Kapitel 22 Erwischt

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Als wir wieder zuhause sind, geht Nathe ohne ein Kommentar auf sein Zimmer. Ivona hat uns beide die ganze Fahrt lang gelobt und kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Zu meiner Verwunderung ist das ganze Haus wieder wie immer, als wäre gestern keine große Feier gewesen. Der Partydienst hat gute Arbeit geleistet.
Ich sammle die dreckige Wäsche im Haus ein, unter anderem meine nassen Sachen, die ich aus Nathes Rucksack geworfen hatte um sein Spray zu suchen, und begebe mich in die Waschküche.
Ich bin ganz froh über ein bisschen Ruhe hier. Beim Wäscheeinsammeln, habe ich kurz Sally gesehen, die von ihrem Kurzurlaub zurück ist und nun in einem Meeting steckt, weswegen wir noch nicht quatschen konnten.
Als ich gerade fertig bin mit Wäsche aufhängen und mich um den Blutfleck auf dem weißen Teppich im Wohnzimmer kümmern möchte, tritt mir Mr. Silver in den Weg.
Pure Panik macht sich in mir breit. Wo ist die verdammte Bratpfanne, wenn man sie braucht.
„Caitlin, hast du etwas Zeit zum reden?", er deutet auf die weißen Sofas, auf denen ich mein erstes Gespräch mit Ivona hatte. Damals habe ich Mr. Silver als freundlichen, liebevollen Vater kennengelernt.
Etwas zitterig, aber echt froh, dass er nicht mit mir kämpfen will setze ich mich ihm gegenüber.
§1 Keine Schwäche zeigen!, ruf ich mir in meinen Kopf. Ich atme bewusst ein und aus, sodass mein Puls sich senkt. Zeig ihm nicht, dass du Angst hast.
„Das heute Mittag war ein blödes Missverständnis. Nathan hat etwas sehr dummes getan, was man nicht mehr rückgängig machen kann. Das musste ich ihm klar machen."
Versucht er sich gerade zu rechtfertigen?
„Mr. Silver, bei allem Respekt, ich weiß ich sollte mich nicht einmischen! Aber in meiner Familie lösen wir Konflikte durch Kommunikation. Ich kann ihnen versichern, dass das für beide Seiten definitiv besser ist."
Ich kann sein spöttisches Lächeln hinter dem Pokerface sehen. Er faltet seine Hände ineinander und lehnt sich entspannt zurück.
„Du hast ganz recht, Caitlin, du sollst dich nicht einmischen! Nathe ist ein schwieriger Junge, der immer seine Grenzen ausprobieren will. Ihm muss man klar zeigen, wer hier der Herr im Haus ist."
„Sie wollen sich Respekt einholen durch Gewalt. So funktioniert das aber nicht!", kläre ich ihn auf, wobei ich merke, wie sehr ich mich schon wieder reinsteigere.
„Eine Tracht Prügel hat ihm noch nie geschadet. Glaub mir, ich habe mit ihm so einiges ausprobiert und das ist die effektivste Methode. Mir macht das auch keinen Spaß! "
Fassungslos schaue ich meinen Vermieter an. Doch dieser fährt unbeirrt fort: „Caitlin, ich möchte nur klar stellen, dass das kein Grund ist, zur Polizei zu gehen. Das ist Erziehung. Kontrolle. Ein Mann in meiner Position muss sich seinen Respekt verdienen."
Deswegen. Er hat Angst, dass ich zu den Bullen gehe, und das Ganze hier auffliegen lasse. Um ehrlich zu sein, habe ich schon darüber nachgedacht. Ein Kolleriker wie er müsste in Behandlung,bevor er noch mehr Schaden anrichten kann.
„Und wenn ich doch zur Polizei gehe?"
Seine blauen Augen funkeln gefährlich: „Davon würde ich dir dringend abraten", sagt er drohend. „Meine Anwälte können in weniger als 2 Minuten gute Gründe finden, warum man deinen Vater Franco Swan hinter Gitter bringen und deinen großer Bruder Jeremy ins Militär versetzten lassen könnte. Außerdem, wirst du mit der Verantwortung leben müssen, dass Maxi ohne Vater aufwachsen würde und meine Frau euer kleines Projekt die Aufmerksamkeit der Wohlhabenden auf die Slums zu lenken sofort beenden würde. Und wenn ich ins Gefängnis gehe, kannst du dich drauf verlassen, dass ich nicht ohne Nathanael gehen werde. Also sei dir über die Konsequenzen von deinem Handeln bewusst."
Oh Caitlin, du hast dir einen mächtigen Feind gemacht. Er spielt in einer Liga, in der ich niemals freiwillig mitspielen würde, hätte ich die Chance dazu. Macht, Kontrolle und Erpressung.
„Ich hoffe, wir verstehen uns", sagt er auf mein Schweigen hin. „Und jetzt entschuldige mich, ich muss mich noch um einige ungeklärte Geschäfte kümmern."
Als er den Raum verlässt, merke ich erst, wie angespannt ich bin. Erst nach ein paar Minuten in denen ich keine klaren Gedanken fassen konnte versuche vorsichtig mich um das Blut auf dem Teppich zu kümmern. Aber dafür habe ich nicht lange Zeit, denn Berta kommt, und fragt mich, ob ich ihr beim Abendessen richten helfen könnte.
In der Küche gibt es heute kaltes Abendessen, eine Wurst und Käseplatte, frisches Brot, Eier, Tomaten, Morzerella und Obstsalat. Ein ganz normales, einfaches Abendessen in diesem Haus, von dem meine 9 Köpfige Familie zuhause zwei Tage essen könnte.
Während wir die Platten mit Wurst belegen unterbricht Berta ihre Schwärmerei von ihrem Herkunftsland.
„Kindchen, ist alles okay? Du bist so still heute."
Ich nicke schnell: „Alles gut, ich denke nur über einiges nach. War ein aufregender Tag!"
Die dicke Köchin gibt sich damit zufrieden und belässt es bei meiner Schweigsamkeit.
„Du Berta, kann ich dich was fragen?", unterbreche ich irgendwann die Stille, während ich eine Banane für den Obstsalat klein schneide.
„Alles. Aber ich bin schon vergeben, wenn du das meinst!", zwinkert sie mir zu. Ich lache auf und merke, wie gut es tut wieder von Herzen zu lachen. Oh man, dieses Haus tut mir nicht gut.
„Ich... keine Ahnung wie ich es sagen soll...", beginne ich zu stottern und ärgere gleichzeitig über mich, dass ich so rumdruxe. Aber ich weiß nicht in welcher Beziehung sie zu den Borrows steht und was ich oben bedenken fragen kann.
„Geht es um Mr. Silver?", errät sie. „Alles gut, Kindchen, ich werde ihm nichts sagen und ich schwöre auf diese deutsche Weißwurst, was in der Küche besprochen wird,  bleibt in der Küche."
Wieder einmal zaubert sie mir ein Lächeln ins Gesicht. Sie ist hier wirklich die gute Seele im Haus.
„War Mr. Silver schon immer so...impulsiv?", versuche ich das aggressive, kollerische Verhalten so gut wie möglich zu umschreiben.
Berta schnappt sich einen Würfelkäse und schiebt ihn sich in den Mund bevor sie antwortet. „Ich arbeitete für ihn schon, da war Nathe noch ein Sternchen am Himmel. Nach dem Tod von Mrs. Freya Silver hat er sich sehr verändert. Er hatte Gewissensbisse, Alpträume und eine innere Wut, dass er sich nicht von ihr verabschieden konnte. Du musst wissen, seine Frau wollte damals nicht, dass er auf diese Geschäftsreise geht, weil sie kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes stand. Ich selbst war im Heimaturlaub und habe von der drastischen Verschlechterung ihres Zustandes nichts mitbekommen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass Mrs. Silver Nathe gebeten hatte nicht die Hebamme oder den Notarzt zu rufen, sie war immer anlehnend gegen Hilfe von außen. Wahrscheinlich war sie von klein auf gewohnt mit ihren Problemen alleine umzugehen. Eine wirklich taffe und starke Frau war sie, das sag ich dir. Aber hier hätte sie die Hilfe von außen mehr als nötig gehabt. Das der 10- Jährige Nathe unfähig war Mrs. Silver und das Baby zu retten, hat er ihm immer vorgeworfen. Aber eigentlich konnte er seine eigenen Gewissensbisse nicht mehr aushalten und hat sie seinem eigenen Sohn in die Schuhe geschoben. Dazu sieht der hübsche Bub noch aus wie seine Mutter."
Ich sehe wie Berta in Erinnerungen schwelgt und wie sehr sie diese Zeit mitgenommen haben muss.
„Sie muss eine wirklich besondere Frau gewesen sein."
Die Köchin nickt: „ Ganz besonders, ganz besonders...Aber sie hatte es auch schwer im Leben. Sie haben oft versucht nach Nathan noch mehr Kinder zu bekommen. Doch es hat nie funktioniert. Nach 10 Jahren war die Freude riesig, dass die Familie Silver doch noch Nachwuchs bekommt. Victor war nicht wieder zu erkennen. Eine wundervolle Zeit. Und dann hat er all sein Glück verloren, seine Frau und sein zweites Wunder... Ein Jahr nach dem Tot von Mrs Freya fand er Mrs. Borrow und hat sie geheiratet. Auch sie liebt er von ganzem Herzen. Aber die erste große Liebe vergisst man eben nie."
Langsam kann ich mir ein Bild von dem Ganzen machen, warum Mr. Silver so ist, wie er ist. Gewissensbisse, Alkohol und ständig seine verstorbene Frau in seinem Sohn zu sehen, können einen nur verrückt werden lassen.
„Und Sally?", hacke ich weiter nach, damit meine Puzzelteile zueinander finden können.
„Miss Borrow ist das Kind von Mrs. Borrow, aus erster Ehe. Sie und Mr. Silver gehen sich lieber aus dem Weg damit es zu keinen Problemen kommt."
Stumm nicke ich. Genug mit der Fragerei, bevor ich Berta noch ein Loch in den Bauch frage.
Schnell decke ich den Tisch und richte die Sachen an. Als die große Wanduhr 19 Uhr schlägt, trudeln langsam alle Familienmitglieder ein, sogar mein Lieblingsemo, den ich mit einer engen Umarmung begrüße.
„Wie wars im San Francisco?"
„Heiß", sagt sie und zwinkert mir zu. „Und wie war das Fest? Hab gehört, du bist ein kleiner Star geworden."
Peinlich berührt laufe ich rot an. An den Gedanken werde ich mich wohl gewöhnen müssen, mir graut es schon vor der Schule morgen.
„Wo bleibt Nathan!", fragt Victor und schaut sich um. Sein blaues Auge ist kaum zu übersehen, aber er scheint zu denken, er habe die Situation mir Nathe, wie auch mit mir und der Polizei völlig im Griff.
„Ich kann ihn holen", bietet Sally an und ist schon am aufstehen.
„Er hatte einen harten Tag hinter sich, er wird sich ausruhen wollen.", wirft Ivona ein und schaut ihren Mann entschuldigend an. „Es ist meine Schuld, das Shooting war lange und anstrengend."
Dafür, dass sie ihn gerade in Schutz nimmt, hätte ich sie knutschen können. Sie trägt das Herz am richtigen Fleck, auch wenn sie mich heute manipuliert hat.
Mr. Silver nickt einsichtig und Sally setzt sich wieder.
„Sally, Schatz, wie war dein Wochenende?"

Berta ist schon nach Hause gegangen, Alfred hatte nach dem Fest frei, Ivona und Victor schauen einen Film und die Kinder sind auf ihren Zimmern. Ich verräume die übrig gebliebenen Lebensmittel und putze die Küche, damit Berta das morgen nicht mehr machen muss. Eigentlich drücke ich mich nur vorm Mathelernen. Die ersten Prüfungen stehen vor der Tür und ich hab seit dem ich hier wohne kaum Zeit gehabt um für die Schule zu lernen.
„Tust du so als wärst du beschäftigt?"
Erschrocken drehe ich mich um. Diese Stimme würde ich überall wieder erkennen.
Erfreut darüber, dass er mich überrascht hat, kommt Nathe auf mich zu. Energisch werfe ich meinen Lappen nach ihm, natürlich wieder Meter daneben.
„Erschreck mich doch nicht so."
„Wenn du so schreckhaft bist", schmunzelt er und zieht mich an sich. Sein süßer Duft steigt in meine Nase und ist wie eine Droge für mich, die alle Sinne benebelt.
Als er beginnt meinen Hals zu küssen, stöhne ich leise auf und lege meinen Kopf in den Nacken. Dieser Junge bringt mich um den Verstand. Er küsst so gut. Ich hab zwar keinen Vergleich zu anderen, aber für mich ist er der beste Küsser auf der Welt.
Seine Hände wandern zu meinem Rücken und gleiten langsam nach unten während seine Küsse mich weiterhin benebeln. Gierig drehe ich seinen Kopf zu mir und beginne ihn zu küssen. So Leidenschaftlich, dass man das eher Speichelaustausch nennen könnte. Meine Hand greift in seine Haare und ich ziehe ihn näher zu mir. Ein Stöhnen kommt dieses Mal von ihm.
Plötzlich schiebt sich etwas warmes in meinen Mund. Ist er gerade einfach mit seiner Zunge in meinen Mund eingedrungen?
Sofort beende ich den Kuss und wische mir den Sabber aus dem Gesicht.
„Du kannst mir doch nicht einfach die Zunge in den Hals stecken!"
„Was treibt ihr da?"
Auch diese Stimme würde ich überall wieder erkennen.

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