1. Kapitel

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Beim Klang der Glocke verwandelt sich der schön hergerichtete Schulhof in eine überfüllte Einkaufsstraße. Und genau in solchen bin ich froh über mein heimliches Talent, mich durch Massen zu bewegen ohne unterzugehen. Keiner wirft auch nur einen Blick auf mich.
Warum auch. Ich bin nicht wie sie. Ich habe keine Markenklamotten, fahre mit dem Zug statt mit dem Porsche zur Schule und verbringe meine Zeit auch nicht auf dem Golfplatz.
Die Medicin High ist eine der angesehensten Schulen der Region. Wenn du hier einen Abschluss machst, dann werden dir später die Jobs hinterhergeworfen. „Die Schule mit den besten Aussichten" oder wie der Werbeslogan geht.
Es gibt nur zwei Bedingungen um an dieser Schule einen Platz zu bekommen: Sei Stinkreich oder überdurchschnittlich Schlau. Ersteres bin ich jedenfalls nicht.
Ich kann nicht genau sehen wohin ich gehe. Meine Sicht ist wird von Rucksäcken und gehetzten Schülern verdeckt. Ich hoffe, ich steuere auf das Hauptgebäude der Medicin zu. Hauptsache raus aus diesem Rucksackhaufen.
Kaum habe ich das Licht am Ende des Tunnels erreicht, laufe ich knallhart gegen Brent, der sich mir in den Weg stellt.
„Hey Slumy!" Er drückt mir einen Stapel zerknitterte Papiere in die Hand und lächelt mich falsch an. „Physik–Hausaufgaben auf nächste Woche. Erledige sie für 10 Mäuse"
Ich muss kurz auflachen weil ich mir vorkomme, wie in einem Film, wo der Mobber das kleine Mädchen einschüchtern und ausnutzen will.
Vergiss es Brent. Ich bin nicht dieses Mädchen. Und für 10 $ schon mal gar nicht!
Ich merke, wie sich eine kleine Traube neugieriger Schüler um uns versammelt und sich das Spektakel anschaut.
„Obwohl, in den Slums gibt es sicher genug Mäuse, vielleicht muss ich meine Bezahlung verändern", pöbelt er laut weiter, damit er die Aufmerksamkeit seiner Schulkameraden noch mehr auf uns ziehen kann.
Okay, cool bleiben. Das haben wir geübt! Zwar nur unter der Dusche, aber wir haben es geübt.
„ Hmm, Brent, bist du nur zu faul oder zu dumm sie selber zu machen?" Ich lasse die Blätter auf den Boden fallen und schaue ihm provokant in die Augen. „Ich kann nichts dafür, dass du die Suppe der Weisheit mit einer Gabel gegessen hast!"
Stolz laufe ich durch den Blätterhaufen an ihm vorbei und höre hinter mir das Gekicher der Schaulustigen. Innerlich triumphiere ich, mich nicht ein einziges Mal versprochen zu haben.
Um diese Schule zu überleben, habe ich mir meine persönlichen 3 goldenen Regeln aufgestellt.

§ 1. Niemals zeigen, dass man Schwächen hat
§ 2. Niemals zu viel über sich verraten
§ 3. sich auf einen der Idioten hier einlassen

Während ich die Regeln in meinem Kopf durchgehe, schließe ich meinen Spind auf und krame mir die Musiksachen heraus. §3 ist allerdings etwas unnötig, wie wenn ich mich jemals auf einen von denen einlassen könnte. Die verabscheuen mich genauso wie ich sie. Ich schnappe aus meinen Spind meine Schulsachen peile den Musikraum an, als sich plötzlich zwei Hände auf meine Augen legen.
Panisch dreh ich mich um, die Hände zu Fäusten geballt. Wer weiß, zu was Brent oder die anderen Jungs fähig sind. Aber ich hab 3 Brüder, mich sollte man nicht unterschätzen.

Ein strahlendes Lächeln legt sich auf mein Gesicht, als ich Feli sehe. Ihre blonden Korkenzieherlocken stehen wild in alle Richtungen, als hätte sie in eine Steckdose gefasst.
„Rate mal, was gerade passiert ist.", quietscht sie in ihrer Sopranstimme.
„Dein Chemieexperiment ist explodiert?"
„Nein, das wäre schön, dann würde es wenigstens in irgendeiner Art und Weise funktionieren. Aber ich weiß nicht, würde ich mehr Chlorid reinmachen ..."
„Feli", ich unterbreche sie schmunzelnd. „Was wolltest du mir sagen ?"
Vorsichtig drückt sie meine Hand.
„Er hat mir zugelächelt", flüstert sie und ihre Stimme geht nochmal eine Oktave nach oben, wenn das überhaupt noch geht. Sie könnte die perfekte Synchronstimme einer Maus sein. Oder einer Fee. Oder beides. Gibt es Feemäuse? Mäusefeen?
„Und ?" versuche ich mehr aus ihr heraus zu bekommen.
Sie schaut mich empört an: „Wie? Was und ? Er hat mich gesehen. Mich! Ohhh, das ist der beste Tag in meinem Leben"
Freudig dreht sich sich einmal um sich selbst und hüpft an mir vorbei. Bei Feli kann man nur schmunzeln. Sie war die Erste, die mich hier angesprochen hat und der der Klassenunterschied egal ist. Seit 2 Jahren ist sie schon meine beste Freundin, die richtige Hilfe und Unterstützung in diesem Irrenhaus aus arroganten Schnöseln.
Aber ein Thema mit dem ich mich nicht anfreunden kann, ist, dass es bei ihr viel um Jungs geht. Seit ich sie kenne, schwärmt sie von Nathan Silver, einem guteaussehenden 12-Klässler, der gefühlt allen Mädchen und schwulen Jungs den Kopf verdreht.
Wenn ich mich umbringen wollte, würde ich von seinem Ego Richtung Boden springen. Und das wäre in langer Flug.
Aber da ich mein Leben zur Zeit mag, vermeide ich jeglichen Kontakt zu ihm. Was schwierig ist, wenn einer seiner Jungs mich anspricht um mir seine Hausaufgaben aufzudrücken und ich ihn vor der Schule lächerlich mache.
Vorhin, bei meiner kleinen Auseinandersetzung mit Brent, hab ich Nathan gesehen wie er ernst neben dem Footballcoach stand und uns beobachtet hat. Wie immer vollkommen emotionslos, nicht darauf bedacht einzugreifen und seinem Freund zu helfen, wenn er von einem Mädchen fertig gemacht wird. Und dazu noch von einer aus den Slums.

„Cat? Träumst du schon von ihm oder kommst du jetzt endlich?"
Peinlich berührt, das ich gerade echt über Nathan nachgedacht habe laufe Feli in den Musikraum nach.
Auf der Highschool for Medicin werden kreative Unterrichte angeboten, wie Kunst, Photoraphie, Gaming und Musik als Ausgleich für den üblichen wissenschaftlichen Unterricht. Und Musik war definitiv das kleinste Übel. Ich setze mich neben meine Freundin in die zweite Reihe und darf mir schon wieder anhören, was es wohl zu bedeuten hatte, dass Nathan sie angelächelt hat.
„Vielleicht ist ihm das Lächeln auch nur ausversehen rausgerutscht, oder er hatte einen Krampf in seinem Musculus risorius, und dann, Zack!, war da ausversehen ein Lächeln.", gebe ich irgendwann ironisch meinen Senf dazu. Nicht, dass ich darauf achten würde, aber ich habe ihn noch nicht lächeln, geschweige denn Lachen gesehen.
„Ach Cat, du siehst das alles zu negativ. Ich glaube, er hat einen ganz weichen Kern."
Ich möchte das Feuer in ihren Augen, das bei dem Gedanken brennt ihn näher kennenzulernen, nicht erlöschen, also schmunzle ich und nicke zustimmend, mit den Worten: „Du hast sicher Recht" und hoffe, das dieses Thema somit beendet ist.
Mr. Bold betritt dem Klassenraum und bringt das Gewusel der Schüler zum Schweigen.
„Wir gehen heute zu den 12 Klässlern in den Musik Unterricht, es wird eine Porbe– Gehörklausur geben. Jeder hat einen Patner aus der anderen Klasse, mit dem man zusammen die Aufgaben erarbeitet kann. Das ist die beste Vorbereitung auf das Abitur, auch für euch in einem Jahr."
Das aufgeregte Gemurmel und geraschelt kehrt augenblicklich zurück.
Bevor ich mein Zeug zusammenpacke, wird meine Hand fast zerquetscht und die blauen Augen von Feli beginnen wieder zu strahlen.
„Nathe ist in dem Musikkurs. Ohhh, der Tag wird immer besser", quietscht sie und fährt sich durch ihre Locken, als würde das die Mähne bändigen.
„Wie seh ich aus ?", fragt sie und macht ihr Modelgesicht. Den Mund leicht geöffnet, große Augen und tiefehängende Augenbrauen.
„Atemberaubend, er wird dir um den Hals fallen", necke ich sie und löse meine Hand von ihr, um mein Zeug zu packen.
„Auch wenn du es ironisch meinst, nehme ich es einfach ernst." Sie fährt sich noch einmal durch die Haare und packt ihr Zeug so schnell ein, wie ich es noch nie gesehen habe, springt aufgeregt auf und tanzt aus dem Klassenzimmer.

In dem Musikraum der 12 Klässler sind schon Zweiertische zusammengestellt. Ich versuche Feli etwas zu beruhigen indem ich ihre Hand halte, die sie mir fast zerdrückt vor Aufregung.
Mrs. Kedding, die älteste Musiklehrerin an der Schule, sitzt am Flügel und begrüßt uns herzlich, bevor sie zum wesentlichen Teil übergeht.
„Ich habe hier eine Liste, jeder 11 Klässler darf sich zu einem 12 Klässler setzen. Wir werden dieses Projekt nun ein paar Wochen machen, also versucht euch gut untereinander zu verstehen. Wir haben das ganze alphabetisch eingeteilt, also bitte keine Beschwerden. Taylor geht zu Maria, Ariana zu Theo, Felicia geht zu Brent"
In dem Moment stirbt meine Hand. Ihre Freude, mit den Älteren zusammen zu arbeiten, ist verflogen. Ausgerechnet mit Brent. Hätte es sie schlimmer treffen können? Zögernd lässt sie meine Hand los und setzt sich neben den Blonden, der auch nicht wirklich begeistert darüber zu sein scheint. Ihr Blick geht Hilfesuchend durch den Raum und richtet sich auf mich. Ich schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln, womit ich ihr irgendwie sagen will >>Das wird schon<<.
„Und schließlich Caitlin zu Nathan."
Ich glaub, mein Schwein pfeift. Sie muss sich verlesen haben. Oder ich hab was in den Ohren. Felis gequietsche vielleicht noch. 
Aber da ich die Letzte neben Mr.Bolt bin, die noch keinen Platz hat, kann ich mich nicht verhört haben.
Okay, ganz ruhig zu ihm laufen, lass dir nicht anmerken, dass dein Herz gleich herausspringt. Einen Schritt nach dem anderen, das lernst du schon seit knapp 16 Jahren.
Er schaut mich nicht mal von der Seite an. Er tippt Nachrichten auf seinem Handy ein und wendet sich dann dem Tablet vor ihm zu, auf dem die Unterrichtsaufgaben erscheinen.
Na, dass kann ja was werden.
Ignoranter Arsch.

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