Langsam dränge ich mich durch die Arbeitermasse, die vor den Zugtüren sich zusammenengt. Hinter mir höre ich einen Herrn laut Schimpfen, dass sie die Leute gefälligst aussteigen lassen sollen. Sonst rege ich mich auch jeden Tag darüber auf, heute muss ich allerdings darüber schmunzeln. Ich liebe das einfache Leben hier. Der Schmutz auf den Straßen, genervte Leute, müde von der Arbeit, die Straßenjungs laut grölend beim Ballspielen und die ebenso lauten Straßenverkäufer. Diese Welt hier ist die Realität. Sie ist echt. Nicht so, wie in der Medicin. Die Schüler mit ihren Designer Klamotten und eleganten Handtaschen, ihren gekünstelten Lachen und Angeberei, wer von ihren Eltern den dicksten Wagen fährt.
Ich schlendere durch den Straßenmarkt und versuche meine letzten Minuten, in denen ich die Slums mein Zuhause nennen kann zu genießen. Ich biege in die Hofeinfahrt des alten Bauernhauses, dessen Holz von den vielen Wintern schon dunkel verfärbt ist. Die Haustüre steht offen und ich höre die Stimme meiner Mutter.
„Nein, du machst die Hausaufgaben heute alleine!", weißt sie gerade einen der Zwillinge zurecht. Von hinten kann ich nicht genau erkennen ob Liam oder Maison, aber die unterschiedlich farbigen Socken verraten es mir.
„Maison, frag doch Eli ob sie die hilft.", mische ich mich von hinten ein. Ich bekomme von dem Kleinen nur einen bösen Blick zugeworfen, bevor er die knarrenden Holztreppen hinaufpoltert um sich in seinem Zimmer zu verkriechen.
Fragend schaue ich meine Mum an. Auch sie kann ihre Trauer nicht gut verstecken.
„Nimm es nicht persönlich. Er kann nur nicht verstehen, warum du gehen musst."
„Mum, ich kann auch hier bleiben, so wie..."
„Caitlin, Schatz.", unterbricht Mum mich und lächelt mich aufmunternd an, während sie mir eine Haarsträhne hinter das Ohr streicht. „Dieses Stipendium wird dir so einige Türen öffnen. Und wir hatten uns doch eigentlich schon geeinigt. Mach es uns nicht schwerer als es eh schon ist."
Ich weiß, dass sie recht hat. Ohne dem Stipendium, könnte ich nicht weiter auf der Medicin bleiben. Mein Traum Ärztin zu werden wäre dahin und dafür hab ich schon zu viel auf mich genommen. Dennoch bricht es mir das Herz meine Familie zu verlassen.
„Die Koffer sind schon im Auto.", flüstert meine Mum, aber das Zittern in ihrer Stimme kann sie nicht verhindern. Ich hab mich bereits gestern Abend von meinen Geschwistern verabschiedet, teilweise sind sie noch in der Schule oder bei der Arbeit. Die eine Träne konnte nicht mal Jeremy unterdrücken, der sonst immer härter tut als er ist. Wir hatten schon immer eine besondere Beziehung da wir vom Alter nahe beieinander sind und als große Geschwister auf das Kleingemüse aufpassen musste, wie er unsere jüngeren Geschwister gerne nennt.
Als ich ins Auto steige versuche ich den großen Knoten in meinem Hals hinunter zu schlucken. Dennoch fließt eine einzelne Träne über meine Wange als wir aus dem Hof rollen.
Es ist nur für 2 Jahre. Es ist für deinen Traum.
Die ganze Autofahrt lang versucht Mum mir Hoffnung zu machen, wie schön es ist, dass ein neues Kapitel in meinem Leben anfangen kann und welche Chancen es mir ermöglicht. So richtig höre ich ihr nicht zu. Zu viele Fragen schießen mir gleichzeitig durch den Kopf.
Ist es das wirklich alles Wert? Wie wird die neue Familie sein? Wie werden die Eltern so sein? Und die Kinder? Hoffentlich haben die keine Katze, bei meiner Allergie...
Über der Brücke, die still und heimlich die Slums von den Snops trennt, erstrecken sich riesige Hochhäuser. Diesen Anblick bin ich gewohnt, seitdem mein Zug jeden Tag auf dem Weg der Schule hier vorbei fährt. Für meine Mum, die nicht viel Einblicke in dieser reichen Welt hat, ist es ein großes Ereignis.
Noch größer werden ihre Augen, als wir das Industriegebiet verlassen und in die Wohnsiedlungen fahren. Villen reihen sich neben riesigen Anlagen und Gärten nebeneinander, doch so richtig kann man sie durch die meterhohen Mauern nicht sehen. Mauern, die alles abhalten, was nicht in diese Welt passt. So wie ich.
Hier irgendwo wohnt Feli, erinnert sich mein Orientierungssinn. Zumindest ist sie nicht weit weg, das ist ein kleiner Trost für mich.
„Nummer 4... hier ist die 5.... Diese Fenster würde ich nicht putzen wollen müssen ... 6...."
Ich bin so gefangen in meinen eigenen Gedanken, dass ich kaum mitbekomme wie der Wagen vor einer Hofeinfahrt zum stehen kommt. Hab ich mich noch gestern auf dieses neue Kapitel gefreut wäre ich jetzt bereit zu kapitulieren.
Hinter verschnörkelten Eisentor zieht sich eine lange Hofeinfahrt umgeben von gepflegten Gärten zu einem atemberaubenden, kleinen Schloss.
„Villenstraße 7. Das müsste hier sein." Das laute Scheppern des alten Benziners verstummt. „ Ich hoffe, die haben einen attraktiven und unverheirateten Sohn, an den du dich ranschmeißen kannst.", versucht Mum den letzten kläglichen Versuch mich aufzumuntern.
Ich schaffe es nicht ihr zu antworten, da ich mein Mund vor lauter Staunen nicht zu bekomme.
Das ist ein Traum. Das kann nicht real sein. Ich hatte damit gerechnet, dass meine Förderer reich sind, aber hier wohnen Millionäre, das zeigt schon der überdimensionale Springbrunnen in der Mitte der Hofeinfahrt.
„Soll ich mit rein?", kommt es vorsichtig vom Beifahrersitz. Ich schüttele mit einem kleinen Lächeln den Kopf, obwohl ich froh wäre, nicht alleine den neuen Schritt in meinem Leben gehen zu müssen.
„Danke Mum. Für alles.", sage ich aufrichtig und umarme sie.
„Alles gute mein Schatz! Ruf mich nachher an und erzähl, wie es so ist. Ach und Caitlin, Schatz ? Genieß es."

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An deiner Seite
Romance„Du schuldest mir einen Gefallen." Verständnislos lache ich auf: „Man kann sich also nicht mal mehr untereinander helfen, ohne einen Hintergedanken zu haben?!" Nathan Silver kommt schmunzelnd auf mich zu und raunt mir mit rauer Stimme ins Ohr „Willk...