Kapitel 7

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Bei uns zuhause gehen ständig Dinge kaputt. Gläser auf dem Esstisch fallen durch gestikuliertes Erzählen meiner Geschwister vom Tisch und springen in tausende Einzelteile. Damals als ich noch ein Kind war, beinahe täglich, bis meine Mutter sich für Hartplastik Becher für Kinder unter 12 entschieden hat. Wenn Dinge kaputt gehen muss man sie ersetzen, dafür braucht man Geld und genau dieses hat meinen Eltern schon immer gefehlt. Ich kann mir nicht vorstellen dass die Vase von jemandem aus der Familie hier vermisst wird, an jeder Ecke der Villa stehen welche herum.
Völlig in Gedanken versunken kehre ich die Glasscherben auf, wobei ich mich bei dem Blut fast übergeben muss. Ja, ich weiß, eine werdende Medizinstudentin, die Blut nicht sehen kann. Ich hab da halt einfach so meine Probleme. Ich kann mir nicht vorstellen dass jemand versucht die Teile der Vase zusammen zu kleben, deswegen werfe ich sie in den Mülleimer des Putzraumes und schwöre mir, diese Tür für heute nicht mehr zu öffnen, sondern zu meinem eigentlichen Plan zurück zu kehren, lernen und mit zuhause telefonieren.
Im Eingangsbereich hat sich die halbe Familie Silver versammelt und richtet sich für das Abendessen im Restaurant.
Hoffentlich bemerken sie mich nicht und ich kann ungestört in mein Zimmer und telefonieren.
„Hey Cat, kommst du nicht mit?", höre ich Sally rufen.
Ich drehe mich um und versuche dabei ganz normal zu wirken. Innerlich habe ich riesige Angst. Mr. Silver steht im feinen Anzug wie verändert neben seiner Frau mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen. 
„Vielen Dank, aber ich sollte etwas lernen und hab versprochen noch Zuhause anrufen." Ich versuche nur Sally anzuschauen und ein ehrliches, entschuldigendes Lächeln zustanden zu bekommen. Der Emo schaut etwas traurig aber nickt verständnisvoll. Auf so ein Familienessen hat sie sicher auch keine Lust.
„Dann das nächste Mal.", läd mich Ivona freundlich ein. „Wo bleibt denn Nathan?"
„Der geht nicht mit.", beantwortet ihr Mann die Frage sofort und versteift sich etwas. „Er fühlt sich nicht besonders gut."
Du Widerling. Er fühlt sich nicht besonders gut? Du hast ihn wegen einer 3 verprügelt. Oh, wie gerne würde ich das jetzt laut sagen...aber ich sollte mich wirklich nicht einmischen.
In Ivonas Gesicht spiegelt sich Besorgnis und Enttäuschung wider: „Soll ich mit ihm reden?"
Victor legt seine Hand mit der er vor 20 Minuten noch zugeschlagen hat, behutsam um die Hüfte seiner Frau. Die Handknochen weisen noch Spuren eines Kampes auf. „Du weißt doch wie er ist."
Traurig und enttäuscht nickt Ivona.
„Mommy, dafür sind ich und Sally doch dabei.", versucht Maxi sie aufzumuntern und nimmt ihre Hand.
Der Kleine zaubert allen ein Lächeln ins Gesicht. Er hat sich schick angezogen, mit Hemd, Krawatte und Mantel. Ein kleiner aber feiner Gentleman. Zum reinbeißen niedlich.
Ich verabschiede mich von allen und gehe die Treppen hoch, erleichtert den Abend für mich zu haben. Aus Nathes Zimmer höre ich leise Musik.
Innerlich ringe ich mit mir selbst, ob ich kurz zu ihm rein gehe und nach ihm schaue. Andererseits will er mich ja nicht hier haben und ist wirklich kalt zu mir... Aber er könnte meine Hilfe gebrauchen. Mein innerer Samariter gewinnt die Oberhand und bevor ich es realisieren kann klopfe ich leise an der Zimmertüre. Wie erwartet kommt keine Antwort, die Musik verstummt.
„Nathan..?", frage ich vorsichtig. „Darf ich reinkommen?"
Keine Antwort.
Hat er mich nicht gehört?
Vorsichtig drücke ich die Klinke herunter. Heute Mittag habe ich mir geschworen dieses Zimmer nie wieder zu betreten und ein paar Stunden später stehe ich erneut auf dem dunklen, weichen Teppich. Ich hab das nicht so drauf mit meinen Prinzipien. Aus der Stereoanlage bei seinem Fernseher läuft ein mir unbekanntes Klavierkonzert.
Nathe entdecke ich aus dem Fenster schauend neben seinem Schreibtisch. Ohne ein Wortwechsel stelle ich mich neben ihm, um nachvollziehen zu können was da draußen im Halbdunkeln so spannend abgeht.
Ein weißen Lamborghini steht im Vorgarten, geparkt auf den weißen, marklosen Kieselsteinen. Sally und Maxi auf dem Rücksitz, die Erwachsenen steigen gerade vorne ein. Ivona wirkt immer noch nicht glücklich darüber, dass sie nicht als Familie essen gehen können. Victor hilft ihr freundlich beim einsteigen, geht einmal um das Auto herum und wirft Nathe einen düsteren Blick zu bevor er die Fahrertür zuknallt und davon fährt. Wie auch immer schafft er es, dass sich die weißen Steinchen kaum zu bewegen scheinen und perfekt liegen bleiben. Aber das ist alles nur Schein. So wie die perfekte Familie Silver.
Als sie nicht mehr zu sehen sind, dreht Nathe sich zu mir um. Seine Augen wirken so emotionslos wie immer und mit seiner aufgeplatzten Lippe wirkt er fast schon gefährlich. Fragend zieht er eine Augenbraue nach oben als würde er jetzt überrascht realisieren, das ich neben ihm stehe, um mich indirekt zu Fragen, was ich hier mache.
„Ich wollte nach dir schauen... ob alles gut ist."
„ Bestens." Er wendet sich von mir ab.
Genervt drehe ich mich zu ihm um. „Ist es hier normal, nicht über seine Gefühle zu reden? Macht es dir gar nichts aus, dass dein Vater dich für die Mathenote von Maxi verantwortlich macht? Erst beim Essen und dann im ..."
Sofort dreht er sich um, sodass ich vor Schreck verstumme. Sein Blick durchbohrt mich als würde er dadurch herausfinden können, was ich weiß.
„Jetzt zück mal deinen Streberblock und hör zu, was Gott dir zu sagen hat." Er kommt drohend nahe an mich ran. „Misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen oder ich sorge persönlich dafür, dass du in das dreckige Loch zurück kriechst, aus dem du hergekommen bist."
Ohne ihn noch einmal anzuschauen, drehe ich auf dem Absatz und stürme auf die Tür zu. Ich wollte ihn nur fragen, ob alles okay ist und er stößt mich beleidigend von sich ab. Ich kann Victors bösen Blick verstehen, genauso muss ich gerade aussehen.
Bevor ich raus gehe, hält er mich auf mit einem lauten: „Warte...Nimm die Wäsche mit."
Mehr als einen Mittelfinger bekommt er für diese freche Aussage nicht.
Oh, wie ich ihn dafür schlagen könnte. Egal in welchem Zustand er gerade ist, er hätte es verdient.
Wütend knalle ich seine Tür zu und stampfe in mein Zimmer. Ich bin einen halben Tag hier und habe schlechtere Laune als Liam beim Hausaufgaben machen.
Vor lauter Frust beschließe ich mich unter der Dusche abzukühlen. Aber nicht mal da sind meine Gedanken vor ihm sicher.
Nathanael Silver ist ein Arschloch. Aber er wird von seinem Vater misshandelt, er ist sicher nicht immer so.
Er liebt Musik, niemand mit einem schlechten Herz liebt Musik. Außerdem war er im Unterricht heute Morgen sehr schnell fertig. Warum musste er eigentlich früher gehen und kein Lehrer hat sich ihm in den Weg gestellt?
Er ist der Captain des Medicin Footballteams, dadurch hat er ein gewisses Privileg vielleicht. Oder Mr. Bolt hatte Angst sich mit ihm anzulegen.
Und irgendwie hat ein gutes Verhältnis zu seinen Geschwistern, man muss ihn also mögen können. Wie lieb er Maxi Champ genannt hat und sogar Sally als seine nicht leibliche Schwester scheint das Gute in ihm zu sehen. Und mit Feli war er anscheinend in der Grundschule auch befreundet. Und dieses Bild in Sallys Zimmer wo er neben Ivona über das ganze Gesicht strahlt....

Ein Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken. Wie spät ist es? Wer ist jetzt noch im Haus unterwegs? Man, bin ich mit meinen Gedanken abgetriftet.
Sally, Maxi, Mr. Silver und Mrs. Borrow sind weg, Berta und Alfred haben das Haus ebenso schon verlassen.
Vielleicht ein Einbrecher, kommt es panisch in mir hoch. Natürlich Cait, ein Einbrecher, der an Türen klopft, belehre ich mich selbst eines Besseren.
Aber vielleicht hat er die Borrows wegfahren sehen und nutzt jetzt seine Chance aus, hier was zu holen. Und aus Vorsicht, klopft er an jede Türe um unnötige Begegnungen zu umgehen.
Schnell steige ich aus der Dusche und binde mir ein Handtuch um. Fast schon panisch sucht mein Blick nach etwas gefährlichem zur Verteidigung. Ich greife nach der Nagelschere und verstecke mich hinter der Badezimmertüre.
Ich höre, wie mein Zimmer betreten wird. Fest umklammere ich die Nagelschere. Mein Herz schlägt so laut, dass ich Angst habe, dass der Einbrecher es hören könnte.
„Ich kann dich sehen!"

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