Ich hatte mein Versprechen nie gebrochen. Zumindest versuchte ich mir das immer wieder einzureden. Die Abmachung, die ich mit Jake hatte, beinhaltete lediglich, dass ich nicht nach Duskwood kommen würde, solange unsere Ermittlungen noch liefen und wir den Täter nicht überführt hatten. Dass ich also schon vor über einer Woche aufgebrochen war und mich in einem Motel etwa zehn Kilometer von hier niedergelassen hatte, hatte unser Übereinkommen genau genommen in keinster Weise verletzt. Natürlich hatte ich es weder Jake noch den anderen erzählt. Sie hätten sich nur unnötige Sorgen gemacht und mir ging es in erster Linie nur darum, für den Fall der Fälle in der Nähe zu sein. Und dieser Fall der Fälle war nun eingetreten. Unsere Ermittlungen waren beendet und der Fall gelöst. Hannah wurde endlich gefunden und befreit. Und auch die Identität des Entführers war nun endlich kein Geheimnis mehr. Die ganze Zeit über war es Richy gewesen. Richy, der unser aller Freund gewesen war und uns anfangs sogar bei den Ermittlungen geholfen hatte. Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass Richy, einer meiner Freunde, mit dem ich bis vor kurzem noch Witze gerissen und dem ich, so wie ich zumindest dachte, beim Sterben zugesehen hatte, hinter all dem steckte. Als er während des Videotelefonats die Maske abgenommen hatte, fühlte ich etwas in mir unwiderruflich zerbrechen. Nach dem Angriff auf ihn hatte ich natürlich kurz über diese Möglichkeit nachgedacht. Während ich zusah, wie er angegriffen wurde, waren mir ein paar Dinge aufgefallen, die einfach nicht mit unseren bisherigen Ermittlungen übereinstimmten. Beispielweise die Tatsache, dass der Täter sich mir diesmal nicht zeigte, obwohl er es bis zu diesem Zeitpunkt immer darauf angelegt hatte, mit seinen Taten in Verbindung gebracht zu werden, kam mir seltsam vor. Doch ich schob den Gedanken damals schnell beiseite. Es konnte einfach nicht sein. Und doch entsprach mein damaliger Verdacht tatsächlich der Realität. Während Richy mir am Telefon die wahre Geschichte über Jennifers Unfall erzählte, musste ich mich konzentrieren, um seinen Worten überhaupt folgen zu können. Viel zu tief saß der Schock, dass Richy, der mein Freund gewesen war und dem ich vertraut hatte, mir und den anderen etwas so Furchtbares angetan hatte. Ich war wütend gewesen und Tränen hatten sich in meinen Augen gesammelt. Noch nie in meinem Leben war ich so verraten worden. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, war, dass von meinem ursprünglichen Hass gegenüber unserem Täter, von dem wir bis vor wenigen Stunden noch dachten, es wäre Michael Hanson, nichts mehr übrig war. In meinem anschließenden Chat mit Richy empfand ich nur eines: Mitleid. Ich glaubte ihm, als er sagte, dass es ihm leidtäte und dass er niemandem von uns ernsthaft etwas antun wollte. Innerhalb kürzester Zeit hatte Richy einen riesigen Fehler gemacht und damit nicht nur seine Freunde, sondern auch seinen Lebenswillen verloren. Als ich schließlich das Videotelefonat zwischen ihm und Jessy sah, konnte ich Richy ansehen, wie gebrochen er war. Von dem sympathischen Kerl mit seinen lustigen Sprüchen war nur noch eine leere Hülle übriggeblieben. Jessy war zusammengebrochen und am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen. Doch so leid es mir auch tat, das musste warten. Denn es stand etwas viel Größeres auf dem Spiel. Als ich auf Richys Forderung eingehen und mich ihm am Grimrock Wasserfall ausliefern wollte, hatten Jake und die anderen mich davon abgehalten. Stattdessen war Jake losgezogen, um Hannah aus der Mine zu befreien. Von Anfang an hatte ich ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache und wollte auf keinen Fall zulassen, dass Jake ein solch großes Risiko einging. Immerhin war er auf der Flucht und seine Verfolger konnten ihn jederzeit fassen. Aus Sorge um mich hatte er seine eigene Sicherheit aufs Spiel gesetzt und sich dabei nicht von mir aufhalten lassen. Ich hatte versucht mir einzureden, dass alles gut gehen und dass Jake es schaffen würde. Dass ihm nichts geschehen würde und wir uns, wenn all das vorüber war, wirklich in Duskwood treffen würden. Doch als Alan Bloomgate mir schließlich sagte, dass das FBI am Grimrock eingetroffen war und sie nicht wegen Hannah dort waren, wusste ich, dass das der Punkt war, an dem alles schief ging, was nur schief gehen konnte. Ich hatte Jake gewarnt und ihm gesagt, dass er so schnell es nur geht, dort verschwinden müsse. Sofort hatte er sich auf den Weg gemacht, um die Mine zu verlassen und mir versprochen, dass sie ihn nicht schnappen würden. Dass er nicht zulassen würde, dass sie uns voneinander trennen. Er versprach mir, dass wir uns schon bald in Duskwood sehen würden und ging offline. Ich wusste, dass er mich damit beruhigen wollte, doch mich hatte die blanke Angst gepackt. Ich konnte ihn nicht einfach sich selbst überlassen und darauf hoffen, dass alles gut gehen würde. Und als mich schließlich weitere Nachrichten von Jake erreichten, wusste ich, dass auch er Angst hatte. Als die drei kleinen Worte, von denen ich so lange gehofft hatte, sie irgendwann von ihm zu hören, auf meinem Display auftauchten, da wusste ich es. Auch er hatte Zweifel daran, rechtzeitig fliehen zu können. Nur deshalb hatte er es mir gesagt, aus Angst, dass es vielleicht die letzte Möglichkeit für ihn war. Ich hatte mir nichts anmerken lassen und ihm gesagt, dass ich ihn auch liebte. Das war die Wahrheit, natürlich liebte ich ihn und dass schon eine ganze Weile. Und genau aus diesem Grund traf ich in diesem Moment eine Entscheidung. Ich musste zu ihm und ihm helfen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, machte ich mich also auf den Weg nach Duskwood, genauer genommen zum Grimrock Wasserfall. Und auch jetzt brach ich mein Versprechen nicht. Der Fall war abgeschlossen. Jetzt ging es nur noch darum, den Mann zu retten, den ich liebte.
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Duskwood - The things we lost in the fire
FanfictionDiese Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Spiel "Duskwood" von Everbyte. Meine Geschichte beginnt im Anschluss an Episode 10. Mir gehören weder die Figuren noch die ursprüngliche Idee des Spiels. Es handelt sich hierbei lediglich um eine Fanfic...