Kapitel 39

34 2 0
                                        

„Hey Dad... Caitlin und ich wurden entführt. Damit du uns wieder bekommst sollst du 80.000$ als Lösegeld mitbringen. Am Dienstag, um 23:11 Uhr an der alten Eiche der Slums, Northside. Wenn nicht, töten sie uns! " In Nathes Gesicht ist keine Spur von Angst zu sehen. Er redet so monoton, dass man meinen könnte, er erzählt ein langweiliges Gedicht. Richi drückt auf einen Knopf.
„Ja...nein, Nathan, dein Dady wird dir kein Wort glauben. Die Träne und der Kratzer sind echt gut, aber irgendwie fehlt mir das schauspielerische Talent, Angst zu zeigen. Du hättest dir wenigstens Mühe geben können." Er wirft einen Blick zu mir. „Planänderung. Bindet sie neben ihn."
Eh ich mich versehen kann, sitze ich mit Stricken gefesselt neben Nathe. Und wieder einmal bekomme ich einen entschuldigenden Blick von ihm ab. Wieder einmal bringt er mich in eine ungünstige Situation. Den Blick kannst du dir sparen.
Nathe wird von Breitschulter geknebelt, und das Messer, dass noch Blutspuren meines Schnittes enthält legt sich an Nathes Kehle. Ich brauch meine Angst gar nicht zu spielen, sie ist real.
„Mach mich stolz, Süße." Richi zeigt mir seine vergelbten Zähne. Bei dem Kosennamen könnte ich im Strahl kotzen. Aber um Nathes und meinetwillen reiße ich mich zusammen. „Und füg noch hinzu, dass bei verspäteter Ankunft des Geldes ich auf 100.000$ aufschlage und einer von euch beiden dann sehr wahrscheinlich nicht mehr leben wird." Er zwinkert mir zu.
Nathes Augen weiten sich, bevor er mit aller Kraft sich vom Boden abdrückt und den Stuhl mitsamt ihm auf dem Boden krachen. Sein Fluchtversuch geht allerdings nach hinten los, da der Stuhl nicht zerbricht und mit wenigen Handgriffen Richis Männer ihn zurück auf die vier Beine stellen. Ich dachte, der Blick an seinen Vater wäre Nathes Todesblick, aber dieser Blick an Richie erreicht ein neues Level, der Knebel verhindert dass man auch nur ein Wort verstehen kann den er vor sich hinschmimpft.
„Du bist mir noch viel zu aktiv, Nathielein. Ich hatte völlig unterschätzt wie gut dein Alter dich schon ausgebildet hat kein Respekt vor Autoritäten zu zeigen."
Auf ein Nicken von ihm stellt sich Breitschulter vor Nathe und verpasst ihm einen Kinnhaken.
Ich erstarre in diesem Moment zu Stein. Unfähig nur einen laut von mir zu geben. Die Situation ist ausweglos. Ob Mr. Silver das Geld in der kurzen Zeit aufgetrieben bekommt ist ungewiss. Und dass ich die Erste sein wird, die stirbt, braucht mir keiner zu erzählen. Die 100.000§ Aufschlag würde Victor sicher nicht für mich zahlen wenn sie Nathe umbringen würden...
„Hört auf, bitte!", schreie ich als ich mich aus der millisekündigen Erstarrung gelöst habe. Tränen der Verzweiflung laufen mir über die Wange.
Richi drückt auf den Aufnahmeknopf der Kamera.
„Genug Henry!", pfeift er seinen Handlanger zurück und nickt mir zu. Nathe scheint das Bewusstsein verloren zu haben, dennoch stellt sich Breitschulter Henry hinter ihn, zieht seinen Kopf an den Haaren zurück und setzt das Messer erneut an der Kehle an. Richi nickt mir stumm zu.
„Victor, Nathe und ich sind in eine Entführung reingeraten." Ich räuspere mich, um das unsichere Zittern in meiner Stimme zu überspielen. „Sie verlangen 80.000$, dass du am Dienstag um 23:11 Uhr an die alte Northside Eiche bringen sollst."Ich versuche die aufsteigenden Tränen zu verdrängen, scheitere allerdings kläglich. „Kommst du zu spät oder schaltest die Polizei ein werden sie einen von uns umbringen und das Lösegeld auf 100.000§ erhöhen" Ich spüre wie warme Tränen meine Wange herunter rollen und werfe einen Blick auf Nathe. „Bitte, beeil dich..."
Zufrieden drückt Richi auf den Knopf und klatscht in die Hände.
„Na geht doch! Eure Arbeit ist getan. Hoffen wir, dass Dady schnell antwortet. In den Stall mit ihnen. Kai, kümmer dich um ihren Arm."

Die Kornflakes sind so eingeweicht, dass sie mir auf der Zunge zergehen. Aber so richtig Hunger hab ich nicht, ich versuche mich eher zu beschäftigen.
„Du hättest das Video nicht drehen dürfen." Nathe sitzt an der Steinwand, seine Hände sind wieder direkt an den Stahlring angeschlossen. Wäre er nicht so weit weg, hätte ich ihm was von meinem Frühstück abgegeben. Aber wenn er jetzt schon mit solchen Vorwürfen kommt, bekommt er von mir gar nichts, außer eine genervte Caitlin.
„Und was hätte ich machen sollen? Du hattest ein Messer an der Kehle, Nathan!"
„Oh man Cait, glaubst du wirklich sie hätten mich umgebracht wenn du nichts gesagt hättest?" wütend verdreht er die Augen.
„Er hätte dich verletzt.", werfe ich ein. „Und ich gehe im Gegensatz zu dir nicht das Risiko ein, dass du verletzt wirst."
Meine Anspielung auf den Schnitt in meinem Arm, der von Schlüsselmann Kai mit einem Verband versorgt wurde, scheint ihn zu treffen. Er wendet seinen Blick auf den Boden.
„Woher kennst du Richi eigentlich?", unterbreche ich die aufkommende Stille.
Nathe seufzt und schaut auf. „Er hat mal für uns gearbeitet. Er war Gärtner und Hausmeister."
„So wie Freddy jetzt?"
Nathe nickt. „Richi und seine Frau Sonja waren jahrelang bei uns eingestellt. Sie war die Hausdame zwei Generationen vor dir. Als Richi rausgefunden hat, dass zwischen Victor und seiner Frau was läuft, ist er völlig durchgedreht. Er hat Vic eines nachts angegriffen und wollte ihn umbringen. Ich kam von einer Party spät zurück und hab die zwei kämpfen sehen und sofort die Polizei gerufen. Richi kam für 6 Jahre wegen versuchten Mordes in Haft, muss aber durch gute Führung schneller wieder rausgekommen sein."
Gänsehaut breitet sich über meinen Rücken aus. Was für eine absurde Geschichte, klingt wie aus einem Krimi heraus kopiert.
„Victor hat Ivona betrogen?", schlussfolgere ich.
„Weißt du noch, als Victor vor unserem Fotoshooting eskaliert ist?" Eine der schlimmsten Momente bei den Silvers den ich nie wieder vergessen werde.
„Vic hat einen Anruf von der Schule bekommen, dass Charles und ich und geprügelt haben. Und weil das meine Verhaltensnote beeinflusst wollte er mir verbieten weiterhin Football zu spielen. Daraufhin hab ich ihn mit der Affäre von Sonja erpresst."
Ich hab nie darüber nachgedacht, warum die Situation damals so eskaliert ist. Ich hab angenommen, dass Victor einfach zu viel getrunken hatte und ein Boxsack gebraucht hat.
„Ivona weiß es also immer noch nicht?"
Nathe schüttelt den Kopf.
„Und woher wusstest du es?"
Er lässt seine Arme kraftlos in die Handschellen fallen. „Ich hab die zwei gesehen. Und es Richi gesagt."
„Du hast was?", frage ich ungläubig.
„Richi und ich haben uns gut verstanden, er war wie ein Vater den ich nie hatte. Er hat mir das Footballspielen und Motorradfahren beigebracht, Reifenwechseln, Tipps wie ich die Mädchen um mich herum klären kann...Er hat mir alles gezeigt, was Victor mir nie beigebracht hat. Ich musste es ihm sagen, das war ich ihm schuldig. "
Und schlussendlich hat Nathe sich doch für den Anruf bei der Polizei entschieden und damit auch für seinen Vater, der seine Stiefmutter betrogen hatte. Er hat sich für Vic entschieden. Gegen einen Freund. Für weitere Jahre der Erpressung und Unterdrückung.
„Erst seit dem ist es zwischen mir und Vic so eskaliert... kleiner Tipp: erpresse niemals deinen eigenen Vater.", murmelt er mehr zu sich selbst.
„Und was ist mit Sonja passiert?"
„Die wurde Entlassen. Ich hab sie seit dem her nie wieder gesehen."
„Und warum genau will Richi jetzt Geld von euch? Ich meine, was hat er davon?", hacke ich weiter nach.
Nathe zuckt mit den Schultern. „Er wartet wahrscheinlich nur auf die nächste Gelegenheit um zu Rechen."
„Deswegen sollte ich das Video nicht drehen..." in meinem Kopf fügen sich einzelne Puzzelstücke zusammen. „Weil Richi jetzt eine weitere Chance bekommt, das zu vollenden, was er angefangen hat. Deinen Vater zu ermorden."
Nathan nickt gedankenverloren.
„Hast du...", beginne ich vorsichtig. „Hast du es jemals bereut, die Polizei gerufen zu haben?" Hätte er es gelassen, dann wäre sein Vater vielleicht nicht mehr am Leben und Nathe hätte durch all diese schlimme Zeit nicht durchgehen müssen.
Ein Schwiegen legt sich über den Stall, als hätte er sich die von mir ausgesprochene Frage noch nie gestellt.
„Er ist meine Familie, Caitlin. Er ist alles, was ich noch habe. Außerdem, wäre Vic tot, hätte ich nicht von ihm ein Geschenk mit einem Peilsender darin eingebaut bekommen." schelmisch schmunzelt er mich an.
Ich brauche einige Sekunden um begreifen, was er da gerade gesagt hatte und hätte vor Freude in die Luft springen können. Voller neuer Hoffnung ziehe ich mich an das Gitter, der Nathes Zelle von meiner trennt.
„Oh mein Gott Nathe, das hab ich ja völlig vergessen... wir...wir haben Chancen hier raus zu kommen?"
Er nickt lächelnd und schaut zu seinem Arm hoch, an dem das Armband sich schlangenförmig um sein Handgelenk schlingt.
„Du glaubst mir gar nicht wie oft ich dieses Teil verflucht habe. Vic muss seit gestern denken, dass ich mir dir abgehauen bin und hat mich sicher schon geortet. Wenn er jetzt noch das Video von Richi bekommt, wird er hoffentlich eins und eins zusammenzählen können und..."
„...die Polizei rufen, die uns hier raus holt.", jubele ich leise und umarme die Gitterstäbe. Dieser Alptraum wird bald ein Ende haben. „Wir kommen wieder nach Hause", murmele ich gedankenverloren.
Nathe reagiert nicht auf meine Aussage. Wahrscheinlich ist es für ihn grad egal wo er gefangen gehalten wird, zuhause oder hier, nirgendwo darf er seine eigenen Entscheidungen treffen.
„Es war komisch ohne dich... so leer...", unterbricht er die Stille und schaut mich mit seinen grünen Augen an, aber ohne einen Funken Vorwurf. „Und in der Schule... ich wusste nicht, wie ich dir gegenüber mich verhalten sollte. Ich meine, im ersten Moment erscheinen wir gemeinsam auf einem Cover der beliebtesten Zeitschriften des Landes, du stehst mit unserem Familienlogo im Hintergrund in der Zeitung und ein paar Tage später schauen wir uns nicht einmal mehr an..."
„Dein Vater hat mich rausgeschmissen Nathan! Nur unter der Bedingung dich wie ein Tier tracken zu können hat er mich noch in seinem Haus erduldet. Das war einfach zu viel für mich."
„Zu viel für dich, hm?", in seiner Stimme schwingt eine große Spur Verachtung mit. „Ich hab dir meine Liebe gestanden, wie ich es noch nie zuvor bei jemandem gemacht habe, ich mache mich verletzlich und du bist einfach gegangen. Verdammt Cait, an diesem Tag hab ich nicht nur meine komplette Freiheit für dich verloren..." unausgesprochene Wut sammelt sich in seinem Blick. „ Victor hat mir vielleicht meine Freiheit genommen, aber du hast mir mein scheiß Herz aus der Brust gerissen!"
„Ich habe dich nicht darum gebeten deine Freiheit für mich aufzugeben!", gebe ich wütend zurück. Er stellt es gerade so hin, als ob das alles meine Schuld wäre und ich die Böse hier bin. „Was glaubst du wie es mir damit geht, dass dein Vater mich hasst weil ich dich liebe? Das er dich sogar zwingt mit Sofia eine Beziehung einzugehen und ich dich hätte jeden Tag sehen müssen in dem Wissen, du hast dein ohnehin schon beschissenes Leben für mich geopfert? Weißt du wie groß meine Schuldgefühle sind? Nathe, ich bin nicht gegangen weil ich aufgehört habe dich zu lieben, sondern genau weil ich dich liebe. Ich will nicht der Grund sein, dass dein Leben noch schwieriger wird. Das hast du einfach nicht verdient." Ich wende meinen Blick auf den Boden weil ich seinem verzweifelten Blick nicht länger standhalten kann. „Es hätte mich innerlich kaputt gemacht noch einen Tag länger zu bleiben."
Es wird so still in der alten Scheune, dass man durch das kaputten Dach Vögel zwitschern hören kann. Nathe starrt auf seine verschmutzten Sneakers und spielt mit dem Stroh, dass vereinzelnd hier auf dem Boden liegt.
Nach ungefähr 5 Minuten, in der jeder von uns das Gesagte verarbeiten muss, öffnet sich das Scheunentor und Henry und Kai kommen mit zwei dampfenden Tellern Suppe rein.
„Essen!", grölt Kai und sperrt meine Zelle auf um mir die Suppe an den Eingang zu stellen, bevor die Tür zurück ins Schloss knallt und abgeschlossen wird. Das selbe passiert danach bei Nathe.
„Ihr Witzbolde, wie soll ich das denn essen können?",kommentiere er garstig. Henry und Kai sehen sich unsicher an, als hätten sie über das Problem noch nicht nachgedacht.
„Vielleicht macht ihr mir die lächerlichen Fesseln ab?", bietet Nathe als Lösungsansatz an.
„Der Boss hat das verboten.", Kai schüttelt den Kopf.
„Ach kommt schon, was soll schon passieren?" Nathe lässt nicht locker. „Wenn ich an Unterzuckerung einen Asthmaanfall bekomme könnte ich daran sterben, weil ich mein Spray nicht dabei habe. Und dann habt ihr kein Druckmittel mehr gegen meinen Vater. Also?" Er streckt ihnen die Hände entgegen so weit es die Fesseln zulassen.
Henry und Kai werfen sich fragende Blicke zu und reden kurz auf Russisch.
„Dann muss mich wohl einer füttern.", auf Nathes Gesicht spiegelt sich pure Belustigung. Beide Entführer zucken angeekelt zusammen und beginnen auf Russisch sich zu streiten, wer es machen muss, da es die einzige Lösung zu sein scheint.
„Ich kann es machen.", unterbreche ich das Gezanke. „Lasst mich zu ihm und ihr müsst ihr dafür nicht losbinden."
Henry ist der Erste der die Idee gut findet und meine Zelle aufschließt. Schnell schnappe ich meine Suppe und die Decke die mir gestern Abend zugeworfen wurde. Kai hat seine geladene Pistole auf mich gerichtet, wahrscheinlich die selbe mit der er uns im Auto auf der Rückbank bedroht hat. Sobald ich in Nathes Zelle stehe fällt die Türe ins Schloss und die zwei Russen verlassen die kalte Scheune, bevor sie es sich noch anders überlegen.
Vorsichtig, um keinen Tropfen der Suppe zu verschütten laufe ich auf Nathe zu. Von nahem sieht er noch viel zugerichteter aus. Die Locken in seinen Haaren haben ihren Schwung verloren und fallen beinahe glatt im sein Gesicht. Von Henrys Angriff hat er so einiges abbekommen.
Ich Knie mich zu ihm hinunter und beginne den ersten Löffel der Tomatensuppe kühl zu pusten.
„Wehe du fütterst mich jetzt wirklich!"
Verwirrt schaue ich ihn an. „Was denn sonst?"
„Keine Ahnung, aber das ist voll entwürdigend."
Ich verdrehe genervt die Augen. „ Tu mir einen Gefallen und lass dein zu großes Ego mal hinter dir." Der erste Löffel berührt schon seine Lippen, die sich zögernd öffnen bevor sie den Löffel wieder umschließen. Diese wunderschönen Lippen haben mich vor wenigen Monaten noch um meinen Verstand gebracht.
Auf ein Räuspern von ihm merk ich erst, dass ich ihm etwas zu lange auf die Lippen gestarrt habe
„Siehst du, ist doch halb so schlimm", lenke ich schnell ab und schaufle die nächste Portion auf den Löffel.
„Du machst das auch einzigartig gut, hast du Erfahrung darin ?"
„Ich hab viel meine kleinen Geschwistern gefüttert als sie noch klein waren. Da lernt man so einiges. Und jetzt mach es nicht noch unangenehmer sondern lass dir einfach mal helfen."
Wer hätte gedacht dass Nathan Silver sich von mir etwas sagen lässt. Er verliert keinen dummen Spruch mehr bis der Teller leer ist. Er schließt seine Augen und lehnt seinen Kopf gegen das Gemäuer. „Was würde ich für ein Sandwich von Berta machen."

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: May 09 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

An deiner Seite Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt