Ich hatte gehofft, dass ich am gleichen Ort aufwachen würde. Stattdessen erschien ich in der Nähe eines Tümpels, direkt unter einem Steinvorsprung. Wasser plätscherte, rollte über Kieselsteine und die saftig grünen Wasserlinsen bewegten sich im Rhythmus mit. Ich blinzelte und richtete mich auf. Dann sah ich die hohen Lärchenbäume hoch und spürte ein Gefühl von Verwirrtheit.
Warum erschien ich jedes Mal woanders? Ich erinnerte mich an die mit dem Silberdraht umrandete Wiese und fragte mich, ob man gewöhnlich dort erwachte, nachdem ich bei meinem ersten Erlebnis eine solche Szene beobachtet hatte.
Es war verwirrend. Ich brauchte Antworten. Nach welchen Regeln spielte das Traumland?
Ohne groß darüber nachzudenken, verließ ich den Tümpel und tauchte in den Wald ein. Die Lärchen verloren ihre Nadeln und ich fragte mich, ob es hier Jahreszeiten gab. Mehrmals blieb ich stehen, versteckte mich hinter einem Stamm und spitzte meine Ohren.
Ich hörte weder Insekten, noch andere Tiere. Ich roch nur den Wald, spürte die Erde unter meinen Füßen, die nachgab, wenn ich einen Sprung tat. Zuerst war da Unruhe, da ich diese Welt nicht kannte, Angst und Unsicherheit, weil ich mich fürchtete. Zwar sah sie aus wie in der Realität, doch ich verspürte keinen Hunger, auch wenn meine Energie abnahm und ich Pausen brauchte. Da war kein Appetit, der mich dazu getrieben hätte das Gras zu probieren, welches hie und da in Büscheln wuchs und eingetrocknet war.
Irgendwann beruhigte sich mein Geist und zum ersten Mal war ich fähig, den Wald als einen solchen zu betrachten, als einen Ort der Ruhe und des Friedens, einen Ort, an dem man sich entspannen und Energie tanken konnte.
Ich blieb auf einem Hügel, umgeben von Heidelbeersträuchern stehen und schloss die Augen.
Friede und Gelassenheit. Ruhe und Geborgenheit. Ein krasser Gegensatz zu der Wut und dem Zorn, den ich beim letzten Mal gespürt hatte.
Als ich die Augen wieder öffnete, war ich von hellen Funken umgeben. Sie tanzten um mich herum, schienen sich von den Sträuchern zu lösen und über mein Fell zu streichen. Dann begann es zu schneien und vor mir formte sich eine funkelnde Gestalt, eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie kam auf mich zu, ihre Schritte waren still. Sie war durchsichtig, ich sah nur ihre Umrisse und den Ansatz eines Lächelns, bei dessen Anblick mir fast das Herz stehengeblieben wäre.
Da war ein Gefühl von bekannter Wärme. Ich konnte es nicht zuordnen. Waren wir uns schon einmal begegnet?
Ich hatte keine Angst. Sie rief mich zu sich, ich hörte es in meinem Kopf, obwohl da keine Worte waren. Meine Pfoten bewegten sich von selbst, meine Ohren stellten sich auf. Dann hob sie mich vom Boden hoch und die Geborgenheit schwappte über mich, als wäre ich zuhause angekommen.
So schwebte ich in der Luft, von geheimnisvoller Wärme umgeben, die mein Herz aufblühen und mich geliebt fühlen ließ.
Ich öffnete die Augen und war überrascht, weil es noch immer Nacht war. Neben mir blinkten ein paar Leuchten am Bett, während mein Handy leuchtete, als hätte ich eine Nachricht erhalten. Obwohl ich die Fliege nicht mehr gefunden hatte, so war mir eine Erscheinung begegnet, die mich ausgeruht und voller Kraft erwachen ließ. Ich fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Meine Glieder waren wie elektrisiert.
Warum roch es nach Pferd? Doch so schnell der Geruch aufgetaucht war, so schnell war er wieder verschwunden. Ich richtete mich im Bett auf, sah zum Fenster. Noch im Halbschlaf registrierte ich die Flocken, die vom Himmel fielen, den gerafften Vorhang und den Tisch, den man in jedem Krankenzimmer stehen hatte. Erst dann sah ich den Schatten, der vor dem offenen Kleiderschrank stand und sich durch meine Sachen wühlte.
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Die Wiese der toten Tiere
FantasyNiemand träumt. Es ist ein Märchen, ein Mythos, Hexerei. Und wenn es doch passiert, wird es von einem Forschungsinstitut in Grein erforscht. Man kann sich dort anmelden und an einem Programm teilnehmen, liest Hildegard im Internet und schreibt eine...