Kapitel 19 (erster Kuss)

55 2 0
                                    

Seit einer halben Stunde ist der Krankenwagen schon weg und immer noch warte ich am Motorrad auf Nathe. Ich hab mir zwar geschworen nie wieder auf dem Teil zu fahren, aber meine Angst überwiegt, dass Nathe auf dem Weg nach Hause noch eine Astmaattacke bekommt. Wie lange kann man zum umziehen brauchen?
Feli hat mir geschrieben, dass sie schon nach Hause gefahren ist, da heute ihr Bruder nach Hause kommt, der irgendwas im San Francisco studiert.
Ich bin schon drauf und dran in die Jungsumkleide zu laufen, als ein frisch geduschter Nathe auf mich zuläuft und mit den Schlüsseln klimpert.
„Warten Sie auf jemanden, Miss?"
Dafür, dass er gerade Charles verprügelt und selbst auch einstecken musste ist er aber ganz schön gut gelaunt.
„Nur auf einen Idioten, nicht der Rede wert.", steige ich in seine gute Laune mit ein und ernte strahlend weiße Zähne. „Warum so gut drauf?", hinterfrage ich ihn doch noch.
„Ich hab die Chance gehabt, Charles vorerst auf die Ersatzbank zu befördern. Und er hat dann damit gedroht das Team zu verlassen."
Er drückt mir meinen Helm entgegen und zieht seinen über die frisch gewaschenen Haare und steigt auf dass Motorrad.
„Und?", hacke ich nach.
Muss man dem alles aus der Nase ziehen?
„Was denkst du denn. Jemand wie Charles ist zu stolz, als dass er nicht vorne mitspielen darf. Jetzt komm, wir machen eine Spritztour."
Ich lege es echt nicht drauf an Motorrad zu fahren, ich vertraue dem Ganzen nicht, aber ein gutgelaunter Nathe ist selten zu haben also muss ich die Möglichkeit ergreifen. Schnell ziehe ich den Helm über den Kopf, steige auf und drücke meinen Körper nahe an seinen. Ich merke wie er kurz zusammen zuckt, aber dann den Motor startet und wir losfahren. Ich kann seinen muskulösen Bauch unter dem T-Shirt spüren, da er seine Motorradjacke offen trägt. Unterbewusst drücke ich mich näher an ihn.
„Swany... nicht zu fest", beschwert er sich irgendwann. Erst dann fällt mir ein, dass sein Rücken zur Zeit nicht ganz unversehrt ist und sein Bauch vor wenigen Minuten einen Schlag abfedern musste. Auf dem Sportplatz habe ich sein Trikot gefordert und kaum wahrgenommen, dass seine Schrammen am Rücken vor der halben Schule gesehen wurden und somit auch ein Teil seines Geheimnisses. Aber er hat mir vertraut und ohne zu zögern das Wohl seines Freundes über sein Eigenes gestellt. Vielleicht ist er doch nicht so Egoistisch, wie er sich auf den ersten Blick gibt.
Je länger die Fahrt dauert, umso weniger hab ich eine Ahnung, wo wir sind. Wenn das eine Entführung wäre, würde ich nicht mal versuchen abzuhauen. Ich hab eine Orientierung wie ein Walross auf Ostereiersuche.
Wir verlassen die Stadt und fahren in die ländliche Gegend. Große Obstplantagen, Felder und Weiden mit Kühen oder Schafen. Es sieht aus wie die Slums in grün und ordentlich. Doch auch hier bleiben wir nicht, er fährt weiter Richtung Wald.
An einer Lichtung, hält er an und stellt den Motor ab. Ohne eine Erklärung zieht er seinen Kopf aus dem Helm und fährt sich durch die Haare bevor er mich die Hand reicht zum runterhelfen. Er hat echt gute Laune.
„Was wollen wir hier?"
„Schon mal Sex im Wald gehabt?"
Sofort bleib ich wie angewurzelt stehen. Ist das sein ernst? Gestern Abend erfährt er über mich, dass ich noch Jungfrau bin und heute will er mich entjungern, noch dazu im Wald?
Für wen hält er sich?
„Swany, du müsstest mal dein Gesicht sehen!", beginnt er zu lachen und nimmt mir den Motorradhelm ab.
1000 Steine fallen mir vom Herzen als ich merke, dass er nur einen Witz gemacht hat.
„Haha, sehr lustig Silver. Wirklich, sehr erwachsen."
Er legt die Helme auf sein Motorrad und streckt dann seine Hand nach mir aus. Zögernd greife ich sie worauf hin er mich in den Wald rein zieht.
„Was machen wir hier?", frage ich erneut, da mich die ganze Situation mega verunsichert. Weg von Zuhause, seine gute Laune, seine Hand, die meine berührt und führt.
„Ich will dir meinen Lieblingsort zeigen."
Im Wald? Ein alter Baum? Ein Jägerstand? Ein Rehgehege?
Meine Erwartungen werden tausendfach übertroffen, als sich der Wald lichtet und ein kleiner See zum Vorschein kommt. Das Wasser glitzert von der Reflektierung der Sonne. Es sieht aus wie auf einem Bild. Ein kleiner Steg bietet eine Anlegestelle für Boote, im Hintergrund schwimmen Enten und Schilf umrundet den See.
„Es ist... wunderschön"
Nathe lässt meine Hand los und atmet einmal tief die Luft ein.
„Hier komm ich immer her, wenn ich mal Abstand von allem brauche."
Ich kann mir vorstellen wie ihn das Leben oftmals überfordert. Zuhause, in der Schule, beim Sport, bei der Musik, beim Modeln... Ich beobachte, wie er gerade da steht, die Augen geschlossen hat und die Wärme der Sonne auf seiner braunen Haut genießt.
Ich kann das alles allerdings ganz und gar nicht genießen, weil sich zu viele Fragen in meinem Kopf auftun. Gestern Abend war er noch der Überzeugung mich aus seinem Leben ekeln zu wollen und heute zeigt er mir seinen Lieblingsplatz. Etwas kann nicht stimmen.
„Warum zeigst du mir das?"
Er öffnet ein Auge um mich kurz zu Mustern. Dann schließt er es wieder, atmet einmal tief durch und beginnt seine Jacke auszuziehen. Dann sein T-Shirt. Dann seine Hose.
Hallo?? Das war nicht die Antwort auf meine Frage! Und wenn er jetzt denkt, dass wir hier Sex haben, dann hat er sich geschnitten!
Nur mit seiner Boxershorts bekleidet geht er an den Steg und springt mit einem Kopfsprung rein. Ich kann nicht anders, als zum Steg zu laufen und ihn auftauchen zu sehen.
Etwa 10 Meter und 20 Sekunden später, taucht er auf und wischt sich das Wasser aus den Augen.
„Komm rein!", ruft er.
„Vergiss es!", rufe ich zurück, ziehe meine Schuhe aus und setze mich hin. Meine Füße baumeln im Wasser, was mir viel zu kalt ist.
„Komm rein und ich erzähl dir, warum ich dich hier hergebracht habe.", erpresst er mich und schwimmt auf mich zu. Er weiß wie neugierig ich bin und nutzt es auch noch aus.
„Du bist ein Arsch, Silver!", werfe ich ihm augenverdrehend an den Kopf, spiele ( dank meiner Neugierde) dennoch mit dem Gedanken, seiner Forderung nachzukommen. Ich hab aber definitiv die falsche Unterwäsche an. Da ich heute morgen keine Zeit hatte, hab ich noch den Tanga von der Party an. So gehe ich definitiv nicht schwimmen. Außerdem bin ich keine gute Schwimmerin.
Keine zwei Meter vor mir, spritzt er mich mit Wasser an.
„Stell dich nicht so an, Swany!"
Ich trete mit meinem Fuß eine Ladung Wasser in seine Richtung.
„Ich bin schon nass.", versucht er mir meine dumme Aktion vor Augen zu führen.
Mit einem Zug schwimmt er zu mir, packt meinen Fuß und zieht mich mit einem Ruck zu sich. Bevor ich reagieren kann umhüllt mich kaltes Wasser. Panisch strample ich und versuche nach Luft zu schnappen.
Zwei starke Arme ziehen mich nahe an Nathes Körper, der mir Halt gibt. Als ich mich etwas beruhigt habe, mich fest an ihn klammere und mir sein spöttisches Grinsen antun muss, schlage ich mit der flachen Hand auf die Wasseroberfläche, sodass ihm Wasser ins Gesicht spritzt.
„Du Arsch!"
„Kann ich ja nicht wissen, dass du nicht schwimmen kannst", lacht er und kneift die Augen zusammen.
„Du hättest nett fragen können!", kläre ich ihn auf. Er kommt aus dem reichen Viertel, ich muss ihm wohl kaum Erziehungsunterricht geben.
„Du hättest eh nein gesagt!"
„Gar nicht war!"
„Welcher Nichtschwimmer würde freiwillig Ja sagen in einen See zu springen?", kontert er und schwimmt mit mir so gut es geht Land.
Okay! Erwischt. Mehr als in der Badewanne planschen mag ich halt nicht.
Da ich jetzt schon mal im Wasser war und meine Klamotten sich vollsaugen, kann er meine Neugierde wenigstens stillen. Er schüttelt gerade das Wasser aus seinen Haaren als ich ihn frage: „Nathe, warum bin ich hier?"
Er schnappt sich seine Hose und zieht sie über die nasse Boxershorts, bevor er mir sein trockenes T-Shirt zuwirft.
„Zieh dich erst mal um, nicht, dass du dich erkältest."
Dankbar lächele ich, obwohl ich es nicht brauchen würde, hätte er mich nicht ins Wasser gezogen. Überraschender Weise dreht er sich ohne auf eine Aufforderung von mir zu warten um, damit ich meine Privatsphäre hab.
„Du lernst schnell Silver!", schmunzle ich und merke, wie mein Herz einen kleinen Freudensprung macht. Er Respektiert meine Regeln und wünsche.
Schnell ziehe ich meine nasse Hose und T-Shirt aus, ohne Angst zu haben, dass er sich umdreht. Wer hätte gedacht, dass ich mal so ein Vertrauen in Nathan Silver legen kann.
Sein schwarzes T-Shirt reicht mich knapp bis zur Mitte des Oberschenkels, aber alles wichtige ist überdeckt. Ich rieche einmal kurz an seinen Shirt. Dieser Duft bringt mich noch um den Verstand.
Ich räuspere mich als Zeichen für ihn, dass ich fertig bin.
„Nicht schlecht", kommentiert er mein Outfit. „Das hättest du gestern Abend tragen sollen"
„Da hätte ich wenigstens zur Farbauswahl gepasst", stichele ich.
Er schmunzelt, sodass seine Grübchen heraustreten. In diesen Typen muss man sich einfach in diesem Moment verlieben. Wie seine nassen Locken ihm in die Stirn fallen, seine grünen Augen seine Seele spiegeln und seine Motorradjacke offen ist, damit man seinen definierten Körper sehen kann.
„Weil du mir nicht mehr aus dem Kopf gehst.", beantwortet er mir aus dem nichts meine Frage, warum er mir diesen wunderschönen Ort zeigt. „Du gehst mir nicht mehr aus meinem Kopf, Cat. Wenn du da bist, dann kann ich nicht anders, als zu Lächeln. Weil du mich irgendwie glücklich machst. Ich liebe deine frechen Antworten, deine Neugierde, deinen Mut für deinen Traum zu kämpfen, dein gutmütiges Herz...deinen Duft. Und irgendwie sogar deine Hausschuhe."
Ich muss kurz auflachen. War ja klar, dass die noch erwähnt werden müssen. Aber ich kann nicht anders als meine Tränen so gut wie es geht zurück zu halten. Mein Herz will vor Freude auf ihn zuspringen, ihn umarmen und nie wieder loslassen. Ohne jegliche Kontrolle über meinen Körper zu haben, gehe ich auf ihn zu.
„Also hast du nur versucht mich loszuwerden, weil du mich magst, und nicht weil du mich nicht ausstehen kannst?"
Er schmunzelt leicht, als Bejahung meiner Frage.
Ich spüre wie die Luft um uns herum knistert. Wie alles unbedeutend wird, alles verschwindet, nur noch er vor mir steht. Sein markantes Gesicht, seine buschigen Augenbrauen, seine breite Unterlippe und die kleine Narbe am Hals.
Ich hab in jedem Liebesroman den Begriff > Schmetterlinge im Bauch< gelesen, aber es immer für völlig übertrieben gehalten. Aber genau das fühle ich gerade. Wie mein Bauch sich vor Freude in die Luft heben möchte. Wie er kribbelt, als wäre ich auf einer Achterbahn die nur nach unten fährt und kein Ende erreicht.
Ich spüre Nathes Hand an meinem Kinn und wie er mein Gesicht nach oben hebt.
Er streicht mir mit der anderen Hand eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Beide Hände legen sich an meine Wangen und die Daumen streichen darüber.
Meine Hände fahren zwischen die Jacke über seine nackte Brust. Ich liebe, liebe, liebe seine Muskeln. Aber noch mehr liebe ich diese Augen. So grün wie die Bäume hier. Voller Liebe. Leidenschaft und Glück.
Ich merke, wie er mir auf die Lippen starrt und nur auf ein -Go- von mir wartet. Das ist mein erster Kuss, seit dem Kindergarten. Will ich diesen Kuss wirklich Nathan Silver, den kalten, egoistischen Matcho aus der Schule schenken?
Als ich mit einem Blick auf seine Lippen ein okay für den Kuss gebe, beugt er sich langsam zu mir herunter. Ganz sanft berühren seine warmen Lippen meine. Nicht fordernd. Nicht unkontrolliert. Nur voller Zärtlichkeit.
Mein Bauch scheint zu explodieren. Jede Zelle schreit nur nach mehr. Mein Körper erzittert innerlich.
So muss sich der Himmel auf Erden anfühlen.

An deiner Seite Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt