28. Gefährliches Sehnen

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Und so kam es, dass ich bei Su-ji blieb. Ich wusste nicht, wo sie arbeitete, sie sagte mir lediglich, dass sie am Vormittag weggehen und am Abend wiederkommen würde und ich die Wohnung nicht verlassen sollte. Mögliches Klopfen sollte ich ignorieren und ein Haustelefon hatte sie ohnehin keines. Zur Unterhaltung gab sie mir ihren Laptop, den ich nutzte, um im Internet zu surfen. Sie brauchte mir, worum ich sie bitten musste, auch ein paar Zeitungen, die ich durchforstete. Dabei stieß ich mehrmals auf Artikel, die mich und meine Familie betrafen und die sich um Johann Fest und sein Verschwinden rankten, wobei unterschiedliche Medien unterschiedliche Dinge behaupteten. So erfuhr ich zumindest drei Tage später, dass meine Mama noch lebte und meine Eltern mich suchen ließen. Dazu gab es ein Krankenhausfoto in einer der Zeitungen, wo sie die Bevölkerung baten nach mir Ausschau zu halten und sogar ein Foto hochhielten.

Danach konnte ich endlich wieder normal essen. Davor hatte ich mich dazu gezwungen, vor allem wegen Su-ji, die mich dazu gedrängt hatte.

Ich hatte sie gebeten, mein Totem wegzustellen. Nach kurzem Überlegen hatte sie es im Keller versteckt. Ich war noch nicht darauf vorbereitet erneut zu Träumen, wobei ich mich fragte, ob mein Vorderbein genauso wie im realen Leben geschädigt sein würde.

„Vermutlich", meinte Su-ji beim Frühstück. „Er hat schließlich deine Seele angegriffen."

Das ganze Zeug verwirrte mich. Seele hin oder her, ich hatte noch immer Schmerzen und zur Physiotherapie konnte ich nicht, weil ich offiziell verschollen war.

Su-ji und ich hielten Abstand zueinander. Sie hatte mich seit dem ersten Abend, an dem sie mich hergebracht hatte, nicht mehr berührt, auch nicht zufällig. Zwischen uns herrschte eine seltsame Atmosphäre, die zu beschreiben ich mir schwertat. Sie sah mich kaum an, doch manchmal, wenn ich vor dem Laptop saß, hatte ich das Gefühl sie tat es doch. Mein Nacken kribbelte jedes Mal, wenn ich mich zu ihr drehte und ihren Blick suchte, der wie zufällig an der Couch vorbei wanderte, dort, wo ich saß. Ich hatte ihr natürlich ihr Schlafzimmer überlassen. Dies war ihre Wohnung. Ich hatte kein Problem damit auf der Couch zu schlafen.

Nachdem eine Woche vorbei war, konnte ich nicht mehr ruhig sitzen. Ich fühlte mich eingesperrt und meine Beine waren rastlos, nachdem ich nur daheim hockte und nichts tat. Meinen Sohlen ging es besser, ich konnte wieder auftreten und das machte mich nervös und hibbelig.

Am Nachmittag hatte ich die Schnauze voll mit den Serien, die ich mir reinzog. Ich stand im Vorzimmer und wartete auf Su-ji. In der Küche tickte eine Uhr und draußen fuhr ein Lastwagen vorbei. Ansonsten war es ruhig.

Es fing damit an, dass ich mich zu sorgen begann. Zuerst waren es nur zwei Minuten, dann waren es zehn und schließlich eine ganze halbe Stunde. Ich lief vom Fenster zur Tür, um abwechselnd nach draußen zu sehen und ins Stiegenhaus zu lauschen, nur um weder zu sehen noch zu hören.

Meine Hände zitterten. Ich suchte nach dem Schlüssel. Es musste einen zweiten geben. Dafür stürzte ich sogar in ihr Schlafzimmer, was ich bis jetzt gemieden hatte. Doch ich hatte viel zu viel Respekt vor ihrer Person, als mich durch jede Lade zu wühlen.

Ich war mir sicher, etwas übersehen zu haben, also ging ich zurück zur Tür.

Schließlich wurde mir übel, dann schwindlig und ich musste mich setzen. Panik. Ich hatte eine Panikattacke. Ich bekam keine Luft. Meine Brust fühlte sich eng an. Ich hatte das Gefühl zu ersticken.

Da drehte sich der Schlüssel im Schloss. Ich sah auf, mein Herz tat einen Satz und ich sah Su-jis nasses Haar, welches ihr am Gesicht klebte.

„Draußen regnet es", sagte sie zur Begrüßung, als sie sah, wie ich im Vorzimmer saß, „ich bin bis auf die Knochen durchnässt."

Die Wiese der toten TiereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt