Kapitel 14 (Die Wahrheit über Nathe Silver)

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„Hier steckt ihr also."
Eine blonde Schönheit kommt auf uns zu. Von weitem betrachtet sieht sie aus wie ein Engel in ihrem kurzen weißen Kleid.
„Nessa", ruft Nathan überrascht und legt die Zigarette auf einen Aschenbecher ab um seine beste Freundin zu begrüßen. Die zierliche Cheerleaderin muss sich auf Zehenspitzen stellen um ihn zu umarmen.
„Hey Großer. Tut mir leid, ich wollte euch nicht stören."
„Hast du nicht", wirft Nathe schnell ein und bietet ihr seine Zigarette an.
„Sehr gut.", Vanessa nimmt sie dankend an und zieht einmal lange daran bevor ihr Blick sich auf mich richtet. „ Caitlin, ich wollte mit dir reden."
Mit mir? Über was denn? Bitte nicht über Nathe. Oder über mich. Oder über uns. Obwohl, es gibt kein uns. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass sie meinen Namen kennt.
„Ich hol euch mal Drinks", verabschiedet sich Nathan als er spürt, dass er jetzt gerade nicht dabei sein sollte. „Schlagt euch nicht die Köpfe wegen mir ein."
„Nathe, pass in Erdkunde besser auf, die Erde dreht sich nicht um dich.", weise ich ihm zurecht.
„Auch nicht um dich Swany, auch wenn sie von der Masse denken könnte, du bist die Sonne."
Mit dem Kommentar über meine Figur verschwindet er in der Villa. Gott sei Dank hab ich ein gesundes Selbstbewusstsein sodass ich so etwas nicht persönlich nehme.
Vanessa setzt sich auf das Terassensofa und nimmt noch einmal einen langen Zug, bevor sie weiterspricht: „Nathe und seine Sprüche...Das war eine gute Rede da vorhin."
„Den Spott kannst du für dich behalten!", murmele ich und setzte mich auf den Sessel ihr gegenüber.
„Nein ernsthaft. Du hast viele Menschen berührt.", fährt die Blondine fort und raucht in Ruhe weiter. „Aber denk bitte nicht, dass du Nathan damit beeindrucken kannst, Süße."
Süße?
„Vanessa!", sage ich ernst und drehe mich zu ihr. „Ich muss und will Nathe nicht beeindrucken. Ich wollte nur was für meine Mitmenschen tun. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst!"
Boaar, ich kann sie nicht ausstehen! Sie ist wie eine Schlange die sich um Nathes Hals entlang schlängelt und ihn dadurch kontrollieren will. Von niemandem lässt er sich so viel sagen wie von ihr, hat mir Feli erzählt, die mit mir völlig einer Meinung über Vanessa ist. So weit ich weiß kennen sich alle drei noch von früher, bevor Vanessa ein eskalierender Teenager wurde und Nathe mit sich gezogen hat.
Die Blondine drückt die Zigarette aus, überschlägt die Beine und faltet ernstwirkend die Hände ineinander.
„Süße, Nathe ist unberechenbar. Er hat schon vielen Frauen das Herz gebrochen. Ich will dir nichts Böses, nur, dass du auf dich aufpasst und dich, was Liebe angeht, von ihm fernhälst. Er ist nicht der strahlende Ritter auf dem weißen Pferd."
Ich muss bei dieser Vorstellung schmunzeln.
„Er ist nicht für eine Beziehung zu haben.", betont sie nochmal mit strengem Unterton ihren Satz als sie mein Lächeln sieht.
„Hast du es schon mal ausprobiert?", frage ich provokant und mache ihre Sitzposition nach. Überschlagene Beine, aufrechter, angelehnter Rücken. Wenn Nathe mit mir spielen kann, dann spiele ich mit Vanessa und gaukel ihr vor, dass ich was vom arrogantesten Arsch der Welt möchte. Ich meine, so funktioniert diese Welt anscheinend. Ziege niemandem, was in dir wirklich vorgeht.
Auf meine Frage zieht sie ihre überschminkten Augenbrauen nach oben.
„Ich kenne Nathan besser als jeder andere. Ich weiß alles über ihn. Deswegen weiß ich auch, dass eine Beziehung mit ihm verschwendete Zeit ist. Und auf eine Freundschaft Plus..."
„Ihr lebt ja noch", unterbricht sie Nathe, der mit zwei Lillettgläsern und einer Cola sich zu uns gesellt. Seine beste Freundin nimmt sich den Aperitif ab „Wir hatten es gerade zufällig von dir."
Überrascht fliegt Nathes Blick auf mich.
Was denkt der denn, über was wir sonst reden? Über den nächsten gemeinsamen Urlaub?
Ich nicke schnell: „Ja, was für ein blöder Idiot du doch bist."
Das war nicht mal gelogen. Aber die eigentliche Idiotin ist die Augenbrauentussi mir gegenüber.
Nathe setzt sich neben seine Freundin aufs Sofa und schiebt mir den Lillett über den Tisch.
„Danke, ich trinke nicht."
Bevor er unsere Gemeinsamkeit unterstreichen kann, mischt sich Vanessa ein.
„Lass uns ein Spiel spielen. Wahrheit oder Pflicht."
„Nessa, das ist für Kinder.", beschwert sich ihr bester Freund und zieht gelangweilt sein Handy aus der Hosentasche.
„Dann eben, ich - hab - noch - nie." Provokant schaut sie zu mir und lehnt sich entspannt auf das Sofa zurück, ihre Beine über Nathes Schoß.
„Kein Bock", murmelt Nathe etwas abwesend in sein Handy vertieft.
„Dann eben nur Caitlin und ich. Man muss trinken, wenn man es schon mal getan hat.", erklärt sie mir.
„Ich weiß wie das Spiel geht.", verteidige ich mich.
„Bei einer Einserschülerin und Antialkoholikerin war ich mir da nicht so sicher", kontert sie. Nathes Blick schwenkt zwischen mir und Vanessa her. Die Spannung zwischen uns ist beinahe greifbar.
„Ich fang an.", sagt sie schnell und ich weiß schon genau, dass sie dieses Spiel nicht ohne Grund gewählt hat. „Ich hab mich noch nie in eine Person verliebt, in die ich mich definitiv nicht verlieben sollte."
Mich beobachtend nimmt sie selber einen Schluck aus ihrem Glasstrohhalm. Da ich keinen Grund sehe zu trinken, rühre ich das Glas nicht an.
„Süße, man darf nicht lügen", provoziert sie mich weiter.
„Ich sollte mir Popkorn besorgen", murmelt Nathe belustigt und steckt sein Handy zurück in die Hosentasche, da er das Spektakel nun Live vor sich hat. Wenigstens hat hier einer von uns Spaß.
„Ich bin dran.", fahre ich kühl fort. „Ich habe noch nie aus einer Affäre mir mehr erhofft ."
Ha, nimm diese Frage du Schlange.
Aber Vanessa trinkt nicht.
„Man darf nicht lügen, Süße!", äffe ich sie nach.
„Das sagte ich bereits. Nächste Frage! Ich hatte noch nie Sex!"
Pff, denkt die, sie kann mich damit verletzen? Ich bin 17 und hatte noch nie einen Freund, aber, wo ist das Problem ? Ja, ich bin noch Jungfrau und stehe dazu. Ich verschenke meinen Körper nicht an jeden dahergelaufenen.
Entspannt nehme ich einen kleinen Schluck aus dem Lillettglas. Nathans zeigt darauf keine Reaktion, er hat sein Pokerface aufgesetzt.
„Na, wer hätte das gedacht?", murmelt Vanessa und nuckelt unschuldig an ihrem Strohhalm. „ Hab ich dir doch gesagt."
Haben Nathe und sie über mich geredet? Oder warum sagt sie das zu ihm? Warum diskutieren sie darüber, ob ich schon mal Sex hatte!?! Wie absurd ist das denn!?
„Nathan, komm rein, es geht mit der Firma deiner Mutter weiter"
Ich war noch nie so froh Mr. Silver zu sehen wie in diesem Moment. Schnell stehe ich auf, lasse den bitteren Lillett stehen und gehe rein in die Menschenmasse. Wie mich dieses Mädchen aggressiv macht.
Da alle Gäste wieder bei der Bühne stehen gehe ich nach ganz hinten zum Büfett um meinen Frust wegzuessen.
„Kind, du warst großartig", lobt mich Berta, die mir einen Kuss auf die Wange gibt und mir anschließend ihre Muffins vor die Nase hält. Ich lächele ihr dankend zu, klaue mir einen ihrer berühmten Backwahren und lenke meine Aufmerksamkeit auf die Bühne.
Auf dem großen Bildschirm ist das Familienwappen der Silvers verschwunden und wurde durch das Logo von Ivonas Firma ersetzt. Ein goldener Stern mit einem geschwungenem M darin. Ich kenne das Logo. Es steht am Rande der Stadt, vor der Brücke, die zu den Slums führt.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun darf ich mich auch zu Wort melden", erschallt Ivonas zarte Stimme über die Lautsprecheranlage. „ Wie sie alle wissen, ist >Modelstars< in den letzten Jahren von Provisionen stark nach oben gestiegen. Dafür möchte ich persönlich Mr. Herry Jacob danken" sie deutet auf einen Mann in der Menschenmasse. Dank meinen Absatzschuhen kann ich einen kleineren Mann mit Glatze erkennen.
„Ein Viertel der Einnahmen von Modelstars geht, wie sie bestimmt wissen, an die Forschung für Krebspatienten. Innerhalb eines Jahres haben wir 20.000 $ gespendet."
Der tosende Applaus unterbricht die Rede.
Ich bin ja wirklich kein Mathegenie, aber sind 20.000 $ nicht wenig für ein Jahr? Das sind pro Monat 1.666 $. Für eine Vierteleinnahme einer berühmten Modelfirma ist das sehr wenig. Die würden im Monat ja dann nur 6.666$ verdienen.
„ Ich möchte ihnen nun gerne die erfolgreichsten Titelseiten von Modelstars präsentieren.", holt mich die Stimme aus meinen Rechnungen zurück.
Der Bildschirm verschluckt das Logo und zeigt Magazintitelseiten mit verschiedenen Models darauf.
Auf ein paar davon ist Nathe zu sehen. Seine Magazine müssen sich in dem Fall gut verkauft haben. Klar, wenn jedes Mädchen in der Schule eins kauft, nur weil sie auf ihn einen Crush haben, steigen die Kaufpreise drastisch nach oben. Da hat die Firma definitiv mehr als 6,666$ verdient.
Ich sehe Nessa auf mich zuschleichen. Ohne Worte stellt sie sich neben mich.
Was will die denn jetzt hier? Mit mir weiter ihr blödes Spiel spielen? Oder mich noch ein paar mal mehr >> Süße<< nennen?
Das letzte Bild der Diashow raubt mir den Atem.
Das Bild ist, passend zur Veranstaltung, in schwarz weiß. Nur Nathes grüne Augen haben Farbe.
Aber: Er ist komplett nackt. Um seinen Körper schlängelt sich eine große Schlange die den Intimbereich größtenteils verdeckt. Er schenkt dem Betrachter keine Emotionen. Gewohntes Pokerface, arrogant und selbstbewusst. Sein Körper scheint makellos zu sein, keine dunklen Stellen oder Schrammen. Ich erinnere mich an gestern, als er mich beim Tagebuchlesen erwischt hat. Wie auch auf dem Bild waren seine Haare nass, die Schlange schlängelt sich um ihn wie das S um das N seiner Initialen.
„Oh nein... jetzt hat die ganze Stadt ihn schon so gut wie nackt gesehen", flüstert mir Vanessa zu. „Wie unzüchtig!"
Das ist einfach nur traurig. Ekelig. Herabwürdigend. Wie kann seine Stiefmutter ihren Sohn so abbilden lassen? Für mehr Geld? Mehr ansehen? Bessere Verkaufszahlen?
Nathe steht auf der Treppe zur Bühne und wirft ein Blick zu uns. Aus der Ferne kann ich nicht sagen, wie es ihm damit geht.
Aber was ich weiß ist, das ich mich an seiner Stelle benutzt fühlen würde.
Andererseits geht mit Nacktheit jeder anders um. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ihm nichts ausmacht so oft wie er in mein Zimmer kommt und es ihm egal ist, was ich anhabe. Ob Handtuch, normale Sachen oder offenes Kleid.
Ein Tippen an der Schulter reist mich aus meiner Gedankenwelt.
„Verzeihung, Miss Swan", entschuldigt sich ein in schwarz gekleideter Mann mittleren Alters. „Meine Frau und ich wollten ihnen sagen, wie sehr wir von ihrer Rede berührt wurden."
Die Frau neben ihm strahlt mich mit einem herzlichen Lächeln an, so wie ich es nur von Ivona kenne, und reicht mir die Hand. „Es hat mich tief berührt."
Das ganze ist mir tatsächlich etwas unangenehm, obwohl ich geschmeichelt sein sollte. Wer hätte gedacht, dass meine Worte bei wohlhabenden Menschen mit großem Einfluss ankommen?
„Vielen Dank, Mrs..."
„ Greenhouse", hilft mir die freundliche Frau auf die Sprünge. „Schatz, gib doch Miss Swan unsere Karte."
Eine edelaussehende dunkelgrüne Karte wird mir entgegen gestreckt.
Anwaltskanzlei, Ruben und Lilly Greenhouse, 5th Side Evenu
Es ist nie schlecht, einen Anwalt auf seiner Seite zu haben, falls es mir hier mal zu bunt wird und ich Victor verklagen möchte.

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