Am nächsten Tag rief ich im Krankenhaus an. Ich war nervös, doch ich gab mich als eine Schwester meiner Mama aus und so gelang es mir schließlich bis zu ihrem Zimmer durchzudringen.
Als ich schließlich ihre Stimme hörte, war ich so froh, dass ich fast geweint hätte. Stattdessen schwieg ich und lauschte ihrer Verwirrtheit, weil sich keiner meldete. Im Hintergrund sprach mein Vater, der meinte, dass vermutlich die Leitung tot war und sie gefälligst das Kabel oder die dummen Telefonmasten erneuern sollten.
Danach legte ich auf und dankte Su-ji für das Geschenk, das sie mir gemacht hatte.
Im Laufe des Vormittags erzählte sie mir, dass sie vorläufig nicht mehr zur Arbeit konnte. Nach ihr wurde gefahndet, doch damit hatten wir gerechnet. Allerdings bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, da sie ohnehin bald zurück in ihre Heimat ziehen würde. Südkorea, sagte sie, dort gehöre sie hin. Ich lächelte, wobei ich einen Stich verspürte, weil mir klar war, dass sie mich zurücklassen würde.
Sobald das Traumland in Sicherheit war, würde alles wie früher werden, zumindest hoffte sie es, wobei es meiner Meinung nach eine bloße Illusion war.
„Ich habe Informationen gesammelt", erzählte sie mir auf meine Frage hin, warum sie sich mit Astrids Cousin abgegeben hatte, „und deshalb weiß ich, wo sich Johann Fest womöglich aufhält. Deshalb auch das Treffen innerhalb der Organisation. Wir müssen uns beraten. Es kann sein, dass wir bald des Rätsels Lösung erfahren."
Wir sprachen nicht über das, was sich am Vortag zugetragen hatte. Es war uns beiden peinlich. Ich hatte ein paar blaue Flecken und eine geschwollene Lippe davongetragen. Die Erinnerung an unseren Kuss gehörte zu den süßesten Erinnerungen, die ich je sammeln würde. Ich war mir sicher.
Da klingelte ihr Handy. Sie hob ab und ich beobachtete sie, nach wie vor mit einer schmerzenden Sehnsucht, allerdings respektierte ich ihren Wunsch und fand mich damit ab, froh darüber, wenigstens in ihrer Nähe sein zu dürfen.
„Das war Ben. Er hat mir die Uhrzeit des Treffens mitgeteilt."
Und ab da ergriff mich eine Spannung, die ich bis zum Abend nicht abschütteln konnte.
Gegen zehn Uhr bahnten wir uns einen Weg durch Greins Kanalisation. Ich trug einen dicken Kapuzenpulli und eine Weste darüber, damit mir nicht kalt wurde. Su-ji hatte mir Anziehsachen gekauft, weil ich nicht in ihre Kleidergröße passte.
Bevor wir ins Taxi gestiegen waren, hatte sie überprüft, ob wir nicht verfolgt wurden. Sie hatte gerochen und ab da hatte ich zum ersten Mal erfahren, dass nicht nur ich mit einer speziellen Fähigkeit gesegnet war, sondern auch Su-ji.
Unter ihrer Jacke trug sie einen Waffengurt. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass sie in ihrem Schlafzimmer jede Menge Waffen gehortet hatte und umso erstaunter war ich gewesen, als sie das Bett angehoben und einen Schlagstock, sowie mehrere Messer hervorgezogen hatte. „Eine Vorsichtsmaßnahme", erklärte sie mir und lächelte entschuldigend.
„Vielleicht hättest du mir etwas zeigen sollen", hatte ich nur gemurmelt, weil es mich nichts anging. Sie hatte nur mit den Achseln gezuckt und gemeint: „Das brauchst du nicht. Du übertriffst uns alle."
Su-ji wusste genau, wohin wir gehen mussten. Sie hatte keine Karte bei sich und die Tür, die wir genommen hatten, war unter einer uralten Brücke innerhalb Greins gewesen, an einem Schrottplatz, der verlassen war.
Manchmal, wenn es zu dunkel wurde, sie benutzte zwar eine Lampe, aber schaltete sie gelegentlich aus, folgte ich ihrem Panther, der hellblau strahlte. Gelegentlich flüsterte sie ein paar Worte in meine Richtung und ich versicherte ihr, dass sie sich keine Sorgen um mich zu machen brauchte.
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Die Wiese der toten Tiere
FantasíaNiemand träumt. Es ist ein Märchen, ein Mythos, Hexerei. Und wenn es doch passiert, wird es von einem Forschungsinstitut in Grein erforscht. Man kann sich dort anmelden und an einem Programm teilnehmen, liest Hildegard im Internet und schreibt eine...