2. Kapitel

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Ignoranter Arsch! Ignoranter Arsch! Ignoranter Arsch!

Die komplette Unterrichtsstunde geht mir dieser Satz durch den Kopf. Um mich herum wird leise getuschelt und jedes Team versucht zusammen den richtigen Rhythmus und die genaue Melodie hinzubekommen. Auch Feli und Brent scheinen wohl oder übel gut zusammen zu arbeiten.
Glück für sie. Der dunkelhaarige Spinner neben mir, schaut mich nicht mal an. Sobald eine Melodie von Mrs. Kedding am Klavier gespielt wird, notiert er sie ohne nachzudenken und widmet sich dann seinem Handy, das er auf dem Tisch liegen hat. Während der ganzen Stunde zittert sein rechtes Bein nervös auf und ab.
Okay, Cat, konzentrier dich jetzt. Du bist nur diese eine Stunde neben ihm, konzentrier dich auf die Tonsprünge und die Musik. Du hast dich zuhause bei dem Geschrei deiner Geschwister auch immer konzentrieren können, du schaffst das!
Ab und zu huscht mein Blick auf sein Tablett, immer ganz vorsichtig, so dass er es hoffentlich nicht merkt. Meistens ist er tief in sein Handy versunken. Wenn nur sein blödes Bein nicht so nervös wäre könnte ich mich viel besser konzentrieren.
Geduld ist eine Tugend. Geduld. Ganz ruhig. Tief ein und Ausatmen.

Aber, wie sich herausstellt, ist Geduld wirklich nicht meine Stärke, also drehe ich mich mit den Oberkörper zu ihm und flüstere lauter als ich beabsichtigt hatte: „Kannst du mal cool bleiben?"
Ich sehe, wie er erst bewegungslos auf sein Handy starrt und dann seinen Kopf drohend langsam zu mir dreht, als könnte er nicht glauben, dass ich sprechen kann. Wahrscheinlich ist er eher erstaunt dass ich ihn generell einfach so anspreche.
Wer hätte gedacht, dass so schöne, grüne Augen so kalt sein können. Er mustert mich, als würde eine völlig Fremde neben ihm sitzen. Wahrscheinlich ist das auch so, ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich je wahrgenommen hat.
Warum kann ich meine Klappe nicht halten!
Ohne ein Wort an mich zu verschwenden beginnt sein Fuß wieder mit der nervösen Auf– und Abwärtsbewegung, noch stärker als zuvor, sodass der ganze Tisch leicht mitschwingt. Provokant schaut er mir in die Augen, als fordere er mich heraus etwas dagegen zu unternehmen. Aber was soll ich schon machen, sein Bein an das Tischbein binden oder wie ein Kleinkind es Mrs Kedding Petzen? Vielleicht ist das die Strafe von ihm, dass ich Brent vor allen bloßgestellt habe. Er will mich einfach zu Tode nerven. Das Footballteam hat einen hohen Stellenwert und auf der Medicin halten die Jungs enger zusammen als meine 20 Jahre verheirateten Eltern.
Ich verdrehe übertrieben die Augen und starre auf mein Tablett um seinem Blick nicht mehr standhalten zu müssen.
„Augen verdrehen bringt nichts, so findest du dein Gehirn auch nicht!", flüstert er mit einer rauen Stimme zurück.
Ähm, bitte was? Jetzt reicht es aber wirklich! Energie geladen mich jetzt zu streiten dreh ich mich zu ihm.
Auf einmal packt er seinen Stift und Block in seinen leeren Rucksack ein und steht auf bevor ich mit meinem Streit beginnen kann. Bevor er geht, kann er sich ein spöttischen Grinsen mit Blick auf meine halb ausgefüllte Aufgabe nicht verkneifen.
Man, geh dich doch vergraben! Will er sich jetzt umsetzten? Bitte, dafür wäre ich ihm auch noch dankbar.
Etwas geschockt schau ich auf Mrs. Kedding, die es allerdings nicht zu stören scheint, und den letzten Akkord in Ruhe wiederholt. Auch Mr. Bolt scheint nicht den Anstand zu machen, den Schüler aufzuhalten, der ohne Kommentar die Klasse verlässt. Gute 10 Minuten später klingelt die Schulglocke für den Unterrichtsschluss und erlöst mich von dieser Quälerei.
Nie wieder!, schwöre ich mir selbst.
Mr.Bold  klatscht laut in die Hände und ruft durch den Tumult.
„Das hat ja echt gut geklappt. Solange niemand ein Problem mit seinem Team hat, können wir das die nächsten Wochen dabei belassen."
Ich krame meine Sachen zusammen und werfe sie, ganz untypisch unsortiert, in meinen Rucksack hinein um so schnell wie möglich mit Mr. Bold zu reden. Zufrieden lehnt mein Musiklehrer am Türrahmen und verabschiedet seine Schüler mit einem zufriedenen Lächeln, das allerdings sofort erstirbt als er mich auf ihn zugehen sieht.
„Alles in Ordnung bei Ihnen Caitlin?"
Innerlich lache ich ironisch auf. „Mr. Bold, ich möchte bitte Partner tauschen. Ich habe nicht das Gefühl dass..."
„Miss Swan, in ihrem angehenden Beruf werden sie auch mit Patienten arbeiten müssen, die nicht ihrem Charakter entsprechen und ihnen tierisch auf den Zeiger gehen", unterbricht mich der junge Lehrer etwas genervt. „Ich bin mir sehr bewusst, dass Nathan kein leichter Umgang ist, aber er ist auf einem sehr guten Niveau in Musik und könnte Ihnen bei der ein oder anderen Sache helfen. Also schlucken sie ihren Stolz hinunter und probieren sie wenigstens sich auf ihn einzulassen."
So ernst hatte ich Mr. Bold noch nie reden gehört. Völlig überfordert mit dieser klaren Ansage, nicke ich leicht und dränge mich an ihm aus dem Musikraum.

So schnell ich kann, steuere ich auf das nächste Mädchenbad zu.
Man, das war einfach alles nur mega unangenehm. Dieser Penner ignoriert mich, provoziert und disst mich und macht sich dann auch noch spöttisch über meine Aufschriebe lustig. Und er hat diesen Blick, als könnte er mich durchbohren. Oder durchschauen. Wie kann man nur so unausstehlich sein!
Wie kann Feli und die halbe Schule nur auf so einen emotionslosen, arroganten Arsch stehen? Der denkt, er ist etwas besonderes, weil er Geld von Papi hat und einen Football werfen kann.
Und mit seiner missbilligenden Art scheint er auch noch das Vertrauen der Lehrer gewonnen zu haben. Das Mr. Bold mich nicht mal meinen Wunsch mich umzusetzen hat aussprechen lassen und mich dann noch so belehren musste, kränkt mich. Und die Vorstellung die nächsten Woche noch mit ihm zusammen in Musik sitzen zu müssen, verursacht mir Kopfschmerzen.

Ein blonder Lockenkopf erscheint im Türspalt und erblickt mich frustriert auf dem Boden sitzen. Auch Feli sieht nicht mehr so begeistert aus wie vor zwei Stunden.
„Und?" , fragt sie vorsichtig als sie sich neben mich zur warmen Heizung setzt.
„Oh es war toll. Wir haben uns die ganze Zeit lustig unterhalten. Du hattest recht, der Typ hat auf jeden Fall eine total sympathische Seite. Solch freundliche, grüne Augen können nicht lügen!", antworte ich trocken aber triefend vor Ironie.
Normalerweise steigt Feli immer in meine ironischen Sticheleien mit ein, doch heute schweigt sie.
„Hey... tut mir leid.", ich lehne meinen Kopf an ihre Schulter und nehme ihre Hand. „Ich sollte meine schlechten Laune nicht an dir auslassen."
„Alles gut. Du kannst ja nichts dafür und dafür sind Freunde ja da. Ich... ich habe nur einen Crush auf Silver seit wir in der 2. Klasse sind. Wir waren richtig gut befreundet. Aber dann hat er..."
Sie stoppt mitten im Satz und nimmt meinen Kopf in ihre Hände. Meine Pauschebacken werden nach vorne zusammengedrückt.
„Versprich mir was!"
Ich ziehe meine Stirn in Falten und schaue sie fragend an.
„Versprich mir, niemals sich auf einen der Footballtypen einzulassen."
Ich versuche sie anzulächeln und nuschel: „Nichts leichter als das." Nichts leichter, als meine goldenste aller Regeln §3 zu befolgen.
Langsam fangen ihre blauen Augen wieder an zu strahlen. Man muss Feli einfach gerne haben. Mit einem Ruck steht sie auf und zieht mich auf die Beine.
„In der Cafeteria gibt es Crème brûlée, genau das brauchen wir jetzt."

Nach dem fünften Gläschen Nachtisch sitzen wir beide völlig satt am Glastisch des Schulrestaurants. Bin ich die Einzige, die Essen mehr als alles andere auf dieser Welt liebt?
„Hast du nach der Schule was vor?"
Ja... das was ich schon den ganzen Tag versuche zu verdrängen.
„Ich zieh heute zu der neuen Familie um, die mir das Stipendium bezahlt."
Feli's Augen fallen fasst aus ihrem Kopf: „Du ziehst bei denen ein?"
Ich kann mich an die Vorstellung auch noch nicht ganz gewöhnen, weswegen ich es vor Feli noch nicht erwähnt habe. Die Vorstellung zuhause auszuziehen finde ich schlimm. Aber die Slums sind 2 Stunden Zugfahrt von dieser Schule weg und bis zu meinem Abschluss sind jeden Tag 4 Stunden Zugfahren unnötige Zeitverschwendung. Die letzten zwei Jahre war es mir egal, ich konnte entspannt Musik hören oder auf der Fahrt lernen, aber in den Abschlussklassen haben wir viel mehr Unterricht, das würde mich nur unnötig Zeit rauben.
„ Und du darfst bei denen einfach wohnen? Das ist schon großzügig." in Ruhe kratzt sie das letzte Schälchen aus und schaut mich neugierig an, was wirklich hinter meinem Umzug steckt.
„Ich helfe im Haushalt mit, putzen und Saubermachen..."
„Also als Hausmädchen?"
Ich hasse dieses Wort. Das klingt immer so herabwürdigend. Aber ich nicke.
„Ich hab meinen Roller dabei, sag mir wohin du musst und ich fahr dich zu deiner neuen Familie."
Der blonde Lockenkopf zwinkert mir zu, steht auf und verräumt die leeren Schalen auf den Geschirrständer. Perplex über ihre letzten Wörter bleibe ich sitzen. Neue Familie... das klingt unglaublich befremdlich.
Ich folge Feli aus der Mensa raus. „Alles gut, meine Mum bringt mich hin. Mein Gepäck steht noch zuhause und sie wollte sich eh anschauen, wo diese Familie lebt."
„Sag mal die Straße."
Ich zuck mit den Schultern „Villenstraße, Hausnummer hab ich vergessen... keine Ahnung"
Abrupt bleibt meine beste Freundin stehen, sodass ich in sie reinrenne. „Das ist bei mir ganz in der Nähe.", strahlt sie. „man Cait, das wird ein unglaublich guter Sommer!"

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