Kapitel 35 ( 2 Monate später)

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Gedankenverloren starre ich aus dem Fenster. Viele Hochhäuser ziehen wie ein Wimpernschlag an mir vorbei. Das ruckeln des Zuges macht mich ganz schläfrig. Die letzten Nächte hab ich wenig Schlaf abbekommen, Maison hat sich eine Grippe zugezogen und verbringt jede Nacht über dem Klo.
Seit dem ich wieder bei meinen Eltern wohne, hat sich nicht nur mein Schlafrhythmus geändert. Mein Schulweg hat sich von 10 Minuten Motorradfahrt auf 4 Stunden Zug verlängert, die Pausen verbringe ich nicht mehr auf der Tribüne um den Sportlern zuzusehen, meine Anwesenheit in der Medicin wird von meinen Mitschülern nicht mehr beachtet und beim Mittagessen vermeide ich es auch nur in die Nähe des Footballtisches zu sitzen. Wenn Nathe und ich uns auf dem Gang sehen, bekomme ich nie mehr als einen ausdruckslosen Seitenblick von ihm. Jedes Mal zieht sich alles in mir zusammen, weil ich mich unglaublich Beherrschen muss, um ihm nicht verliebt um den Hals zu fallen. Seine Blicke tun mir jeden Tag aufs Neue weh, reisen immer mehr ein Riss in mein Herz, obwohl ich weiß, dass ich das einzig Richtige getan habe. Meine Entscheidung zu gehen war das Beste für uns beide.
Mit Feli hab ich über das alles nicht geredet, die Angst, dass Mr. Silver davon Wind bekommt und sich an ihrer oder meiner Familie vergreift ist zu groß. Sie weiß nur, dass ich wieder zuhause wohne, und Nathe Single ist. Letzteres weiß entwischen die ganze Schule. Jetzt bin ich die, die eifersüchtige Blicke zu dem jeweiligen nahestehendem Mädchen wirft, ohne dass Nathe auch nur eine kleine Spur von Interesse zeigt.
Oh Cait, was ist nur aus dir geworden....
Ein großes Gebäude mit einem leuchtenden M bringt mich in die Realität zurück. Beim Anblick von Ivonas Firmung möchte ich lachen über die Erinnerung, dass wirklich ich, Caitlin Swan, als Model für „Modestar" vor der Kamera stand. Je länger das her ist, umso absurder kommt es mir vor. Diese Welt ist nichts für mich. Das weiß ich jetzt.
Je mehr wir uns von der Stadt entfernen, umso mehr Arbeiter der Slums steigen in den Zug. Ihre müden Gesichter spiegeln das Leben der Slumbewohner wider. Wie gegenteilig ist doch die helle, strahlende Welt der Reichen. Geld macht vielleicht doch irgendwie glücklich.
Aber den Gedanken verwische ich gleich wieder, als ich an Nathe denken muss. Für ihn ist der Reichtum seiner Familie sein Verderben. Nicht zu wissen, was er durchmacht und wie es ihm geht frisst mich innerlich auf.
Es war die richtige Entscheidung! Rede ich mir selbst immer wieder ein. Aber wenn ich das wirklich glauben würde, dann würde ich nicht so sehr daran zweifeln...
Ich steige an der Kohlestation aus und laufe Richtung Zuhause. Arbeiter mit verrusten Gesichtern kommen mir entgegen. Kein seltener Anblick für mich, vor allem seit dem Jeremy seinen Dienst abarbeitet.
Als ich um die Ecke unseres Hofes biege, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Der hellblaue Porsche in unserer Einfahrt war heute morgen noch nicht da, und wenn Dad oder Jeremy nicht im Lotto gewonnen haben, dann kann das nur eins bedeuten: Nathe ist hier!
Mein Herz macht vor Freude einen Satz. Eilig laufe ich die knarrenden Holztreppen nach oben. In der Küche kann ich Mamas Stimme hören. Eine männliche, sehr tiefe Stimme antwortet. Diese Stimme werde ich mein Leben lang nie vergessen.
Vorsichtig trete ich in der Küche ein, wo mich Victor und Ivona Silver erwarten. Meine Mum steht in ihrer Schürze am Herd und ist dabei, Abendessen für alle vorzubereiten.
„Caitlin", begrüßt sie mich und schiebt mich in die Küche. „Du hast Besuch."
Ivona steht auf und drückt mich an sich. „Hallo meine Süße." bei dem Geruch ihres Parfums könnte ich mich übergeben, zu sehr bringe ich ihn in Verbindung mit einer schlimmen Zeit. „Mr. Silver, Mrs. Borrow, was verschafft mir die Ehre?"
Ivona zieht mich an den Tisch und deutet mir an, mich hinzusetzen. Völlig realitätsfern setze ich mich dem Paar auf der Bank gegenüber.
„Caitlin, du hast unser Haus vor 1 1/2 Monaten ziemlich plötzlich verlassen.", beginnt Nathes Vater das Gespräch. „Wir wollten den Grund für dein Verschwinden wissen. Es kam nie ein Brief oder eine Nachricht deswegen an."
„Ich...", stottere ich. Meine Gedanken rasen durch den Kopf. Egal was ich sage, es macht weder für meine Mum noch für die Silvers einen Sinn. „Ich hatte einfach Heimweh..."
Schwache Ausrede!, ärgere ich mich über mich selbst. Ich hätte mir denken können, dass ich auf die Frage zeitnahe mal eine Antwort gebrauchen könnte.
„Sieht du, Schatz, dass hab ich dir doch gesagt." Ivona hackt sich bei ihrem Mann unter. Dabei versucht sie mit ihren weißen Handschuhen nicht die Krümel auf dem Tisch zu berühren.
„Es tut mir leid.", fahre ich fort. „Ich wollte nicht einfach so verschwinden, aber mir ging es eine Zeitlang nicht so gut." Bei den Worten wage ich es Victor direkt in die eiskalten Augen zu schauen. Er versteht meinen Wink sofort. „Ich dachte, ohne mich sind sie viel besser dran."
„Das Problem ist, Süße, dass wir mit der Schule abgesprochen hatten, dass dein Stipendium nur dann von uns bezahlt werden darf, wenn du dafür bei uns wohnst und uns im Haus zu Hand gehst. Und mit deinem Auszug würde unser Vertrag leider ablaufen."
Was mir Ivona sagen möchte ist, dass ich nicht länger auf der Medicin bleiben kann, wenn ich zuhause wohne.
„Dann tut es mir leid, Mr und Mrs Silver, dann werde ich wohl die Medicin High nicht mehr besuchen können."
„Caitin!", wirft meine Mutter ein und stellt sich mit verschränkten Armen an die Seite von den Silvers. „Das ist doch bitte nicht dein Ernst! Wie kannst du nur so eine Chance verpassen?"
Indem es mich psychisch kaputt macht, würde ich am liebsten antworten, aber das würde keiner verstehen und die Situation nicht besser machen.
„Du träumst von klein auf in die Fußstampfen deines Vaters zu treten und seine Praxis zu übernehmen. Wie stellst du dir das vor?"
Ich weiß, dass sie recht hat. Aber alles in mir sträubt sich bei dem Gedanken zurück zu den Silvers zu müssen.
„Deine Mutter hat recht, Caitlin." ergreift jetzt auch Victor das Wort. „Du tust weder dir noch uns einen Gefallen damit."
Ich bin doch für euch nur eine billige Arbeitskraft. Noch jemanden den du kontrollieren kannst. Noch jemanden, den Ivona für ihr ansehen und ihre Firma nutzen kann. Noch jemand, der genau weiß, wie es hinter der perfekten Familie ist. Und genau das macht ihnen Angst.
„Es tut mir leid. Ich kann nicht." entschlossen stehe ich auf, um die Küche schleunigst zu verlassen.
„Nathan braucht dich Cait." Ivonas Stimme lässt mich innehalten. „ und auch Sally." bei den Gedanken an den Emo, bei dem ich mich nicht mal verabschiedet habe, werde ich weich. Langsam drehe ich mich um.
„Zwei Bedingungen. Ich habe ein Mal in der Woche frei, um mich mit Freunden zu treffen. Und ich werde jedes zweite Wochenende meine Familie hier besuchen!"
Ich sehe ein husch des Erfolges über Victors Augen ziehen, bevor er sich erhebt und mir die Hand ausstreckt. Mit Kraft drückt er meine. „Einverstanden. Willkommen zurück!"

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