Kapitel 26 ⚠️ Gewalt

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Den ganzen Tag hab ich alles dafür getan, um nicht mehr unter die Silvers zu kommen. Ich fühle mich zwar schlecht, Nathe alleine zu lassen, aber ich bringe nicht die Kraft bei ihnen zu bleiben, also habe ich mich aus dem Grund, dass ich noch putzen müsse verabschiedet.
Ich glaub, das Haus war noch nie so sauber. Außerdem hatte ich somit genug Zeit, über die ganze Sache nachzudenken und einen Ausweg zu suchen. Aber, finde mal einen Ausweg aus einer Zwangsbeziehung.
Gegen 19 Uhr ist Ruhe im Haus, der Besuch ist weg und die Kinder sind in ihren Zimmer. Nachdem Berta und ich das ganze Essen, das natürlich nicht gegessen wurde, eingepackt und eingefroren haben, schleiche ich mich die Treppen hoch und klopfte an Nathes Zimmer, bevor ich reingehe.
Wie vor ein paar Stunden sitzt er an seinen Schreibtisch vor den Medizinbücher und hört Musik, nur dieses Mal wippt sein Fuß nicht im Takt der Musik, sondern nervös hoch und runter. Wie am ersten Tag im Musik Unterricht. Solche nervigen Bewegungen machen mich fuchsig, aber dieses Mal kann ich es verstehen.
Ich gehe zu ihm und kraule ihn am Hinterkopf. Ohne panische Umdrehen weiß er sofort wer da ist, und legt seinen Kopf leicht nach hinten. Keine Ahnung, wie lange er schon lernt, aber sein Blatt vor ihm ist unbeschrieben. Zu viel muss gerade in ihm vorgehen.
Eine Weile stehen wir nur da, er mit Musik im Ohr und ich graulend an seinem Hinterkopf. Wir beide scheinen völlig in unserer Gedankenwelt zu sein, und trotzdem denken wir über das selbe nach.
„Vielleicht bin ich morgen krank bei der Klausur.", unterbricht Nathe mit lautem Überlegen das Schweigen, und nimmt die Kopfhörer raus.
„Ja...", flüstere ich mit rauer Stimme. „Vielleicht..."
Mit durchdringendem Blick schauen mich seine grünen Augen an und versuchen aus mir schlau zu werden, als wäre ich diejenige, die von ihren Eltern zu einer Beziehung gezwungen wird.
„Du machst dir Sorgen.", schließt er aus seiner Beobachtung. Ironisch lache ich leise auf.
„Du dir etwa nicht?"
Sein Blick weicht meiner Frage aus, dennoch ist es Antwort genug. Es ist ihm nicht egal, was seine Eltern mit seinem Leben machen. Aber so wie ich Nathe kenne, will er erst mal nicht über seine Gefühle reden, bis er sich selbst im Klaren über seine Gedanken ist.
Also versuche ich das Thema umzulenken. „Du wirst morgen Anatomie schreiben. Ich helfe dir beim lernen."
Fragend zieht sich seine buschige Augenbraue unter die Lockenhaare, die in seiner Stirn hängen. „ Das ist immer noch 12 - Klässler Stoff, Swany. Überschätzt dich mal nicht."
Da ist er wieder. Der arrogante, selbstgefällige Arsch, in den ich mich irgendwie verliebt habe. Dieser taucht nur auf, wenn er innerlich zu viel zum kämpfen hat und es auf keinen Fall teilen möchte. So weit kenne ich ihn schon.
„Ich hab so einiges drauf, Silver."
Ich ziehe mir seinen Sessel aus der Ecke zum Schreibtisch, schnappe mir sein Buch und schaue mir die aufgeschlagenen Seiten an. Lass dir nicht anmerken, dass du noch weniger verstehst als er.
Ich kann aus dem Augenwinkel sein selbstgefälliges Schmunzeln sehen, dass sich über mich lustig macht.
Konzentrier dich Cat. Das kann doch nicht so schwer sein.
Also, fangen wir an. Hier ist eine Frau mit Bluthochdruck. Was rätst du ihr für weitere Untersuchungen?"
Nathe seufzt verzweifelt und fährt sich durch die Haare. „ Zu chillen und einen Joint zu rauchen?"
„Vielleicht verschreibst du ihr was kardioproduktives." Als fragend seine Augendbraue nach oben geht, führe ich weiter aus. „Das ist für das Organ, dass du nicht kennst, das Herz."

Nach stundenlangem üben, lernen, Videos anschauen und verzweifeln, beschließen wir eine Pause zu machen. Nathe ist runter in die Küche um uns was zum trinken zu holen, also habe ich kurz Zeit mein Handy zu checken. Meine Mutter hat angerufen vor ein paar Stunden und Feli möchte wissen, ob das Haus der Silvers noch steht. Ich hätte auf sie hören und den Besuch heute nicht auf die leichte Schulter nehmen sollen. Familienbeziehungen sind in dieser Welt deutlich komplizierter als in meiner.
Aus dem Flur höre ich zwei tiefe Stimmen, die mich zusammenfahren lassen. Dann Treppenlaufen nach oben. Nathe und Victor. Fuck, wenn er mich hier drinnen sieht, dann ist alles vorbei.
Ich springe auf und renne zum begehbaren Kleiderschrank, indem Nathe zum ersten Mal mit mir im Haus geredet hat. Leise ziehe ich die Türen zu, bis nur noch durch ein Spalt Licht fällt und ich das Zimmer ein wenig in Blick habe. Erst als die zwei Näher kommen übertönen die Stimmen mein vor Angst lautschlagendes Herz.
„... ist eine wunderbare Partie für dich.", höre ich Victor.
„Du wirst nicht entscheiden, mit wem ich zusammen Lebe, Vic. Du bist doch Krank!"
Ein Schlag ertönt durch die Gänge. Wut sammelt sich in mir. Er kann es einfach nicht begreifen, das man Diskussionen über Kommunikation austragen soll.
„Wie redest du mit deinem Vater?" Mr. Silvers Stimme ist nur noch ein gefährliches Zischen.
Bitte Nathe, sag einfach nichts mehr und lass es gut sein. Bitte, bitte bitte, flehe ich innerlich.
Aber schon als Nathe verächtlich auflacht, verfliegen all meine Gebete ins nichts.
„Das Letzte was du für mich bist, ist ein Vater, Victor Silver."
In mir zieht sich alles zusammen und ich kneife meine Augen zu, obwohl ich eh nicht sehen kann, was gleich passiert. Es ist, wie wenn ich selbst vor Mr. Silver stehen würde.
Aber es passiert nichts. Kein Schlag, kein Kampfgeräusch, nichts geht kaputt. Ich höre absolut nichts.
Kurz Zweifel ich, ob ich womöglich mein Hörvermögen verloren habe oder aus Angst jeglichen Geräusche ausblende.
„Zwei Gläser Wasser, du musst ja einen krassen Durst haben... warum nimmst du keine Wasserkaraffe? Caitlin ist in deinem Zimmer, hab ich recht?"
Und das ist sie. Die Ruhe vor dem Sturm.
Ich höre wie die Zimmertüre aufgeht und sehe durch den Spalt wie Nathes Vater sich im Zimmer umschaut. Sein Blick landet schlussendlich seelenruhig auf der Schranktüre, hinter der ich mich verstecke. Hinter Nathes Pokerface kann ich einen Schimmer der Angst sehen, was natürlich sein Vater nicht übersieht.
„Die Liebe macht es einem schwer, das Pokerface zu bewahren, Nathan. Du hast noch so viel zu lernen! Aber das bring ich dir alles bei, wenn du für mich arbeitest! "
Nathe stellt die Gläser auf seinem Schreibtisch ab und stellt sich belustigt, aber mit verschränkten Armen vor seinen Vater.
„Erstens, bin ich der Letzte, der für dich arbeiten wird und zweitens, wollte Brendt noch zum lernen vorbei kommen, also habe ich gleich zwei Gläser mitgebracht."
„Oh Nathan, ich wünschte, du würdest einmal deinen Mann stehen und nicht lügen müssen."
Auf einmal wird Nathe gepackt und wirft mit Wucht auf dem Boden, sodass ich mir eine Hand vor den Mund schlagen muss, um nicht laut aufzuschreien. Mit geübten Griffen hält Victor beide Arme von seinem Sohn auf den Rücken gedreht und seine Knie auf seinen Schenkeln, die dafür Sorgen, dass sein Opfer sich nicht mehr bewegen kann.
„Sag mir, dass Caitlin hinter dieser Türe ist!", zischt er Nathe ins Ohr, der mit aller Kraft versucht, seinen Vater von sich herunter zu bekommen.
Der verstärkt jedoch nur seinen Griff und zieht beide Arme noch mehr Richtung Hals.
„Sag mir, dass Caitlin Swan hinter dieser Türe ist!", wiederholt er drohend langsam seine Aussage. Ich sehe, wie Nathe versucht seinen Kopf vor mir zu verbergen, aber alleine vom zuschauen kann ich mir nur vorstellen, wieviele Schmerzen er haben muss.
Als Victor Nathes Hände mit einer Hand festhält und mit der anderen in seine Haare greift um seinen Kopf zu sich zu ziehen, kann er ein schmerzhaftes Stöhnen nicht mehr unterdrücken.
„Komm schon Nathe!", säuselt Victor heuchlerisch. „Sag es."
Durch den kleinen Spalt kann ich Nathes Gesicht sehen. Ich sehe den Schmerz, den er spürt, die Angst, dass mir was passiert, den Scham, sich nicht wehren zu können. Aber am deutlichsten sehe ich seinen Stolz und seinen Trotz. Seinen Kampfgeist kann Victor nicht bezwingen.
Aber er kann versuchen ihn zu brechen. Mit Wucht landet Nathes Kopf auf dem Teppichboden und wieder einmal muss ich mich zusammenreißen um nicht laut aufzuschreien oder zu ihm zu rennen. Wieder einmal sitze ich im Verborgenen, feige und ängstlich und sehe zu, wie ein Vater seinen eigenen Sohn misshandelt.
„Dieser unstillbare Kampfgeist in dir...Vielleicht sollte ich dein Gesicht verunstalten, dann würdest du mich nicht mehr an sie erinnern.", schreit Victor ihn an und wiederholt den Kopfstoß auf den Boden. Nathes Augen versuchen im Raum einen Halt zu finde, da seine Welt sich gerade zu schnell dreht.
„Du bist genauso stur wie deine Mutter es gewesen ist.", noch einmal greift Victor in die Lockenhaare und zieht ihn zu sich ran. „Diese Augen, voller Trotz und Sturheit. Das Einzige was das brechen kann, ist Liebe."
Der eiskalte Blick des Mannes richtet sich auf die Schranktüren.

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