorgewarnt und ich fürchtete mich nicht. Es war so befreiend, dass ich mich schrecklich erleichtert fühlte. Also hatte ich mit meiner Vermutung Recht gehabt. Die magische Katze hatte mir einen Stein gegeben, der mich von der Angst vollständig befreite.
„Hallo", wiederholte Astrid, als sie vor mir stand. Sie lächelte mich an und ihre Augen strahlten mir entgegen. Sie war auch geschminkt. Ihre weiße Jacke passte zu ihrer rosigen Haut. „Wie geht es dir?" Sie war aufgeregt.
„Gut", sagte ich automatisch, obwohl es eine Lüge war. Sie musterte mich, dann meinte sie: „Du siehst anders aus." „Wirklich? Könnte an der Wimperntusche liegen."
Dann beugte sie sich vor und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ich zwang mich stehenzubleiben, was mir ohne Panik leichter fiel. Sie küsste mich auf die Wange und ich roch den Teegeruch an ihr, statt dem Tiger. Es fühlte sich fast wie früher an, abgesehen vom Misstrauen und meinem schlechten Gewissen.
„Lass uns gehen." Sie war glücklich. Ich hatte sie lange nicht mehr so gesehen. Verdammt. Das machte es nicht leichter ehrlich zu sein. Ich wünschte, ich hätte sie nicht geküsst.
Im Auto kuschelte sie sich an mich. Ich warf ihr einen überraschten Blick zu, doch sie grinste nur und ihre weißen Zähne strahlten mir entgegen. Der Fahrer sah uns kurz an und grüßte mich, ansonsten ignorierte er uns.
„Du hast keine Angst mehr vor mir", sagte sie dann. „Woher weißt du das?" Ich versuchte mich zu entspannen, was angesichts des Körperkontakts nicht einfach war. „Du hast meine Tabletten genommen?" „Klar", und wieder eine Lüge. „Schön." Sie kuschelte ihre Wange an meine Schulter und ich fühlte nichts außer Bedauern.
„Ich freue mich so", teilte sie mir mit, „lass uns ganz viel Spaß haben. Linda ist auch da. Vielleicht verträgt ihr euch ja wieder."
„Wir waren nie zerstritten", ich hob eine Braue hoch, „sie hat sich von mir distanziert."
„Also ich glaube, es kam hauptsächlich von dir." Ihr Arm unter meinem war längst warm. Sie war sehr weich. „Du hast dich abgeschottet. Ich meine, ja ich weiß, ich war sehr penetrant. Aber ich habe mich so sehr darüber gefreut, dass du auch träumst, dass ich meine Zurückhaltung vergessen habe. Es tut mir leid. Ehrlich."
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Die Wiese der toten Tiere
FantasyNiemand träumt. Es ist ein Märchen, ein Mythos, Hexerei. Und wenn es doch passiert, wird es von einem Forschungsinstitut in Grein erforscht. Man kann sich dort anmelden und an einem Programm teilnehmen, liest Hildegard im Internet und schreibt eine...