Kapitel 37 Entführung

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Ich weiß nicht, ob die Leute auf der Straße ins Auto durch die dunklen Scheiben sehen können, aber wenn ja, dann würde das ein beängstigendes Bild abgeben. Ein höchst angespannter Nathan am Steuer, ein verhüllter Mann auf dem Rücksitz mit einer Pistole an dem Nacken der Beifahrerin, die vor Angst und Überforderung vom Weinen verquollene Augen hat. Sicher würde keiner der Leute eingreifen, in den Slums mischt sich niemand unnötigerweise in die Angelegenheiten des anderen ein, schon gar nicht wenn eine Entführung im Spiel ist.
Ich sehe Nathes suchendem Blick nach einer Lösung für das Ganze, obwohl er noch nicht mal den Grund kennt. Der Entführer muss in das Auto eingebrochen sein als Nathe im Haus bei uns war. Hätte er nur das Auto gewollt, müsste er jetzt keine Entführung planen und wir wären schon tot. Der Fakt, dass er droht mich umzubringen, beweist, dass es hier um Nathe gehen muss. Aber das scheint Silver auch schon verstanden zu haben.
„Lass mich hier anhalten und Caitlin aussteigen.", bittet Nathe mit einem kurzen Blick auf mich.
„Damit sie zu den Bullen rennt?", kommt es lachend von der Rückbank.
„Wer würde einem Mädchen aus den Slums glauben schenken?", versucht es Nathe weiter, obwohl mich der Satz verletzt.
„Links!", kommandiert Skimaske streng ohne auf Forderung einzugehen. Nathe setzt den Blinker und biegt langsam um die Kreuzung. Die Gegend wird immer Ländlicher. Große Felder und Wiesen, vereinzelte Fabriken. Wo bringt er uns hin?
„Fahr schneller, oder soll ich der Süßen schon mal ein Vorgeschmack geben?" Ich spüre die Pistole hinter meiner Ohrmuschel sitzen.
Ganz ruhig, nicht bewegen, ruhig Atmen. Es bringt niemandem was, wenn du jetzt in Panik verfällst.
Widerwillig tritt Nathe auf Gaspedal. Meine Chancen aus dem fahrenden Auto zu springen, schwinden dahin.
Skimaske leitet das Auto in ein Waldstück. Es wirkt fast wahllos wie er uns navigiert. Mal rechts, mal links, mal schräg links. Ich verliere vollkommen den Überblick. Wir begegnen auch keinem einzigen Menschen hier. Der Laubwald wird von einem Nadelwald abgelöst, welcher weniger Sonnenlicht durchsickern lässt.
„Anhalten!"
Der schwarze BMW kommt zum Stehen. Auf meinem Schoß landen zwei Kabelbinder. „Fessel ihn. Hände so, dass ich sie sehen kann."
Zitternd nehme ich eins. Nathe versucht keine halsbrecherische Aktionen zu machen, zu sehr Respekt hat er von der Pistole an meiner Schläfe. Er streckt mir aufmunternd seine Hände entgegen, aber die Sorge in seinen Augen kann nicht mal Nathe verbergen.
„Alles gut, Swany."
Bei der Erwähnung meines Spitznamens schniefe ich dankbar für seine Bemühung mich aufzumuntern bevor ich den Kabelbinder vorsichtig zuziehe.
„Nicht so locker!" Der Entführer entreißt mir Nathes  Hände und zieht am Ende mit Kraft daran, sodass sich die Fesseln in die Haut reinziehen. Nathe versucht sich den Schmerz nicht ansehen zu lassen, was ihm auch fast gelingt. Zu Gut trainiert wurde er von seinem Vater dafür.
„Jetzt bei ihr!"
Ich arbeite mich selbst in die Kabelbinder rein, damit Nathe sie nur noch zuziehen muss. Dieser zieht sie fest zu, bevor der Entführer selbst Hand anlegen muss.
„Aussteigen!"

Der Wald duftet nach Tannennadeln. Vielleicht ist es das Letzte, was ich jemals riechen werde. Es ist leicht in einen wenig befahrenen Waldteil zwei Leichen zu verschwanzen.
Aber das hat unser Entführer nicht vor. Viel mehr drängt er uns zum weiterlaufen. Hätte er uns umbringen wollen, hätte er das schon getan, wenn nicht sogar schon bei mir Zuhause. Ein unaufgeklärter Mord ist nichts ungewöhnliches in den Slums.
Hinter einem Baum kommt ein vermummter Mann mit gezogener Pistole. Meine Hoffnung verfliegt, dass er auf unserer Seite ist, als er sich schweigend zu dem Entführer gesellt.
Jetzt ist weglaufen erst recht sinnlos.
Der Wald lichtet sich, auf einer großen Lichtung erscheint ein altes Bauernhaus. Es muss schon lange verlassen sein. Das Dach ist an manchen Stellen nicht mehr vorhanden und auch Teile der Fenster nicht. Nebenan ist ein genauso brüchiger Stall auf den wir gelenkt werden.
Nathe hat bis jetzt kein einziges Wort von sich gegeben. Als wir auf das Haus zusteuern, stemmt er die Füße in den Boden, wird jedoch von beiden Männern gnadenlos mitgezerrt. Ein dritter Mann öffnet die Türe bevor wir überhaupt davor stehen und verschließt sie gleich wieder, kaum dass wir alle im Raum stehen. Diese Entführung muss schon länger geplant sein wenn so viele Menschen mit im Spiel sind.
Ein Tuch wird vor meine Augen gebunden, sodass ich mir die neue Umgebung nicht ansehen kann. Das selbe scheinen sie auch bei Nathe zu versuchen, der sich hörbar gegen sie wehrt.
„In einem fairen Kampf würde ich euch fertig machen, ihr verdammten Bastarde."
Ein lautes Schnalzen mit der Zunge lässt uns beide zusammenfahren. „Na na na, Kleiner, solche Kraftausdrücke sind in feinen Gesellschaft nicht erwünscht." Wir werden auf die Knie gezwungen. „Und wenn ich mich recht erinnere, dann bist du der einzige Bastard in diesem Raum." Die Stimme des Mannes klingt schon älter und dazu noch rauchig, dennoch hoch und nasal.
„Richie!"
Nathe scheint ihn zu kennen.
Der Mann lacht rau. „Ich wusste doch, dass du dich an mich erinnern kannst."
„Was soll der Scheiß hier?!"
„Ich hab dich einfach vermisst, Kleiner." Der Knoten um meine Augenbinde wird gelöst, und schon bekomme ich freie Sicht auf einen riesigen aber schlaksigen Mann Ende 50. Seine grauen Haare sind kurz geschoren, ungepflegte Bartstoppeln zieren sein Gesicht. „Und ich dachte mir, hey, wie wäre es, deinen alten Herren ein wenig leiden zu lassen und etwas Geld aus seiner Tasche zu ziehen. Davon habt ihr ja wirklich mehr als genug."
„Lösegeld?" Nathe beginnt ironisch zu lachen. „Oh Richi! Du kennst meinen alten Herrn doch. Glaubst du wirklich, er würde für mich Geld zahlen?"
Richi greift mit einer Hand in Nathes Gesicht und zwingt ihn ihm in die Augen zu schauen. „Ja, ich weiß, dein Dady ist ein verdammter Arsch. Aber glaub mir, selbst du bedeutest ihm etwas."
Ein Schwall von Spucke landet im dem Gesicht des alten Mannes.
Drohend langsam wischt sich Richi die Spucke weg. Das Grinsen darauf hin ist unheimlich. „Du hast immer noch so viel Feuer wie früher. Schön zu sehen, dass der Alte dich nicht klein bekommen konnte. In den Stall!"
Sofort ergreifen uns seine Handlanger und ziehen uns auf die Beine.
„Das wird nicht funktionieren.", Nathe stemmt erneut die Füße in den Boden.
Ein grausames Lächeln legt sich auf das Gesicht von Richi. „Keine Sorge, Kleiner, ich hatte im Bau genug Zeit um mir den perfekten Plan auszudenken."

Sie zerren uns durch die Hintertür in eine Scheune. Die einzelnen Ställe sind mit Eisenstäben voneinander getrennt. Ich werde in einen davon gestoßen, Nathe in den neben mir. An einem Metallring an der Wand hängt eine lange rostige Eisenkette, die zu meinen Armen geführt wird. Handschellen sind an dem Ende der Kette anmontiert worden, welche sich kalt um meine Handgelenke legen. Der Kabelbinder wird mit einem Messer durchtrennt. Dann landet eine Decke neben mir, bevor der Stall zugeschlossen wird. Durch die Gitterstäbe sehe ich Nathe, der ebenso an einen Kette gebunden ist, allerdings sehr viel kürzer als meine. Seine Händen berühren nicht einmal den Boden und hängen über seinem Kopf. Auch bei ihm landet eine Decke, bevor die Handlanger von Richi den Stall absperren und verlassen.
Das muss doch ein schlechter Traum sein. Wütend ziehe ich an den Fesseln, die sich nur in meine Haut reinbeißen. Nathe stemmt die Beine gegen die Wand und lehnt sich mit seinem Körpergewicht gegen die Fesseln. Nichts. Der Metallring bewegt sich nicht einen Millimeter.
Trotzdem versucht er es immer wieder.
„Vergiss es Nathan.", flüstere ich heiser. „Es ist zwecklos."
Seine grünen Augen landen entschuldigend auf mir. „Es tut mir leid, Caitlin."
Eine Entschuldigung und meinen echten Namen in einem Satz von Nathan Silver? Er hat Mist gebaut. Großen Mist!

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