Reglos saß ich dort und blickte auf das leuchtende Schild.
"Ich bin in einem Motel untergekommen"
"Gegenüber dem Motel, in dem ich mich befinde, ist ein chinesisches Restaurant"
Die Nachrichten, die Jake mir damals geschickt hatte, schossen mir durch den Kopf, als hätten sie sich dort eingebrannt. Bereits als ich das Schild gesehen hatte, wusste ich es und ich hatte keinerlei Zweifel daran, dass das hier der Ort war, von dem Jake gesprochen hatte.
Meine Finger zitterten, als ich den Sicherheitsgurt öffnete und zur Tür griff.
"Alles okay?", kam es von Jessy neben mir. Einen Moment hatte ich tatsächlich vergessen, dass ich nicht allein war. Ich nickte, noch immer völlig durch den Wind und stieg aus. "Worauf hast du Lust? Also ich hatte schon ewig kein Sushi mehr", plapperte Jessy neben mir drauf los, während sie bereits auf den Eingang des Restaurants zuging. Als sie bemerkte, dass ich ihr nicht folgte, drehte sie sich zu mir um und sah mich fragend an. "Wäre es in Ordnung, wenn du dich ums Essen kümmerst? Es gibt da etwas, was ich gern überprüfen würde..", während ich sprach, suchte ich aus meinem Portemonnaie zwei Zwanziger heraus und reichte sie ihr. "Such einfach irgendwas aus, ich vertrau dir", sagte ich und rang mir ein halbherziges Lächeln ab. Jessy schien zu merken, dass ich nicht genauer darauf eingehen wollte, denn sie nickte bloß. "Treffen wir uns in 20 Minuten wieder hier?", fragte ich, bevor sie im Inneren des Restaurants verschwand. "Klar.. Y/N? Pass auf dich auf, okay?", sie sah mich besorgt an und ich nickte leicht. Ich wollte nicht, dass sie sich sorgte und ich war mir ziemlich sicher, dass ich mich nicht in Gefahr brachte, zumindest nicht, was meine körperliche Unversehrtheit anging.
Meine Beine fühlten sich an als wären sie aus Wackelpudding, während ich mit schnellen Schritten die Straße überquerte. Je näher ich dem Motel kam, desto mehr wurde mir furchtbar übel. Alles in mir sträubte sich dagegen, doch wenn es irgendeinen Hinweis auf Jakes Verbleib gab, dann vermutlich hier. Würde ich vielleicht ihn selbst hier finden? Hatte er mir deshalb damals dieses Detail über seinen Aufenthaltsort verraten, weil er hoffte, ich würde ihn hier finden? Als er vor wenigen Tagen zur Eisenbruchmine aufgebrochen war, hatte er mir und den anderen verraten, dass er sich in der Nähe von Duskwood aufhalte, was mit der Tatsache übereinstimmte, dass sich dieses Motel nur einen Ort weiter befand.
Mein Herz schlug mir buchstäblich bis zum Hals, als ich das Motel schließlich betrat. Von außen wirkte es schon ziemlich heruntergekommen und auch das Innere machte den Eindruck, als hätte man hier schon vor langer Zeit aufgegeben, Geld in die Inneneinrichtung zu investieren.
Ich durchquerte den spärlich eingerichteten Empfangsraum und trat an den Tresen. Dort saß ein junger Mann, ungefähr mein Alter, vielleicht etwas jünger. Er schaute gelangweilt drein und war mit seinem Handy beschäftigt. Ich räusperte mich, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Desinteressiert hob er den Kopf und sah mich abschätzend an. "Ja, bitte?", kam es von ihm. Freundlichkeit und Kundenservice wurden hier anscheinend ebenfalls klein geschrieben.
"Ähm.. ich bin auf der Suche nach einem Freund von mir, vielleicht können Sie mir weiter helfen. Er war vermutlich bis vor wenigen Tagen hier oder ist es immer noch. Er trägt dunkle Kleidung, vielleicht einen Kapuzenpulli, hat schwarze Haare und Sie werden ihn vermutlich nicht allzu oft zu Gesicht bekommen haben", ich zwang mich zu lächeln, doch davon ließ er sich nicht beirren.
"Sorry, aber über unsere Gäste kann ich aus Datenschutzgründen nicht sprechen", erwiderte er bloß und sah wieder auf sein Handy. Langsam ging mir dieser Kerl wirklich auf die Nerven.
"Das verstehe ich, aber es ist wirklich wichtig, vielleicht können Sie ja eine kleine Ausnahme für mich machen". Da ich mit bloßer Freundlichkeit nichts zu erreichen schien, stützte ich mich während ich sprach mit meinen Ellenbogen auf dem Tresen ab und drücke meinen Rücken durch, sodass meine Brüste besser zur Geltung kamen. Sein Blick blieb kurz an meinem Dekolleté hängen, bevor er unbeeindruckt weitersprach. "Sorry, aber ich kann dir nicht helfen. Unsere Regeln gelten auch für durchgeknallte Exfreundinnen". Wie hatte er mich gerade genannt? Und wann hatte ich ihm bitte das Du angeboten? Normalerweise machte mir die Unfreundlichkeit anderer wirklich nichts aus, doch die Tatsache, dass er mich als durchgeknallte Exfreundin betitelt hatte, versetzte mir nicht nur einen Stich, sie machte mich außerdem wirklich wütend. Ich war ganz bestimmt nicht durchgeknallt, verzweifelt, ja, aber ich wusste was ich tat. Zumindest redete ich mir das ein. Und Jakes Exfreundin war ich schon gar nicht. Soweit war es nämlich gar nicht erst gekommen, wie mir in diesem Moment wieder schmerzlich bewusst wurde. Ich schnaubte und holte erneut mein Portemonnaie hervor. Ich zog einen Hunderter heraus und knallte ihn vor mir auf den Tresen. Das schien seine Aufmerksam zu beanspruchen, denn nun sah er mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Können Sie mir vielleicht jetzt weiterhelfen?", fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Er griff nach dem Schein und hielt ihn kurz ins Licht, bevor er ihn in seiner Hosentasche verschwinden ließ und mir antwortete. "Er ist vor ein paar Tagen ausgecheckt, wenn man es denn so nennen will. War plötzlich weg, der Schlüssel lag auf dem Tresen und seine Rechnung hat er auch nicht bezahlt. Keine Ahnung wo er hin ist", während er sprach verschränkte er die Arme in seinem Nacken und lehnte sich entspannt in seinem Bürostuhl zurück.
Auch wenn ich damit bereits gerechnet hatte, die Enttäuschung darüber konnte ich nicht leugnen. Aber vielleicht gab es dort trotzdem irgendeinen Hinweis auf Jakes Verbleib.
"Kann ich vielleicht das Zimmer sehen, in dem er gewohnt hat?". Der argwöhnische Blick des Kerls ließ mich wissen, dass er mich definitiv für eine durchgeknallte Stalkerin hielt, doch das war mir egal. Als er nicht reagierte, schob ich ihm einen weiteren Schein über den Tresen. Er steckte ihn ein, griff nach einem Schlüssel und erhob sich dann seufzend. "Na dann komm mal mit".
Er führte mich zu einem der hintersten Zimmer und öffnete mir die Tür. Diese öffnete sich knarrend und er trat beiseite, damit ich hineingehen konnte. "Hör mal, du kannst mir glauben, du wirst hier nichts finden", versuchte er mich zu überzeugen, doch ich ignorierte ihn. "Gib mir einfach fünf Minuten, okay?". stieß ich genervt hervor. Er sah mich noch einen Augenblick skeptisch an, bevor er achselzuckend das Zimmer verließ. Sofort begann ich mich umzusehen. Das Bett war gemacht und auch sonst ließ nichts darauf schließen, dass jemand in diesem Zimmer gewohnt hatte. Vermutlich war es bereits gereinigt worden, doch es musste einfach irgendeinen Hinweis geben. Verzweifelt riss ich jede einzelne Schublade der Schränke auf, suchte unter der Matratze und im Badezimmer, doch nichts. Als ich das Motel entdeckt hatte, war so etwas wie Hoffnung in mir aufgekeimt. Ich hatte gehofft, Jake hätte dort irgendetwas hinterlassen, damit ich es finden konnte. Die Erkenntnis, dass ich mich geirrt hatte, traf mich mit voller Wucht. Ich hatte mich mit aller Kraft an diesen letzten Strohhalm geklammert, nur um kurz darauf erneut enttäuscht zu werden. Ich konnte die Tränen, die sich in meinen Augen sammelten und über meine Wangen flossen nicht zurückhalten, weswegen ich mich auf das Bett sinken ließ. Leise schluchzend ließ ich meine Finger über die Kissen und die Decke wandern. Noch vor wenigen Tagen hatte Jake in diesem Bett geschlafen und nun gab es keine Spur mehr von seiner Existenz. Ich dachte, ich hätte mich allmählich an den Gedanken gewöhnt, dass er weg war, doch da hatte ich mich furchtbar geirrt. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, sosehr traf mich erneut das Gefühl, verlassen worden zu sein. Ich saß dort und weinte stumme Tränen, bevor ich mich schließlich dazu zwang, aufzustehen und dieses gottverdammte Motel zu verlassen.Jessy wartete bereits am Auto auf mich. Sie atmete erleichtert auf, als sie mich sah, doch sogleich schlug ihr Gesichtsausdruck in Besorgnis um. Ich stieg wortlos ein. Als sie neben mir auf dem Fahrersitz platz nahm, reichte sie mir die Tüte mit unserem Essen. Es roch köstlich und trotzdem überkam mich eine unerträgliche Übelkeit bei dem Gedanken daran, auch nur einen Bissen herunterzubekommen.
"Möchtest du darüber reden?", fragte Jessy vorsichtig, während sie den Motor startete. Ich schüttelte bloß den Kopf und kämpfte gegen die Tränen an, die sich erneut ankündigten, während ich starr aus dem Fenster blickte. Jessy bohrte nicht weiter nach und ich sah die Lichter des Motels im Rückspiegel hinter uns verschwinden als Jessy den Wagen zurück nach Duskwood steuerte.Wir hatte uns auf meinem neuen Sofa niedergelassen um zu essen. Jessy hatte mehrfach versucht ein Gespräch anzufangen, während ich lustlos in meinem Essen herumstocherte. Irgendwann hatte sie es aufgegeben und ich fühlte mich furchtbar undankbar. Sie hatte in den letzten Tagen so viel für mich getan und ich konnte mich nicht einmal genug zusammenreißen, einen schönen Abend mit ihr zu verbringen. Sie hatte eine Erklärung für mein Verhalten verdient, doch ich konnte nicht darüber sprechen. Noch nicht. Ich hoffte, dass sie es verstehen würde, wenn ich eines Tages dazu bereit war. Wenn sie bis dahin noch meine Freundin war. Momentan ließen meine Qualitäten als beste Freundin wirklich zu wünschen übrig.
Nach dem Essen räumte ich die Reste in den Kühlschrank und warf die Verpackungen in den Müll. Jessy sagte, dass sie sich auch langsam auf den Weg machen sollte, da es ein langer Tag war und wir uns beide ein wenig Erholung verdient hätten. Zum Abschied schloss sie mich in eine feste Umarmung, welche etwas zu lang dauerte, doch ich ließ es zu. Jessy spürte, dass ich dicht machte und mehr als diese Umarmung konnte ich ihr zum derzeitigen Zeitpunkt einfach nicht geben.
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und sofort verließen mich meine Kräfte. All meine Anstrengungen, mich aufrecht zu halten und all das durchzustehen, waren zunichte, als ich mit dem Rücken an der Wohnungstür hinabrutschte und mich dem Schmerz und der Verzweiflung hingab.
In den vergangenen zwei Tagen hatte ich mich zusammengerissen und versucht, alles so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Denn ich war eine tickende Zeitbombe gewesen. Und nun explodierte ich.
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Duskwood - The things we lost in the fire
FanficDiese Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Spiel "Duskwood" von Everbyte. Meine Geschichte beginnt im Anschluss an Episode 10. Mir gehören weder die Figuren noch die ursprüngliche Idee des Spiels. Es handelt sich hierbei lediglich um eine Fanfic...