Kapitel 28

26 1 0
                                    

Als ich mich aus der Wäschetonne rausquetsche, ahne ich schon schlimmes. Nach Nathes letzter Aussage hat Victor komplett seine Kontrolle verloren und ist danach aus dem Raum gestürmt. Ich sehe Nathe auf dem Teppich, der versucht sich aufzurappeln. Wie in Zeitlupe stürze ich auf ihn zu und helfe ihm sich aufzusetzen. Nathes Augen sind halb geöffnet, aber er starrt ins leere.
„Nathe...?", frage ich vorsichtig und streiche ihm seine Haare aus dem Sichtfeld.
„Cait...?", fragt er unsicher, seine Augen irren verwirrt im Raum umher. Wie oft hat Victor seinen Kopf auf den Boden oder gegen die Wand geschlagen? Seine Unterlippe blutet und auch an seinen Handballen seh ich die Spuren seiner Verteidigung.
„Es dreht sich irgendwie alles..." Nathe fasst sich an den Kopf, der gerade Purzelbäume zu schlagen scheint. Dann, mit einem Ruck springt er auf und taumelt stürmisch in sein Bad. Ein paar Sekunden später höre ich, wie sein Abendessen den Rückwärtsgang eingelegt hat.
Besorgt folge ich ihm ins Bad, werde aber sofort angegiftet.
„Cat, geh."
Nathes Blick ist todernst, bevor es ihn wieder würgt.
„Nathe, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt um den starken Mann zu spielen!"
„Ich sagte, RAUS hier! Verpiss dich! Wegen dir ist das alles überhaupt passiert!"

Wütend stampfe ich aus seinem Schlafzimmer und knalle die Türe hinter mir zu. Der und sein beschissener Stolz. Bloß nicht zeigen, dass man Schwächen hat. Unbewusst steigen mir Tränen in die Augen. Da möchte man einfach für ihn da sein und er stößt mich immer wieder weg. Komme ich einen Schritt auf ihn zu, geht er zwei Schritte von mir weg. Ich hab darauf kein Bock mehr. Soll er seinen Scheiß doch alleine machen. Soll er doch zu dieser Sophie und ihr seine Probleme erzählen.
Völlig aufgelöst schmeiße ich mich auf mein Bett und zücke mein Handy. Ein paar verpasste Anrufe von Mum, unwichtige WhatsApp Nachrichten... von Neal. Ein Standort mit dem Restaurant wo er sein Mittagessen holt, wie heute Mittag versprochen. Das hab ich in dem Trubel völlig vergessen.
Mit einem > Danke :)< schreibe ich ihm zurück und hoffe, dass das Thema damit gegessen ist und er heute einfach nur komisch drauf war. Sein Zwinkern und Bedrängen kam mir sehr ungewöhnlich vor.
Noch ehe ich aus dem Chat gehen kann, hat meine Antwort zwei blaue Hacken. Wie wenn er drauf gewartet hätte.
> Gerne doch ;) <
Ich verdrehe die Augen und schmeiße mein Handy in das Kissen. Ich hab echt andere Probleme als Neal und sein komisches Verhalten. Aber schon als mein Handy vibriert und eine Nachricht von Neal aufplopt, hat er wieder meine volle Aufmerksamkeit.
> Ist alles gut bei dir?<
Ich könnte ihm auch einfach nicht antworten... andererseits wäre es schön mit jemandem mal zu reden, der nicht zu meiner und zu dieser Familie gehört.
> alles okay...und bei dir?<
> Erzähl, was ist los?<
Wie gut tut es, dass mich jemand darum bittet zu erzählen, was mich gerade belastet. Zu viele Geheimnisse schlummern unausgesprochen in mir. Andererseits kenne ich Neal kaum. Er ist bei Nathe in der Mannschaft und spielt gut Billard. Mehr weiß ich nicht über ihn.
Ich beschließe, erst mal Feli anzuschreiben, ob sie noch wach ist und Lust hat zu telefonieren.
> Wenn du reden möchtest, ich hätte Zeit< reagiert er auf seine unbeantwortete Frage.
> Alles gut, ich bin nur müde und ein wenig emotional <
> Möchtest du telefonieren?<
Wer bist du? Meine beste Freundin?
Ich starre ein paar Minuten auf die Nachricht weil ich innerlich mit mir hadere, was genau ich zurückschreiben soll.
Aber Neal nimmt mir die Entscheidung ab und ruft an. Panisch wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und setze ich Lächeln auf, so wie es mir in der Silver Familie beigebracht wurde.
„Hey"
„Hey", erwidere ich. Oh man, das ist so unangenehm... was soll ich sagen? Kann ich ihn nicht einfach irgendwie abwimmeln?
Ich hoffe, das ist dir nicht unangenehm, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass du jemanden zum reden brauchst."
Der Typ hat ein feineres Gespür als Ivona bei ihrer Kleiderwahl.
„Alles gut, ich bin nur etwas fertig von der Woche."
„Na Gott sei Dank ist morgen Freitag"
Ungewollt muss ich ein wenig schmunzeln.
„Ich erwarte nicht, dass du mit mir über deine Probleme redest, manchmal kann man auch einfach ein wenig Ablenkung gebrauchen"

Nach dem ich gestern noch bis spät in die Nacht mit Neal telefoniert habe, reißt mich der Wecker viel zu früh aus meiner Tiefschlafphase. Ich bin froh, dass ich gestern trotz meiner Müdigkeit nicht zu viel Neal erzählt habe. Nichts über mich und Nathe, noch über die Familie Silver, die sich normalerweise durch meine Gedanken zieht. Zum ersten Mal seit langem hatte ich ein nettes Gespräch über wortwörtlich Gott und die Welt. Ich muss sagen, mit Neal kann man einfach reden, es wird nicht langweilig.
Dank dem Telefonat springe ich positiver gedacht aus dem Bett und beginne mich zu richten. Ich hab mit Neal gestern viel über meine Familie geredet, da wurde mir bewusst, dass ich langsam Heimweh bekomme. Ich habe sie seit dem Einzug bei den Silvers nicht mehr gesehen. Das war zwar erst vor 2 Wochen, aber seit dem ist viel passiert.
Heute Mittag werde ich ihnen einen Überraschungsbesuch abstatten, das ist längst überfällig.
Voller innerer Vorfreude meine Familie heute zu sehen, schlendere ich die Treppen runter in die Küche. Ivona und Victor sind schon beim arbeiten, Berta kommt erst vor dem Mittagessen, also habe ich die ganze Küche für mich. Aus dem Kühlschrank schnappe ich mir Käse und eine Gurke. Berta hat gestern noch Brot gebacken, dass von dem Silverpaar schon angeschnitten im Brotkorb liegt.
Als die Küchentüre aufschwingt zucke ich zusammen. Krass, wie sehr mich dieses Haus schon verunsichert. Die ständige Angst, Victor erfährt von Nathe und meinem Geheimnis ist erdrückend. Mehr als zwei Jahre bis zu meinem Abschluss halte ich es hier nicht mehr aus.
„Morgen", murmelt eine unausgeschlafene Sally und reibt sich müde über die Augen.
„Ist da jemand noch müde?", frage ich rethorisch und nehme sie in den Arm. Sie muss gerade frisch aus dem Bett gestiegen sein, ihre Haare sind ganz zerzaust und auf ihrer Wange ist ein leichter Abdruck ihres Kissens. „Komm, ich mach dir ein Frühstück"
Für mein Angebot bekomme ich ein müdes aber dankbares Lächeln.
„Hast du heute später Schule?", hacke ich nach, während ich eine Scheibe von Bertas Brot bestreiche.
„Heute sind bei uns die Kunstprüfungen."
Von Albert hab ich mal aufgeschnappt, dass Sally an einer Schule ist, an der Junge Künstler in Bereich Musik und Kunst gefördert werden.
„Dann hast du ja heute einen großen Tag"
„Ich konnte die ganze Nacht vor Aufregung nicht schlafen. Außerdem war es bei Nathe noch lange laut" noch einmal fahren ihre Handballen über ihre Augen. „Ich sehe schlimm aus, die werden mich alleine für mein Aussehen aus der Prüfung schmeißen."
„ Und man könnte es ihnen nicht verübeln" Nathes Stimme hinter mir lässt mich zum zweiten Mal an diesem Morgen zusammenzucken.
„Sehr aufbauend, Nathan!", motzt seine Halbschwester ihn an und wirft ein Küchentuch nach ihm.
Ohne große Mühe fängt er es aus der Luft mit einer eleganten Handbewegung. „Hör auf zu jammern, du bist nicht die Einzige, die heute Prüfung hat."
Als Sally ihren Blick fragend auf mich richtet, verdreht Nathe die Augen. „Ich meine mich."
„Seit wann schreibt man so früh schon Prüfungen?" Sallys Stirn wird von fragenden Falten geziert.
„Seit dem Footballleute keinen Schnitt mehr von 2,0 haben und ihnen das beim gewinnen des Cups hilft." murmelt Nathe ironisch, während er sich mein Frühstücksbrot greift und ohne zu zögern reinbeißt.
„Hey!", beschwere ich mich sofort und boxe ihn in seinen Arm, was mir kurz danach leid tut, da er gestern genug Hiebe einstecken musste. „Gehts noch Silver? Das war meins!"
„Manchmal muss man sich Krallen, was man braucht, Swany.", seine Augen funkeln provozierend. „Da wir gerade beim Thema sind: ich brauch dich heute."
Wenn ich nur eine Mimik in diesem Pokerface lesen könnte, wäre mein Leben hier erdenklich leichter. Er braucht mich! Wie wenn ich ein Gegenstand für ihn wäre, den er immer benutzen kann. Das er sein emotionsloses Gesicht aufgesetzt hat, beunruhigt mich in der Kombination seiner Aussage.
„Das Einzige was du brauchst ist ein Wunder, um die Prüfung zu bestehen.", wirft Sally in die Runde.
Grüne Augen landen auf mir, die genauso hinterlistig funkeln wie an dem Mittag, bevor er mich mit dem roten Kleid hat völlig gegen die Wand fahren lassen. Das kann nichts gutes bedeuten.
„Gut dass du es erwähnst Sally. Die Wundertüte steht vor mir."
„Vergiss es Silver, deine Spielchen hab ich langsam satt.", wütend knalle ich das Brotmesser auf die Ablage und will mich aus der Küche verziehen. Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.
„Swany, du bekommst dafür etwas von mir."
Ich will nur dich! Nicht irgendwas von dir, einfach nur dich für mich alleine.
Er kennt mich leider schon soweit, dass er genau weiß womit man meine Neugierde wecken kann. Langsam drehe ich mich zu ihm um.
„Ich mache es um keinen Preis der Welt. Ich helfe dir nicht in einer Prüfung zu schummeln. Das ist verboten."
Nathe legt das geklaute Brot zur Seite und kommt langsam auf mich zu, mit einem überheblichen Blick, den er schon lange nicht mehr gegen mich angewendet hat.
„Aber ich hab einen guten Grund, warum du mir helfen solltest."

An deiner Seite Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt