Erst als ich aus dem Ferrari steige fällt mir der hellblaue Porsche auf, der vor der Garage parkt. Entweder hat Victor ein neues Auto oder der Besitzer dieses Autos ist der Grund, warum wir schnell nach Hause kommen sollten. So oder so gebe ich dem Auto die Schuld für das frühe Aufbrechen aus den Slums.
Alfred öffnet uns die Türe, in seinem Gesicht sind Sorgenfalten zu sehen. Er nimmt Nathe die Jacke ab und flüstert. „Mr. Silver, wo haben sie gesteckt. Miss Sofie und ihr Vater warten auf sie im Wohnzimmer."
Mit aufgesetztem Pokerface läuft Nathe in das Wohnzimmer, ich direkt hinter ihm. Auf einem der weißen Sofas entdecke ich die aschblonde Eiskönigin, mit der Nathe zusammen kommen soll um die Ehre der Familie wieder herzustellen.
„Nathan, da bist du ja endlich." Victor nimmt sein Whiskyglas in die Hand und steht auf. „Da wartet jemand schon seit einer halben Stunde auf dich."
Sophie dreht den Kopf und zwinkert Nathe an. „Hallo Hübscher." Ihre blonden gelockten Haare fallen ihr perfekt über die Schulter und ihre blauen Silveraugen werden von ihrem MakeUp besonders hervorgehoben. Sie sieht echt gut aus.
Ich könnte im Strahl kotzen. Umso mehr freue ich mich über Nathes Reaktion, denn mehr als ein Nicken bekommt sie nicht von ihm.
„Wo warst du? Sophie hat mir gesagt, ihr habt euch für heute 17 Uhr verabredet, weil du bis 16:30 Uhr noch Schule hast."
Die zwei haben sich verabredet? Davon hat Nathe mir nichts gesagt.
„Die Mittagschule ist ausgefallen und ich habe Cait einen Gefallen geschuldet."
Ich war mir nicht sicher, ob Nathe wirklich die „ehrliche Schiene" fahren wird, aber jetzt ist es zu spät. Hiermit hat er unser Grab geschaufelt. Victors letzte Drohung, mich aus dem Haus zu werfen, wenn ich seinem Sohn zu Nahe komme geht mir wie ein Stromschlag durch den Kopf.
„Ich schätze es, dass du Gefallen einlöst, aber dafür deine zukünftige Verlobte sitzen zu lassen ist definitiv die falsche Priorität.", ermahnt Victor seinen Sohn und leert danach sein Glas. „Ich denke, ihr zwei habt viel zu bereden."
Mit diesen Worten drängt Mr. Silver mich aus dem Wohnzimmer und zieht hinter sich die Türe zu. Nathe wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, als wäre es seine Schuld mit einer Frau in einem Raum zu sein, die irgendwie mit ihm verwandt ist aber auch gleichzeitig seine zukünftige Frau sein soll.
Mein Plan schnell in die Küche zu flüchten geht leider nicht auf.
„Caitlin." Mr. Silvers Stimme klingt bedingungslos ernst. Langsam drehe ich mich um. Ich kann auf seinem Gesicht so etwas wie bedauern sehen. „Es tut mir sehr leid für dich. Aber wir hatten eine Abmachung, falls du dich dran erinnerst."
Wie könnte ich das vergessen... nun ist es also soweit.
Mein Herz schlägt plötzlich sehr schnell. Ich muss die Villa verlassen. Ich muss Nathe hier alleine lassen und zurück zu meinen Eltern, jeden Tag 4 Stunden Schulweg auf mich nehmen und hoffen, dass ich von den Silvers die Schulgebühren weiterhin bezahlt bekomme. Und das alles wegen einem Satz zu viel von Nathe.
Ich versuche die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich sollte mich jetzt nicht schwach zeigen. Aber auch in Victors Gesicht spiegelt sich Trauer.
„Es tut mir leid", sagt er noch ein letztes Mal, bevor er sich an Alfred wendet, der mit offenem Mund am Kücheneingang steht. „Sehen sie zu, dass Sie bis heute Abend alles gepackt hat. Das war ihr letzter Tag bei uns."Mit aller Kraft schleppe ich meine vollgepackten Koffer die steinernde Treppe hinunter. Jeder Schritt tut mir im Herzen weh. Unten verabschiedet sich gerade Sofie von Nathe mit einem Kuss auf die Wange, jedoch nicht ohne mir dabei einen teuflischen Blick zuzuwerfen. Alfred kommt die Treppe hochgeeilt um mir mit dem Koffer zu helfen. Gott sei Dank kann keiner mir ansehen, wie viel Wut und Trauer in mir brodelt, da meine Sonnenbrille meine verweinten Augen verdeckt.
„Cait, was....?", beginnt Nathe fragend und wendet sich von Sofies Umarmung ab.
„Miss Swan ist hier nicht länger erwünscht.", beantwortet ihm eine Stimme aus dem Off seine Frage. Mit verschränkten Armen steht Victor vor seinem Büro und verfolgt das Spektakel.
„Victor, du kannst nicht...", beginnt Nathe, wird jedoch kläglich unterbrochen.
„Doch, ich kann!" Victors Stimme ist nicht lauter als Nathes, dennoch scheint sie gerade durch die Eingangshalle zu donnern.
„Ich werde dann mal gehen", versucht Sofie wieder Nathes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, was ihr allerdings nicht gelingt. Zu sehr werfen sich Vater und Sohn böse Blicke zu, als würden sie so miteinander kommunizieren.
Alfred stellt meinen Koffer ab und begleitet Sofie nach draußen. Und wie immer kann ich es nicht lassen mich in Nathes und Victors Angelegenheiten einzumischen.
„Nathe, lass es gut sein" Sanft lege ich eine Hand auf seine Brust. Mein Versuch ihn zu beruhigen, scheitert kläglich. Er schenkt mir nicht mal eine Sekunde seiner Aufmerksamkeit. Stattdessen dreht er sich von mir weg und geht auf seinen Vater zu.
„Was muss ich tun!?"
Victor schüttelt den Kopf und verschränkt seine Arme vor der Brust. „Vergiss es Nathan, dafür ist es zu spät. Du kanntest die Risiken, jetzt musst du auch zu deiner Entscheidung stehen und die Konsequenzen spüren. Ich hoffe, Caitlin findet schnell neue finanzielle Unterstützer, welche die Schulgebühren bezahlen können." Der Herr des Hauses läuft an mir vorbei und nimmt den Koffer hoch.
„Caitlin, wir fahren!"
Was? Er will mich persönlich in die Slums fahren? Ich werde nicht mit Victor alleine in ein Auto steigen! Niemals!
Genau das muss mein Gesicht zeigen, denn er fügt noch hinzu. „Nathan wird uns begleiten."Langsam rollt der VW über die weißen Kieselsteine. Zwischen den Kirschbäumen kann ich Freddys rote Gartenjacke erkennen. Von ihm konnte ich mich nicht mal verabschieden. Auch nicht von Ivona, Maxi und vor allem Sally und Berta. Bei dem Gedanken die deutsche Köchin in ihrer Schürze nie wieder zu sehen steigen mir die Tränen in die Augen. Ich bin froh, dass ich auf der Rückbank sitze und mich keiner sehen kann. Stumme Tränen laufen mir über die Wange und verschwimmen mein letztes Bild von der Villa, bevor die schweren Eisentore sich schließen.
Nathes Kopf ist zum Fenster gedreht. Ich sehe das Kauen auf seiner Unterlippe. Das nervöse auf und ab seines Beines.
Wie konnten wir es so weit kommen lassen? Wieso hab ich nicht mal versucht von Nathe Abstand zu gewinnen, als Victor uns erwischt und mit meinem Rausschmiss gedroht hat? Was werden meine Eltern sagen? Jetzt haben sie ein Kind mehr, dass mit Essen und Energie versorgt werden muss. Zu dem noch die Schulkosten, welche die Silvers nicht mehr übernehmen... mein Traum Ärztin zu werden verblasst vor meinem inneren Auge.
Victors Pranke fällt auf Nathes Knie. „Nervös?"
Mehr als ein verächtliches Schnauben bekommt sein Vater nicht als Antwort.
„Tu nicht so als wäre es meine Schuld, Nathan. Du kanntest die Regeln. Und leider muss man dir immer wieder zeigen, wo dein Platz ist."
„Also darum geht es dir? Mir zu zeigen, dass du über mir stehst? Verdammt Vic, okay, cool, du hast gewonnen. Ist es das, was du hören willst?"
Mr. Silver löst seine Hand und umklammert das Steuer. „Wie kann man nur so unglaublich stur sein!", schimpft er. „ Das Einzige, was ich von dir möchte, ist, dass du deinen Abschluss mit Bestnoten absolvierst, eine Führungsposition in meiner Firma übernimmst und Sofie heiratest."
„Okay!" Dieses Wort hängt ein paar Sekunden in der Luft, Nathes Blick aber liegt voller Ernst auf seinem Vater. „Okay, Victor, ich mach das. Das alles. Aber lass Caitlin bei uns wohnen, bis zu ihrem Abschluss!"
„Nathe.", werfe ich ein. „Du kannst nicht..."
Auf einmal bremst der VW in Sekundenschnelle ab und wir bleiben mitten auf der Straße stehen. Victor dreht sich zu Nathe und beide schauen sich ernst in die Augen. Wieder ein paar Sekunden völliger Stille.
„Du wirst den Tracker aus der Firma tragen.", beschließt Victor, wobei Nathe ihm ins Wort fällt.
„Das ist nur für..."
„Wir haben es umfunktioniert!"
Ich hab zwar keine Ahnung worum es geht, aber bevor ich was einwerfen kann, streckt Nathe seine Hand aus und schlägt in Victors ein. Somit gibt er jegliche Kontrolle in die Hände seines Vaters ab.
Im großen Bogen wendet Victor das Auto und fährt den Weg zurück den wir gekommen sind. Ich bin völlig perplex um zu realisieren, dass ich weiter bei den Silvers wohnen kann und auch die Medizin ohne Geldprobleme weiterhin besuchen kann. Für mich ändert sich nichts. Für Nathe ändert sich alles.
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An deiner Seite
Romance„Du schuldest mir einen Gefallen." Verständnislos lache ich auf: „Man kann sich also nicht mal mehr untereinander helfen, ohne einen Hintergedanken zu haben?!" Nathan Silver kommt schmunzelnd auf mich zu und raunt mir mit rauer Stimme ins Ohr „Willk...