Kapitel 8 (erste normale Konversation zwischen C & N)

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„Warum versteckst du dich hinter der Türe?"
Nathes Stimme lässt mich erleichtert aufatmen. Vorsichtig trete ich hinter meinem Versteck hervor.
„Man, ich dachte du bist ein Einbrecher."
Sein Blick fällt auf die Nagelschere in meine Hand und er kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Und du wolltest dich so verteidigen? Dachtest du, dass Verbrecher erst nach einer Maniküre wieder gehen?"
„Ich war in Panik", versuche ich mich zu rechtfertigen und lege die Nagelschere an ihren Platz. In den Slums ist es nicht unüblich, dass nachts eingebrochen wird.
„Dieses Haus hat über 5 Alarmanlagen. Da schafft es kaum einer rein noch raus.",  belehrt Nathe mich eines Besseren und mustert mich von oben bis unten.
Erst jetzt fällt mir ein, dass ich ja nur das Handtuch anhabe. Peinlich berührt gehe in zu meinem Kleiderschrank um mir passende Sachen heraus zu suchen.
„Kannst du bitte gehen, ich möchte mir was anziehen!?", frage ich mit einem genervten Unterton, während ich mir eine Schlafhose und ein Basic weißes T–Shirt rausziehe.
Nathe stellt sich an das Bücher Regal und murmelt: „Ich schau dir schon nichts weg."
Arschloch, denke ich und verziehe mich ins Bad zum umziehen. Ich säubere die Dusche und putze mir die Zähne, während ich wie verrückt überlege, warum er in meinem Zimmer ist. Ich lass mir hier drin einfach ganz viel Zeit, dann wird er schon irgendwann verstehen, dass ich ihn her nicht haben will, schon gar nicht nachdem er mich so blöd angemotzt hat.
Ich muss mich nach einigen Minuten des Wartens redlich überwinden aus dem Bad heraus zu kommen. Unverändert steht er noch am Bücherregal und hält eines meiner Lieblingsbücher in der Hand.
„Stolz und Vorurteil... gutes Buch."
„Du liest so etwas?", frage ich überrascht.
„Ich mag solche Bücher. Da hatten die Frauen wenigstens noch Biss."
„Ach komm, euch Typen ist das doch viel zu anstrengend. Ihr habt es doch eh lieber wenn ihr ein kleines, braves Mädchen habt, das für euch im Viereck springt."
„Mir reicht es, wenn sie für mich im Kreis rennt."
Ich kann mir ein kurzes Grinsen nicht verkneifen
„ Ich muss dich um zwei Gefallen bitten, die du für meine Familie machen musst", schwenkt Nathe plötzlich das Thema um „Aber ohne neugierige Fragen zu stellen."
Okay, das wird langsam gruselig. Muss ich der Mafia beitreten, jemanden entführen oder einen Mord vertuschen? Bitte keinen Mord vertuschen, Lügen ist nicht wirklich meine Stärke. Und ermorden natürlich auch nicht!
„Erst mal musst du mir einen Splitter aus meinem Rücken entfernen, den ich nicht rausbekomme."
Erleichtert atme ich auf. Wenn es nur darum geht, kein Problem.
Von wegen kein Problem, Nathe zieht sich wieder Oberkörperfrei aus. Und ich muss mich meinem Problem stellen, dass ich Blut sehen muss.
Heute Mittag hat sich mein Blick hauptsächlich auf seine Muskeln und Hautfarbe beschränkt, jetzt liegt sie auf den Blutergüssen und Schrammen. An seiner linken Rippe zieht sich ein langer Bluterguss der sich fast bis nach hinten zum Rücken durchzieht, der mit Kratzern und leichten Schnittwunden übersät ist. Das Meiste muss von der Auseinandersetzung vorher kommen.
„ Jetzt wäre eine Nagelschere angebracht", witzelt er, wobei ich die Situation alles anders als amüsant finde.
Ich kann mir echt schöneres vorstellen, als abends in meinem Bett in blutigen Wunden herumzubohren.
Meine Hand zittert leicht als ich die Nagelschere benutze, um einzelne kleine Splitter  der Vase aus den Schulterblätterbereich zu holen. Dabei rutscht mir die Spitze der Schere von ab in sein Fleisch rein.
Nathe zieht scharf die Luft ein. „Verdammt, bleib locker."
„Ich bin total locker", versuch ich mehr mich selbst als ihn zu überzeugen.
Jetzt kommt wahrscheinlich gleich so ein Satz wie: und du willst wirklich Ärztin werden?
Aber wieder ein Mal überrascht mich Nathe Silver. Ich spüre seine Hand auf meiner.
„Weißt du noch, was dein erster Satz zu mir war? Ob ich nicht mal cool bleiben kann. Lass uns der alten Cat beweisen, wie cool wir blieben können, okay? Ein und ausatmen, wie bekommen das hin."
Völlig erstaunt über diese anderen Seite von dem geheimnisvollen, harschen Typen atme ich ihm langsam nach, ein und aus.
Meine rechte Hand wird ruhiger, auf der linken liegt immer noch seine. Sie fühlt sich warm und weich an, ich will mich gar nicht davon lösen.  
Jeder weitere Eingriff meiner Nagelschere in Nathes Rücken ist jetzt präzise und ruhig. Wer hätte gedacht, dass ich das mal hinbekomme? Ich würde meinen innerlichen Triumph gerne zulassen, nur hab ich Angst dass ich vor Freude unkonzentriert werde. Nach dem zweiten entfernten Splitter sehe ich, wie sich sein Rücken verspannt, als ich erneut mit der Nagelschere zur letzen, großen Einstichstelle gehe.
Vorsichtig streiche ich ihm über den Rücken und flüstere: „Alles gut... das ist die Letzte."
Die größte Scherbe habe ich mir für den Schluss aufbehalten. Hätte ich sie am Anfang gemacht, wäre ich sicherlich in Ohnmacht gefallen. Der Splitter ist gut 2 cm lang und steckt tiefer drin als der Rest. Ich ziehe mit etwas Gewalt daran um ihn heraus zu bekommen. Nathe gibt keinen Ton von sich, obwohl er starke Schmerzen haben muss. Seine Hände haben sich in mein Laken gekrallt, seine Atmung ist laut und unregelmäßig.
Vorsichtig lege ich die blutrote Vasenscherbe in meine Hand und entferne sie sofort in den Mülleimer.
Bin ich froh, dass ich schon weiß, was passier ist und jetzt nicht aus Neugierde ihn fragen will.
Nathe dreht sich zu mir. In seinem Gesicht ist keine Spur von Schmerz zu sehen, nur seine Fingerknöchel sind noch weiß angelaufen, vom festen Einkrallen des Bettlakens.
Dankend nickt er mir zu und strafft seinen Rücken: „ Du kannst ja doch ganz schön cool bleiben."
Ich nicke lächelnd: „Ich hab halt einen guten Lehrer."
Zum ersten Mal seit wir uns kennen, schaut er mich nicht an, um etwas von mir zu wollen, mich zu durchbohren oder mich abzuchecken. Er schaut mir mit einem leichten Schmunzeln in die Augen und offenbart mir somit ein Stück seiner Seele. Seine Augen scheinen für einen kurzen Augenblick in einem satten, tiefem grün. Feli hat recht, er muss eine verborgene, freundliche Seite an sich haben. Diese Augen lügen nicht.
Aber sie verbergen vieles. Denn sie werden auf einmal wieder emotionslos und dunkelgrün, er dreht seinen Kopf von mir weg und zieht sich sein Shirt über den Kopf.
„ Meine Zweite Bitte: Lehn das Stipendium ab, nimm die 20.000§ und hau von hier ab !"
Das schon wieder? Och man, ich dachte gerade, wir haben einen besonderen Moment. Wie kann man nur so ein Stimmungskiller sein!
Vergiss es.", gebe ich ihm kalt zurück, begebe mich ins Bad und wasche von meinen Händen sein Blut ab. Erst nutzt er mich zum operieren aus und dann will er mich aus dem Haus werfen. Das ist so typisch für das Benehmen der Reichen. Sich alles nehmen was man braucht um es dann links liegen zu lassen, wenn es nutzlos geworden ist.
„Caitlin, hör mir zu.", seine Stimme wird eindringlich. „Du hast das hier nicht verdient."
Wütend schmeiße ich das Handtuch auf den Boden, mit dem ich mir gerade die Hände abtrocknen wollte.
„Ach, ich hab das hier nicht verdient? Weil ich aus den Slums komme?", ich spüre wie die angestaute Wut nun aus mir heraussprudelt. „Jeder in den Slums hat das Leben, da ihr hier lebt tausendfach mehr verdient als ihr alle. Ihr versteckt euch hinter eurem Geld vor der Realität, während wir uns durchkämpfen müssen. Jeder einzelne..."
„Du hast etwas besseres verdient!", unterbricht er mich und hält meine Hand fest, mit der ich verärgert in der Luft herumgefuchtelt habe, wahrscheinlich aus Angst ich könnte ihn damit treffen.
Oh peinlich, völlig umsonst ausgeflippt.
Diesmal bin es ich die fragend die Augenbrauen nach oben zieht.
„Hör zu.", er lässt meine Hand los und fährt sich durch die Haare, die ihm ins Gesicht fallen. „Meine Familie ist chaotisch. Ivona ist viel Arbeiten und wenig zuhause, Sally ist auch viel in der Schule oder am Reisen, Maxi hat genug Freunde mit denen er sich ablenken kann und Victor... er hat ein Alkoholproblem. Manchmal rastet er grundlos aus, wie beim Essen heute. Das kann ganz schnell nach hinten los gehen und auch mal die falsche Person treffen. Also bitte, tu dir selber diesen Gefallen und geh solange du noch kannst."
In seinem Blick kann man die Angst und schlechte Erfahrungen nur erahnen. Ich kann mir vorstellen, dass sein sehnlichster Wunsch eine Flucht von hier ist, aber meine ist es nicht. Mein Wunsch ist mein fertiger Abschluss. Und das schaffe ich nur, wenn ich hier bleibe.
Traurig schaue ich zu Boden. „Tut mir leid Silver... ich bin kein Wunschautomat."
Nathe stellt sich aufrecht hin und wirft mir einen letzten kalten Blick zu. „So wie du aussiehst bist du auch nur an dem Süßigkeitautomaten interessiert."

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