„Mommy, mommy, ich hab eine drei plus in Mathe geschrieben."
Die Kinderstimme aus dem Wohnzimmer unterbricht die angespannte Stimmung, in der sich keiner traut auch nur das Essen zu schlucken. Das Blickduell zwischen Vater und Sohn wird beendet als ein blond-gelockter Junge aufgeregt zu dem Platz seiner Mutter rennt und ihr stolz einen Zettel vor die Nase hält. Abgesehen von seinen blonden Haaren seiner Mutter ist er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.
„Sehr gut Maxi.", lobt ihn Ivona und gibt ihm einen Kuss auf das Haar.
Mit funkelnden Augen rennt er weiter zu Nathe, der zum ersten Mal seit dem ich ihm kenne, ein Lächeln auf den Lippen hat. Ich muss zugeben, dass ihm ein Lächeln sehr gut steht. Er sieht beinahe nett aus.
„Sehr gut, Champ, ich bin stolz auf dich."
Er durchstrubbelt ihm die blonden Haare und erntet dafür leuchtende, blaue Kinderaugen. Glücklich springt Maxi jetzt auch zu seinem Vater hin, der seine geballte Faust vom Tisch zieht und den Kleinen auf seinen Schoß zieht.
„Wieso keine 1?", fragt er und nimmt den Test genau unter die Lupe. „120 geteilt durch 3, Ich bitte dich Maximilian!", fährt er leicht verärgert fort und nimmt einen großen Schluck Wein.
„Victor, bitte, eine drei ist doch super.", versucht Ivona ihren Mann zu besänftigen. Ich versuche ganz entspannt diese hitzige Situation zu umgehen und meine Suppe weiter zu essen.
„Ivona!", antwortet Mr. Silver empört. „Eine drei plus ist nur eine 2,75. Mindestens eine 1,75 sollte in einer leichten Mathearbeit in der dritten Klasse drin sein. Wenn wir jetzt schon eine zwei als gut empfinden, dann..." Victor räuspert sich und dreht sich zu mir. „Was sagst du dazu, Caitlin?"
Fast hätte ich mich an der Suppe verschluckt. Wieso muss er mich da jetzt mit rein ziehen?
„Das war sicher nur ein Denkfehler in der Arbeit... ich kann mit dir nächstes mal üben, wenn du willst, ich liebe Mateh.", biete ich Maxi freundlich an, der jetzt erst richtig bemerkt, dass hier jemand Fremder am Tisch sitzt.
„Bist du das neue Hausmädchen?", fragt er vorlaut und strahlt mich an. Man muss ihn einfach gern haben, dieses süßen Grübchen und die strahlenden blauen Augen...
Bevor ich etwas sagen kann, unterbricht mich die tiefe Stimme an der Fensterseite. „Vielleicht wäre das gar nicht schlecht...Wer hat den mit dir gelernt, Maximilian?"
Entspannt zuckt der Kleine mit den Schulter: „ Ja, Nathe halt."
Das böse Blickeduell von Vater und Sohn beginnt wieder von vorne. Es ist, wie wenn sie sich telepathisch Beschimpfen würden. Die Spannung, die Maxi mit seinem Auftritt gelockert hatte, kommt wieder zurück. Es ist so eine Spannung, dass man sich sofort unwohl fühlt, obwohl es nicht um einen selbst geht. Man könnte sie fast schon ergreifen obwohl es weniger als 2 Sekunden dauert.
Auf einmal steht Nathe auf, knallt das Besteck auf den vollen Teller und geht aus dem Esszimmer.
„Nathanael Silver, wir haben doch gesagt, bevor nicht alle fertig sind, wird nicht aufgestanden.", ruft ihm Ivona hinterher.
Seine Antwort darauf?
Der Mittelfinger.Sally hilft mir meinen Koffer in das neues Zimmer zu tragen und mich etwas einzurichten. Von einem eigenen Bad konnten meine Geschwister und auch ich bis jetzt nur träumen. Ein übergroßes Boxspringbett, lange, gelbliche Vorhänge vor den vielen Fenstern die das Zimmer hell und attraktiv machen. Eine Leseecke mit Bücherschrank, Sessel und Stehlampe, ein Laptop auf einem in der Größe verstellbarem Schreibtisch.
„Der erste Eindruck von unserer Familie war wirklich peinlich.", entschuldigt sich Sally, während sie ein Kleid in den viel zu großen Kleiderschrank hängt.
Ich schüttele den Kopf. „Bei uns ist es doch oftmals nicht anders zuhause. Man kann ja mal einen schlechten Tag haben."
„Nathe und Victor sind manchmal schwer auszuhalten."
Mein Verdacht, vor dem Essen ihm Wohnzimmer, wo Nathe ertappt mit rotem Kopf da stand, ist verflogen. Zwischen den zwei läuft alles andere, als ein liebender Umgang.
„Und warum ist das so? Er ist doch sein Sohn?", frage ich vorsichtig nach. Ich möchte nicht neugierig wirken, aber ich werde hier höchstwahrscheinlich zwei Jahre verbringen müssen, da darf man sich doch wohl ein bisschen informieren.
Sally zuckt mit den Schultern und schnappt sich meine dunkelgrüne Bluse aus meinem Koffer, die ich zu Weihnachten von meine Schwester Lucy bekommen hatte. „Ist halt so. Bei dir gibt es sicher auch jemandem, den du nicht leiden kannst, aber mit ihm zusammen leben musst."
Ja, Nathan Silver zum Beispiel. Aber zuhause gibt es wirklich niemanden in meiner Familie den ich nicht gerne bei mir hätte.
„Und genauso ist es bei den zwei. Sie akzeptieren sich, aber respektieren sich nicht. Nathe hat seinen überaus großen Stolz und seine I-don't-give-a-fuck-Fassade. Und Vic ist halt Vic. Entweder man mag ihn und passt sich an ihn und seine Regeln an oder halt nicht und du machst dir das Leben selbst schwer."
Ich nicke langsam. Ich glaube, ich sollte Thema wechseln damit ich nicht zu neugierig wirke.
„Und du bist nicht auf der Medicin?"
Sally beginnt zu lachen: „Oh Gott, nein. In diese Schule setze ich keinen Fuß rein. Ich bin auf der normalen High School. Ein Emo auf der Medicin würde nicht gut ankommen."
„Eine die aus den Slums kommt, kommt da auch nicht gut an, dass kann ich dir sagen", erwidere ich, während ich den leeren Koffer unter dem Bett verstaue und das Bild von meiner Familie auf dem Nachtisch platziere.
„Tja, das Leben ist kein Honigschlecken. Und von allem was ich mitbekomme vor allem nicht in der Medicin.", stimmt mir Sally zu und geht zur Tür. „Wenn du noch was brauchst, ich bin im Zimmer, ich hab morgen eine Hausarbeit abzugeben, und wenn Mum noch Essen gehen möchte muss ich mich ran halten." Mit Blick auf meinen nicht mal halb gefülltem Schrank fügt sie hinzu. „Und wenn du noch Klamotten brauchst, die hab ich auch noch, sind mir eh zu bunt."
Ich Lächele ihr dankend zu. Sally wird mir hier den Aufenthalt angenehm machen, dessen bin ich mir sicher.

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An deiner Seite
Romance„Du schuldest mir einen Gefallen." Verständnislos lache ich auf: „Man kann sich also nicht mal mehr untereinander helfen, ohne einen Hintergedanken zu haben?!" Nathan Silver kommt schmunzelnd auf mich zu und raunt mir mit rauer Stimme ins Ohr „Willk...