Ich weiß nicht, was in Mr. Silvers Büro besprochen wurde und ich versuche mich wirklich so wenig wie möglich einzumischen. Das geht mich nichts an. Nathe interessiert sich nicht für mich, also interessiere ich mich auch nicht für ihn. Er möchte mich loswerden also werde ich ihn auch aus meinen Gedanken los.
Während ich nach dem Essen in mein Zimmer verschwinde, drängen sich Millionen Fragen wieder laut in den Vordergrund, sodass ich sie unmöglich überhören kann.
Als Victor seinen Sohn ins Büro zitiert hat, haben alle am Tisch den Eindruck gemacht, als wüssten sie genau was abgeht. Und das es nichts erfreuliches ist, wenn alle angespannt dasitzen und sogar Nathe kleinlaut wird. Wieso regelt das keiner mit der Polizei? Warum geht Nathe nicht selbst hin und zeigt ihn an wegen Körperverletzung?
Wie kann Ivona, als seine Mutter, das zulassen? Oder Sally, als seine Schwester. Auch Berta und Alfred müssen doch davon Wind bekommen haben. Oder Freddy. Irgendwas wird hier nicht mit rechten Dingen gespielt.Ein Klopfen an der Türe bringt mich in die Realität zurück. Da ich einfach nur ihm Raum stehe, völlig weggetreten, setze ich mich schnell an den Schreibtisch um so zu tun, als wäre ich gerade beschäftigt.
Wenn das Nathe ist der wieder bei irgendwas Hilfe braucht, dann soll er sich jemand anderen zum Ausnutzen suchen. Er kann mich nicht behandelt wie das letzte Stück Dreck aber dann um Hilfe bitten, wenn er mich gebrauchen kann. Da spiele ich nicht mit.
„Hey... störe ich?" Erleichtert atme ich durch als ich Sallys Stimme höre.
Ich stehe von meinem Schreibtisch auf und schüttele lächelnd den Kopf: „Alles gut."
Für die Schauspielkünste habe ich einen Oscar verdient. Gar nichts ist gut.
„Okay...ähm", beginnt Sally und tritt in mein Zimmer ein. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich jetzt das Wochenende über bei einer Freundin in New York bin. Ich werde morgen bei dem Fest nicht da sein."
„Was für ein Fest?", frage ich verdutzt. Hab ich was nicht mitbekommen?
„Jedes Jahr ist eine Gala hier bei uns Zuhause, ein rießen Akt... wichtige Leute kommen, meine Eltern präsentieren ihre stolzen Firmen und ihre Kinder bla bla bla... ich hab da einfach keine Lust drauf. Dieses aufgesetzte Lächeln, die perfekte Familie zu spielen... ich wollte dir nur sagen, wenn du ein Kleid für morgen Abend brauchst, ich habe ein paar Vorräte im Keller die nicht meiner Standartfarbe entsprechen."
„Ich soll da morgen hingehen?", frage ich überrascht.
Auf ein Fest in der Schiki– Miki Welt bin ich nicht vorbereitet. Ich kenne weder den Ablauf, noch die Personen oder den Anlass, geschweige denn die Tischmanieren. Alleine bei dem Gedanke wird mir schlecht.
„Meine Eltern werden sicher darauf bestehen, dass du kommst. Du bist auch etwas, mit dem sie vor all ihren Freunden angeben wollen." Sally schenkt mir einen entschuldigenden Blick und setzt sich auf mein Bett. „Es tut mir leid, dass ich dich damit so alleine lasse... ich kann Nathe fragen, ob er dich mitnimmt. Also, dich den anderen vorstellt, dir alles erklärt und so..."
Ich kann ihre Gewissensbisse deutlich sehen, aber ich kann nicht von ihr verlangen, dass sie wegen einem Fest oder gar wegen mir ihre Reise verschiebt. Innerlich seufze ich seeehr lange auf.
„Ach, mach dir keine Sorgen, ich bekomm das schon irgendwie hin.", versuche ich ganz entspannt zu sagen und schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sally beißt sich schmunzelnd auf die Lippen und umarmt mich fest.
Ich sollte zu Hollywood gehen mit meinen neuen Künsten, anderen das Glauben zu lassen, was sie hören wollen... kaum ist man eine Woche in dieser neuen Welt, fängt man schon an sich zu verstellen.Gegen 14 Uhr ist die Villa leer, Maxi ist bei einem Freund, und die anderen Vier sind mit dem Auto losgefahren. Sie bringen Sally zum Flieger und gehen danach zu dem Shooting, was auch immer das sein mag. Viel von Nathe hab ich nicht gesehen, von seinem Zimmer ist er ohne Umwege direkt ins Auto eingestiegen. In dem Fall hat Mr. Silver ihn „überredet" das Training ausfallen zu lassen und doch mit Ivona mitzugehen.
Ich dachte immer, Shootings sind was für Insta-Mädchen, Pornostars und Models. Aber in dieser Welt versteh ich noch so einiges nicht. Oder Nathe ist eins von den drei.
Das ganze Personal hat den Samstag Nachmittag frei, ich habe also die ganze Villa nur für mich.
Ich verbringe den Nachmittag mit lesen, schwimmen und Fernsehen, wobei ich erst einmal eine halbe Stunde gebraucht habe, um im Kinosaal den ausgesuchten Film anzubekommen.
Gegen 17 Uhr befürchte ich, dass die Borrows bald zurück kommen und mich faul im Kino vorfinden.
Lustlos schnappe ich mir also den Staubsauger und beschließe, alle Schlafzimmer mal durch zu saugen, da die Shawn-Elektro Sauger nicht in die Zimmer fahren. Und da Nathe gerade zu 100% nicht da ist, fange ich in seinem Zimmer an.
Wie immer ist das Bett nicht gemacht und Klamotten liegen auf dem Boden. Das T– Shirt von gestern Mittag, die Hose von gestern Abend, Boxershorts, das T– Shirt von heute morgen... wenn der so weiter macht, habe ich wieder so ein Wäscheberg wie am ersten Tag. Da kann er aber selber waschen.
Ich schmeiße die Klamotten Richtung Bett um besser Saugen zu können, aber wie erwartet treffe ich daneben. Von mir selbst genervt schlürfe ich hin, Knie mich auf den Boden und sammele alles unter dem Bett ein, als ich auf eine seltsame Stelle am Teppich stoße, die nachgibt, sobald Druck drauf ist.
Meine Neugierde ist geweckt, achtlos lasse ich die Klamotten wieder fallen und widme mich dem seltsamen Stück Boden. Im ganzen Zimmer ist durchgehend der schwarze Teppich, aber an einer Stelle sieht man ganz leicht den viereckigen, aufgeschlitzten Umriss. Mit den Fingernägeln hebe ich das Viereck an und krieche mit der Handytaschenlampe unter das Bett um eine bessere Sicht auf meine Entdeckung zu haben. Ein braunes Lederbuch. Abgegriffen, ziemlich benutzt mit draufgedruckten Initialen NS darauf.
Ist das Nathan Silvers Tagebuch?
Okay, ich sollte es nicht anfassen, einfach liegen lassen. Es ist was sehr privates. Ich würde auch nicht wollen, das jemand in meinem herumstöbert.
Andererseits liegt es genau vor mir, ich habe Zugriff auf die Gefühle, Gedanken und Erinnerungen des mysteriösen Badboys der Medicin Highschool.
Ich weiß, dass es falsch ist es zu lesen, aber diese Chance bekomme ich nie wieder.
Schnell verdränge ich mein schlechtes Gewissen und ziehe es unter dem Bett hervor. Würdigend streiche ich über die eingebrannten Buchstaben. Das S schlängelt sich wie eine Schlange um das N. Man könnte es fast schon als eigenes Logo durchgehen lassen.
Viele Seiten des Buches sind vollgeschrieben. Die Schrift der ersten Seite ist kaum anders als die der zuletzt Beschriebenen. Das heißt, er schreibt regelmäßig. Obwohl er die Sauklaue die er jetzt hat, sicher auch vor 7 Jahren schon hatte.
Voller Neugierde schlage ich die letzten paar Seiten auf.
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An deiner Seite
Romantizm„Du schuldest mir einen Gefallen." Verständnislos lache ich auf: „Man kann sich also nicht mal mehr untereinander helfen, ohne einen Hintergedanken zu haben?!" Nathan Silver kommt schmunzelnd auf mich zu und raunt mir mit rauer Stimme ins Ohr „Willk...